# taz.de -- Umsturzmarketing: Revolution als Pop | |
> Der serbische Revolutionstrainer Srdja Popovic übt weltweit mit | |
> Dissidenten den Aufstand. Die Medien feiern ihn und seine Textbausteine. | |
Bild: Konter- und Revolution stehen bisweilen nah beieinander. | |
Seit Srdja Popovic, schlacksiger Mittdreißiger, nicht mehr raucht, spielt | |
er mit allem, was ihm in die Finger kommt: Trinkhalme, Kugelschreiber, | |
Büroklammern. Zudem behält er ständig seine zwei Smartphones im Auge. | |
Jederzeit könnten Anrufe kommen – aus Ägypten, Afghanistan, von den | |
Malediven, von sonst woher. | |
Srdja Popovic ist immer erreichbar. Rastlosigkeit ist der Preis für seine | |
Popularität. Auf hunderttausend Flugmeilen brachte er es letztes Jahr. Um | |
ihn zu treffen, muss man einen der seltenen Tage nutzen, an denen er in | |
Belgrad ist. Im Sommer 2011 gelingt es: Sein Büro ist in der | |
Plattenbausiedlung Novi Beograd. „CANVAS – Centre For Applied Non Violent | |
Action and Strategies“, Zentrum für angewandte gewaltlose Aktion und | |
Strategie, steht auf der Tür. | |
„Das wird das schlechteste Jahr für die bösen Jungs auf der Welt“, scherzt | |
Popovic zur Begrüßung. „Ich bin diplomierter Meeresbiologe, ich liebe dicke | |
Fische an der Angel, solche wie Ben Ali und Mubarak“, sagt er. Seine Angel | |
heißt Non Violent Struggle, kurz: NVS. Es ist eine Methode, gewaltlos Krieg | |
zu führen. Sie hat Popovic zum gefragtesten Trainer für gewaltlose | |
Regimewechsel gemacht. | |
## Geballte Faust als Streetart | |
Begonnen hatte alles Mitte der 90er Jahre im Grünen Café in der Altstadt | |
Belgrads. Popovic und seine Freunde wollten den Widerstand gegen das | |
verhasste Milosevic-Regime bündeln und gründeten „Otpor“, Serbisch für | |
„Widerstand“. Bald sprayten sie ihr Logo, eine geballte Faust, als | |
Streetart an die Hauswände der serbischen Hauptstadt. | |
Die Revolte gegen Milosevic, den Popovic „Schlächter des Balkans“ nennt, | |
wurde zum popkulturellen Event und zur Massenbewegung der jungen | |
Erwachsenen. In dezentralen Hauptquartieren druckten Popovic und seine | |
Kumpels Flugblätter, drehten Anti-Milosevic-Spots und organisierten | |
Open-Air-Konzerte. | |
„Die Nato hat nicht gecheckt, dass die Bomben auf Belgrad Milosevics | |
Rückhalt in der Bevölkerung stärken“, doziert Popovic. Otpor gelang nach | |
jahrelanger Vorbereitung und akribisch geplantem Protest das scheinbar | |
Unmögliche: „Wir haben den alten Mann aus dem Amt gekickt“, zwölf Tage na… | |
den gefälschten Wahlen im September 2000. | |
## Profitables Revolutions-Consulting | |
Den Geostrategen des Westens entging der Erfolg der serbischen | |
Protestexperten nicht. Schon während des Widerstands gegen Milosevic | |
erreichten die Otpor-Leute großzügige Spenden aus den USA. „Bullshit!“, | |
wehrt Popovic Fragen über die erwiesenen finanziellen Verquickungen Otpors | |
ab. Aber natürlich hatte er erkannt, dass die Mischung aus einem | |
charismatischen Kopf – ihm selbst –, einer erfolgreichen Strategie und | |
guten Kontakten ein profitables Unternehmen werden könnte. Drei Jahre nach | |
dem Sturz Milosevics gründete Popovic mit einem Freund, dem | |
millionenschweren Medienmogul Slobodan Djinovic, das | |
Revolutions-Consulting-Büro Canvas. | |
Aus den Erfahrungen des Protests von Otpor und den Schriften des Bostoner | |
