# taz.de -- Toter nach Nachbarschaftsstreit in Berlin: Zweifel an der Justiz | |
> Der Mann, der einen Jugendlichen in Berlin erstach, bleibt auf freiem | |
> Fuß. Die Polizei meint, er habe aus Notwehr gehandelt. Die Familie des | |
> Toten ist misstrauisch. | |
Bild: Hunderte Menschen begleiten den Trauermarsch von Yusef El A. | |
BERLIN taz | Am Ende sind es rund 400 Menschen, die am Freitag zur | |
Gedenkveranstaltung für Yusef El A. vor das Rathaus des Berliner Bezirks | |
Neukölln gekommen sind, die meisten sind türkischer und arabischer | |
Herkunft. Ein Vertreter der arabischen Vereine, der die Kundgebung | |
organisiert hat, ruft zu „Vertrauen, Besonnenheit, Toleranz und Liebe“ auf. | |
Das sei „die Basis für ein friedliches Zusammenleben“. | |
Die Mutter des 18-Jährigen, der vor zwei Wochen bei einem Handgemenge | |
erstochen wurde, findet dagegen deutliche Worte. „Ich wünsche mir | |
Gerechtigkeit“, sagt sie. Sie sei sehr enttäuscht und fühle sich in ihrer | |
Trauer nicht ernst genommen, kritisiert sie, an die Adresse der Behörden | |
gerichtet: „Wir wurden verurteilt.“ | |
Für Unverständnis sorgt bei Angehörigen und Freunden des Opfers noch immer, | |
dass der Mann, der Yusef El A. im Streit erstochen hat, weiter auf freiem | |
Fuß ist. Die Justiz geht davon aus, dass der Täter in Notwehr gehandelt | |
habe, als er den Jugendlichen dreimal mit dem Messer traf, und beantragte | |
deshalb keinen Haftbefehl. Sven N., ein 34-jährigen Familienvater aus dem | |
Kiez, erlitt bei der Auseinandersetzung einen Schädelbruch. Derzeit hält er | |
sich mit Hilfe der Polizei woanders auf, weil er Vergeltung fürchtet. | |
Der Tragödie vorangegangen war ein banaler Streit auf einem Fußballplatz, | |
der eskaliert war. Eine Gruppe von 20 Jugendlichen war daraufhin, mit | |
Messern bewaffnet, vor das Haus eines Freunds von Sven N. gezogen und hatte | |
diesen herausgefordert. Statt die Polizei zu rufen, ging Sven N. daraufhin | |
selbst mit einem Küchenmesser vor die Tür. Als er dort von den Jugendlichen | |
attackiert wurde, soll er um sich gestochen und dabei Yusef El. A. tödlich | |
getroffen haben. | |
Der Fall erregte weit über Berlin-Neukölln hinaus Aufmerksamkeit und | |
Anteilnahme. Vor zwei Wochen, als der Jugendliche auf dem islamischen | |
Friedhof der Sehitlik-Moschee in Neukölln beigesetzt wurde, hatten 3.000 | |
Menschen von ihm Abschied genommen – es war der größte Trauerzug, den der | |
Bezirk bis dahin gesehen hatte. | |
Seit dem Vorfall sind Sozialarbeiter, arabische Nachbarschaftsverbände und | |
die Polizei im Bezirk sehr darum bemüht, die Wogen zu glätten. Auch der | |
Vater des Opfers hatte an die Jugendlichen appelliert, von | |
Vergeltungsgedanken abzusehen und der Justiz zu vertrauen. Zum Zweifel an | |
der Entscheidung der Justiz trägt bei, dass das Opfer in seinem Viertel als | |
freundlich und fürsorglich bekannt war: Der 18-Jährige war sogar als | |
Streitschlichter engagiert, seine Mutter ist ehrenamtlich bei den | |
Stadtteilmüttern aktiv. | |
Der mutmaßliche Täter hingegen war wegen gefährlicher Körperverletzung | |
bereits vorbestraft und galt in seiner Neubausiedlung als aufbrausend. Die | |
Polizei glaubt dennoch, dass Yusef El A. an dem Streit nicht ganz | |
unbeteiligt war, und beruft sich auf Zeugen, die sagen, er habe ihn sogar | |
noch „aufgepeitscht“. Die Ermittlungen sind aber noch längst nicht | |
abgeschlossen. Mehr Gewissheit wird wohl erst das Gerichtsverfahren | |
bringen. | |
23 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
A. Wierth | |
D. Bax | |
## TAGS | |
Justiz | |
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