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# taz.de -- Deichkind-Konzert in Berlin: Leider mittelgeil
> Bei Deichkind ist das Konzert die Cashcow. Dafür performen sie am Ende
> „Illegale Fans“, ihren Song, der den Mausklick der Downloader zum
> Aufstand deklariert.
Bild: Eher Pauschalurlaubsbesäufnis als Partykollektiv: Deichkind-Konzert.
BERLIN taz | „Helmut Kohl will never die.“ Ein gutes Motto für einen
lustlosen Abend. Deichkind haben mit dem Song „99 Bierkanister“, aus dem
die Zeile stammt, die Bühne der C-Halle geentert. Ironisch weisen sie das
Publikum an: „Setzt euch!“, und zählen in Abwandlung von Nenas unangenehmem
Evergreen „99 Luftballons“ genüsslich Hässliches auf, das für sie die
achtziger Jahre markierte.
Begleitet von bollernden Beats und wabernden Keyboards reimen sie
Sauerkraut auf Underberg und Dirk Nowitzki auf Gartenzwerg. Das ist kurz
mal lustig, aber war Nowitzki wirklich Achtziger? Egal, die Zuschauerarme
schnellen sofort nach oben. Eine Ergebenheit, die im Verlauf des Konzerts
nie nachlassen wird, obwohl die Texte nur zu erahnen sind und der Sound
grauenvoll matschig bleibt. Absicht?
Früher hieß die C-Halle Columbiahalle und noch früher, etwa in den 16
Regierungsjahren von Helmut Kohl, lebten Popkünstler vor allem durch ihre
Albumverkäufe, da waren Konzerte wie dieses hier eher Nebenerwerb. Bei
Deichkind ist das Konzert die Cashcow. Im Vorverkauf kosten die Tickets 35
Euro. „99 Bierkanister“ ist noch nicht zu Ende, da stürmen Zuschauer
bereits an den Merchandising Stand, um T-Shirt-Impulskäufe zu tätigen.
Vielleicht noch ein Getränk gefällig? Macht zusammen mit Eintritt und
T-Shirt 60 Euro pro Nase.
Und bald laufen dann auch Zuschauer mit deckungsgleichen „Leider
Geil“-Band-T-Shirts durch die Reihen. Die Halle ist ausverkauft, zwei
Stockwerke, bestimmt 3.000 Zuschauer, für Berliner Verhältnisse ein
erstaunlich gemischtes Publikum jenseits aller Kiezgrenzen. Von
barhäuptigen monströs tätowierten BFC-Hooligans zu angejahrten
Rave-Komantschen, von stecknadeldünnen Indierockern in Slimfit-Röhrenjeans
zu Leuchtstäbe schwenkenden Mädchen.
## Nonplusultra des Poprebellischen
Eltern, Kulturschickeria, Antifas mit Mottoumhängetaschen genauso wie ganze
Werbeagentur-Belegschaften, die anscheinend ihre Afterwork-Party hierher
verlegt haben und aus voller Kehle „Bück dich hoch“ mitgrölen. Auch wegen
dieses Deichkind-Songs, der den Leistungsdruck der Kreativbranche in catchy
Slogans fasst, wird die Hamburger Band in den Mainstream-Medien als
Nonplusultra des Poprebellischen angepriesen.
Vor der Bühne Ekstase, bisweilen schlägt die Stimmung aber in
Stadionatmosphäre um, ein stetiges Schubsen, Drängeln, Grölen, viele werfen
Leuchtstäbe auf die Bühne. Mittleres Aggrolevel, eher
Pauschalurlaubsbesäufnis als Partykollektiv. Offensichtlich haben
Deichkind-Fans einen Ruf zu verlieren, ganze Gruppen saufen wie
Wasserbüffel und die totale Verausgabung der Bierfraktion fordert den einen
oder anderen Tribut. Sanitäter sind im Dauereinsatz.
An den Wänden haben Deichkind vorsorglich Plakate mit einem Warnhinweis
anbringen lassen. Allergiker werden etwa darauf hingewiesen, dass die Band
vielleicht mit Daunen experimentieren wird. Sie bitten die Zuschauer,
anständig miteinander umzugehen. An diesem Abend bleibt es friedlich. Das
bestätigt auch ein Polizist, der den Reporter mit den Worten „Sie sind aber
nicht vom Boulevard, wa?“ begrüßt. Derweil feuert die Band mit großen
Pumpguns Wasser auf ihre Fans.
Die Deichkind-Rebellion ist exakt durchchoreografiert. Kaum Ansagen, keine
Pausen, einzelne Songs entsprechen eher Filmtrailern mit kleinen
Geschichten, Kostümen, Gimmicks und Tanzschritten. Mal fassen sich
Deichkind an den Händen und hopsen im Kreis. Mal stehen sie auf Säulen, wie
bestellt und nicht abgeholt. Ein weißes Pferd hier, eine Sonnenbank da,
getaucht in fiese Neonfarben. Nicht nur Geiz ist geil. Die Rumpelkammer ist
auch geil. Und das Sinnlose an sich.
## Zwischen Ra-Ra-Rasputin und Fernsehballett
Als Deichkind-Rapper Porky beim Song „Dicker Bauch“ seine Wampe
präsentiert, wird diese Banalität mit tosendem Applaus quittiert. Auch
wegen ihrer zur Schau gestellten mauen Einfälle und Playbackhaftigkeit sind
Deichkind so beliebt. Zwischen Ra-Ra-Rasputin und Fernsehballett, zwischen
Jogginghosen und Catsuits, verwendet werden nur abgeschmackte Farben. Die
Band präsentiert ihren Plunder mit triumphaler Großwildjägergeste.
Es ist nicht das Finale, aber als Höhepunkt vor der Zugabe angelegt: Unter
zuckendem Stroboskop und Trockeneisnebel leiten Deichkind „Illegale Fans“
ein, ihren Song, der den Mausklick der Downloader zum Aufstand deklariert.
Frenetischer Jubel. „Ich versteh überhaupt nicht, was der da singt“, sagt
ein Mädchen zu ihrer Freundin und springt wie ein Flummi in die Luft.
27 Mar 2012
## AUTOREN
Julian Weber
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