Harvard-Soziologen Gene Sharp entwickelten sie eine 180-Seiten-Anleitung | |
zum Diktatorensturz: „Gewaltloser Kampf – 50 entscheidende Punkte“. Es ist | |
eine Mischung aus Gandhi und einem Handbuch über Marketing- und | |
Kommunikationsstrategien. In 19 Sprachen ist es mittlerweile übersetzt. | |
„Jeder erfolgreiche gewaltlose Regimewechsel muss drei Prinzipien folgen: | |
Einheit, Planung und disziplinierte Gewaltlosigkeit, wir nennen sie ’die | |
universellen Prinzipien des Erfolgs‘ “, erklärt Popovic. Filzstiftskizzen | |
auf einem Flipchart illustrieren das Gesagte, in Hochglanzbroschüren kann | |
man es nachlesen, und da man schon dabei ist, werden auch Zuckertütchen mit | |
dem Logo der Firma seines spendablen Finanziers Djinovic verteilt. | |
## Dreipunkteplan | |
Ohne Einheit der Opposition ginge es nicht, fährt Popovic energisch fort, | |
ohne eine Strategie, wie man die Säulen der Macht unterlaufe, ebenso wenig. | |
Auch wie man strikt gewaltlos bleibt, auf Polizisten und Soldaten zugeht, | |
ihnen Blumen gibt, wie man den Menschen die Angst nimmt und Freude und | |
Begeisterung steigert, könne und müsse man trainieren. „Was wir in den | |
Medien zu sehen bekommen, die Bilder vom Tahrir in Kairo, von der Kasbah in | |
Tunis, vom Maidan in Kiew, ist nur der letzte Akt. Das eigentliche Drama | |
spielt sich davor ab“, endet Popovic und entschuldigt sich, um schnell ein | |
paar SMS zu beantworten. | |
Popovic ist Meeresbiologe, Unternehmensvertreter und Theaterintendant. Er | |
inszeniert mit Canvas und seiner Methode NVS Diktatorenstürze. Oder | |
inszeniert er sich? „Wir brauchten zehn Jahre, um Milosevic loszuwerden, | |
die Georgier und Ukrainer drei Jahre, die Tunesier einen Monat und die | |
Ägypter 18 Tage, um sich von ihrem korrupten Regime zu befreien. Das waren | |
gewaltlose Blitzkriege.“ | |
## Neuer Jedi-Orden | |
Mit Imperialismus habe das alles nichts zu tun. „Revolution kann man nicht | |
exportieren, sie muss schon von den Leuten vor Ort kommen. Wir geben nur | |
unser Wissen weiter. Wir sind so was wie der Jedi-Orden in ’Star Wars‘. Wir | |
trainieren neue Jedi-Ritter in aller Welt.“ | |
Tatsächlich haben Mitglieder der ägyptischen Bewegung „6. April“ im Sommer | |
2009 an NVS-Trainings von Canvas teilgenommen. Bekannt ist zudem, dass sich | |
diese Bewegung von Otpor inspirieren ließ und drei Jahre lang, zeitweise | |
wöchentlich, zu Widerstandsaktionen, Flash-mobs, Sitzstreiks und | |
Straßen-Blockaden in ganz Ägypten aufrief, um für den Tag X zu proben, den | |
Tag des Mubarak-Sturzes. Das bestätigen Mitglieder der Bewegung „6. April“. | |
In Tunesien, wo die Arabellion begann, kannte kaum jemand Popovic und seine | |
Methode. Mit der ägyptischen Revolte aber schaffte es das Canvas-Engagement | |
im arabischen Raum bis auf die Titelseite der New York Times, in | |
Primetime-Sendungen auf al-Dschasira, der BBC und der ARD. Ein arabischer | |
Blogger hat Gene Sharp und Popovic als Lawrences von Arabien bezeichnet. | |
Der Westen brauche immer seine weißen Helden. | |
## Es braucht keine überzeugten Pazifisten | |
Popovic hat den Kampf gegen das Böse auf der Welt, gegen Autokratie und | |
Diktatur im 21. Jahrhundert aufgenommen, er sieht sich in der Tradition des | |
gewaltlosen Widerstands von Ghandi und Martin Luther King. „Nur unsere | |
