| # taz.de -- Kolumne Fernsehen: Wenn das Telefon dreimal klingelt | |
| > Als Telefonjoker bei „Wer wird Millionär“ holt einen die eigene | |
| > Vergangenheit ein. | |
| Der zweite Anruf von Günther Jauch kam weniger überraschend, war dafür aber | |
| umso erfreulicher. Mein Freund Dominik hatte es doch tatsächlich auf den | |
| heißen Stuhl geschafft und vertraute nun darauf, dass ich ihn der Million | |
| ein Stückchen näher bringe. Ein schönes, aber auch ein wenig | |
| einschüchterndes Gefühl. | |
| Bei seinem ersten Anruf hatte Jauch mir höchstpersönlich auf die Mailbox | |
| gesprochen, um ein angefragtes Interview abzusagen – was zwar ein feiner | |
| Zug war, aber nichts daran änderte, dass er kein Interview zu seiner neuen | |
| ARD-Talkshow geben wollte. | |
| Beim zweiten Anruf saß ich in der Wohnung von Freunden in Hamburg. Der | |
| Festnetzanschluss meiner Freunde hatte den Qualitätsansprüchen von „Wer | |
| wird Millionär?“ nicht genügt. Meine Gastgeber waren verreist, ich war ganz | |
| allein, wie von der Produktionsfirma Endemol in den Instruktionen für | |
| Telefonjoker verlangt. Ich fror, es war Anfang März, und meine Gastgeber | |
| hatten vor ihrer Abreise die Heizung abgestellt. | |
| Wochenlang hatte ich mir zurecht gelegt, was ich sagen würde, wenn Jauch | |
| anruft. Ich wollte ihm doch noch ein Interview abluchsen, worauf er im | |
| Allgemeinen so viel Lust hat wie auf eine Wurzelbehandlung. Daraus wurde | |
| aber natürlich nichts, ich war froh, dass ich meinen Namen nicht vergaß, | |
| als es nach gut zwei Stunden endlich klingelte. Einmal, zweimal, dreimal, | |
| wie von Endemol gewünscht. Dann erst ging ich dran. | |
| An das Gespräch selbst konnte ich mich nur schemenhaft erinnern – bis ich | |
| dann am Montag die Sendung gesehen habe. Ich wusste, dass ich richtig | |
| geantwortet hatte und Dominik dank meiner Hilfe um 32.000 Euro reicher ist. | |
| Und dass ich gesagt habe, ich sei mir zu 95 Prozent sicher, dass es | |
| „Obolus“ heißt und nicht … – die andere Schreibweise ist mir schon wie… | |
| entfallen – und die letzte Unsicherheit meiner Aufregung geschuldet sei. | |
| Ich war ganz ehrlich. | |
| Natürlich ist es verboten, als Telefonjoker irgendwelche Hilfsmittel zu | |
| benutzen. Wenn das rauskommt, wird der Kandidat disqualifiziert. Dass es | |
| rauskommt, ist unwahrscheinlich – aber das ist schon die falsche Denke: | |
| „WWM“, wie wir Profis sagen, ist ein Spiel, und wer bei Spielen schummelt, | |
| verrät die Idee. Klar ging es um viel Geld, vor allem aber um die | |
| Herausforderung: Weiß ich’s, oder weiß ich’s nicht? Ich hatte Glück. Wir | |
| hatten Glück. | |
| Die Gratulanten waren Legion. Angeblich sieht ja keiner mehr fern, aber | |
| unseren Auftritt hatten die unterschiedlichsten Leute mitbekommen: | |
| gleichaltrige Freunde und Bekannte, aber auch mein früheres Kindermädchen | |
| Frau Beermann aus Köln-Pesch, an die ich mich noch weniger erinnere als an | |
| den zweiten Anruf von Günther Jauch. | |
| Frau Beermann war ein bisschen enttäuscht, erzählte mir, um meinem | |
| Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, dann aber noch, dass sie mich mit | |
| ihrem Sohn Volker aufs Klo geschickt habe, damit ich mir die Windeln | |
| abgewöhne. Mit zwei oder so. „Und schon waren Sie trocken“, sagte sie, | |
| immer noch ganz verliebt in ihre eigene Idee. Für eine Sekunde war ich | |
| berühmt. Ob Günther Jauch solche Anrufe auch bekommt? | |
| 22 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| David Denk | |
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