Methode braucht keine überzeugten Pazifisten. NVS heißt strategisch klug | |
gewaltlos Krieg führen.“ Nach dem Canvas-Drehbuch seien die Rosenrevolution | |
gegen Schewardnadse in Georgien, die orangene Revolution in der Ukraine und | |
die Zedernrevolution im Libanon abgelaufen – erfolgreich, versteht sich. | |
Auch Mohammed Nasheed habe man 2008 mit Canvas unterstützt, als dieser | |
erster demokratisch gewählter Präsident der Malediven wurde. Nasheed, | |
mittlerweile wieder gestürzt, versprach Popovic zur Belohnung eine Insel | |
des Archipels. „Democracy Island“ sollte sie heißen. Popovic wollte dort | |
ein NVS-Trainingszentrum errichten. | |
Der Arabische Frühling wird als Ritterschlag für Popovic und seine | |
NVS-Methode gesehen. Die Zeitschrift Foreign Policy wählte ihn im Dezember | |
unter die zehn wichtigsten „globalen Denker“ des Jahres 2011. „Ich müsste | |
eigentlich dicke Bücher über NVS schreiben. Nur dicke Bücher werden in der | |
Wissenschaft anerkannt“, scherzt Popovic. | |
Was in den Büchern überhaupt drinstehen könnte, ist nach sechs Stunden mit | |
Popovic so unklar wie vorher. Er hält sein simples Rezept für eine geniale | |
Idee, die Revolution in Ägypten für einen gewaltlosen NVS-Blitzkrieg und | |
weitere Fragen für überflüssig. Popovic muss noch einen Ring für die | |
anstehende Hochzeit kaufen und dann zum nächsten Flieger, zum nächsten | |
Vortrag vor Kadetten der Airforce-Academy in Colorado, venezolanischen | |
Dissidenten, Studenten der Columbia-Universität in New York, anderswohin. | |
## I love you guys | |
In Berlin hatte Popovic seinen Auftritt Mitte Januar bei der Böll-Stiftung. | |
„Demokratieförderung – Demokratieexport – Regime Change? Worum geht es b… | |
der externen Demokratisierung?“ war das Thema einer Podiumsdiskussion. | |
Popovic beginnt seine Rede mit „Great to be here, I love Berlin, I love you | |
guys.“ Dann fackelt er ein zehnminütiges rhetorisches Feuerwerk ab. | |
„Stellen Sie sich vor, jemand verpflichtet Sie im September 2010 in einer | |
bedeutenden Fernsehshow in einer Kristallkugel zu lesen und zu sagen, wie | |
es im Herbst 2011 auf der Welt aussehen wird. Und Sie sagen: ’Ben Ali und | |
Mubarak sind gestürzt, Bin Laden und Gaddafi tot und Mladic steht in Den | |
Haag vor Gericht; außerdem demonstrieren in Barcelona und New York | |
Zehntausende für soziale Gerechtigkeit.‘ Man hielte sie für verrückt. Nach | |
der Show würden Sie in eine Zwangsjacke gesteckt und in die Psychiatrie | |
gebracht.“ | |
Das ist ein Textbaustein von Popovic. Im Interview sagte er dasselbe, seine | |
Reden danach in Krakau, London, New York beginnen genauso. Im Vortrag | |
folgen Bilder von koptischen Hochzeiten auf dem Tahrir oder von Occupy auf | |
der Wall Street und Grafiken. Alles dient einem Zweck: zu belegen, dass der | |
gewaltlose Kampf die effiziente und nachhaltige Strategie politischer | |
Veränderung im 21. Jahrhundert ist. Verführerisch, schön, schlicht. | |
Dass kurz nach den Aufständen in Ägypten, Syrien, in der Ukraine oder auf | |
den Malediven nicht minder autoritäre Machtstrategen und korrupte Eliten | |
das Machtvakuum besetzen, interessiert Popovic nicht. Er zieht weiter. | |
17 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
E. Steinhilper | |
A. Weidner | |
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