# taz.de -- Begräbnis des Attentäters von Toulouse: Lästige Leiche | |
> In diesen Tagen soll Mohamed Merah, der Attentäter von Toulouse, beerdigt | |
> werden. Wie soll man mit dem Leichnam des Amokläufers umgehen? | |
Bild: Die Frage der Beisetzung ist für die französischen Behörden eine peinl… | |
Falls es eine Moral dieses Terrordramas von Toulouse gibt, dann zuerst | |
eine, die sehr zynisch klingt: Für die Politiker, die mit ihren | |
Law-and-Order-Parolen Kapital schlagen wollen, ist nur ein toter Terrorist | |
ein guter Terrorist. Da Mohamed Merah am Ende einer misslungenen Festnahme | |
erschossen wurde, kann er sich nie mehr äußern. Er wird damit zum stummen | |
und ziemlich skrupellos instrumentalisierten Anlass von Polemik. | |
Ein anderes Problem aber ergab sich mit dem blutigen Ende der quasi live im | |
Fernsehen inszenierten Polizeioperation: Was soll mit der Leiche der | |
islamistischen Terroristen geschehen? Der Vater jenes erschossenen | |
Attentäters, der sieben Menschenleben (davon drei Kinder) auf dem Gewissen | |
hat, forderte eine Überführung der sterblichen Überreste seines Sohns nach | |
Algerien, wo er selber lebt. | |
Dieser etwas überraschende Wunsch kam Frankreichs Behörden sehr entgegen, | |
denn für sie war die Frage der Beisetzung eine peinliche Affäre. Niemand | |
wollte bei sich einen solchen Verbrecher auf dem Friedhof „in Frieden | |
ruhen“ lassen. Es ist zu befürchten, dass Merah nach seinem gewaltsamen Tod | |
als „Dschihadist“ mit der Waffe in der Hand von ähnlich Gesinnten als | |
„Märtyrer“ verehrt wird, die aus seinem Grab eine Art Pilgerstätte machen | |
könnten, was einer unerträglichen und inakzeptablen Beleidigung und | |
Verhöhnung der Opfer gleichkäme. Darum atmete man in Toulouse und Paris | |
auf, als für Donnerstag alles für eine Überführung nach Algerien | |
organisiert war. | |
Obschon sich Merahs Mutter und Schwester dieser Lösung widersetzten und | |
eine Bestattung in der Nähe ihres Wohnorts verlangten, gab auch das | |
algerische Konsulat in Paris die Zustimmung zum Leichentransport übers | |
Mittelmeer. Nur hatte man in Frankreich die Rechnung ohne den Bürgermeister | |
des algerischen Dorfs gemacht, in dem anschließend die Beerdigung | |
vorgesehen war. Dieser lehnte es nämlich aus Gründen der öffentlichen | |
Ordnung kurzerhand ab, Mohamed Merah auf seinem Friedhof aufzunehmen. Er | |
nahm damit die französischen Kollegen in Toulouse in die Pflicht, selber | |
eine Lösung zu finden. | |
## Verhängnisvolle Konfusion | |
Sichtlich peinlich war diese Streitfrage um die letzte Ruhestätte eines | |
Gewaltverbrechers auch dem Rektor der Pariser Moschee. Dieser stand vor | |
einem Dilemma. Er musste natürlich aus religiösen Gründen das Recht auf | |
eine menschenwürdige und den Glaubensvorschriften entsprechende Beisetzung | |
eines gläubigen Muslims verteidigen, musste jedoch auch um jeden Preis | |
vermeiden, dass dadurch die verhängnisvolle Konfusion zwischen Islam und | |
der extremistischen Gewalt eines „Dschihadisten“ noch zusätzlich gefördert | |
wurde. | |
Zuletzt scheinen sich nun alle darauf geeinigt zu haben, die geradezu | |
lästig gewordene Leiche so diskret wie nur möglich in einem anonymen Grab | |
auf einem Friedhof außerhalb von Toulouse im einem muslimischen Teil | |
beizusetzen zu lassen. | |
Das makabre Hin und Her steht für eine seit Jahrzehnten ungelöste | |
grundsätzliche Frage in Frankreich. Die seit 1905 geltende strikte Trennung | |
von Staat und Religionen verbietet es den Behörden der Republik, sich in | |
Kultfragen einzumischen. Das betrifft unter anderem nicht nur den Bau von | |
Moscheen, sondern auch die Einrichtung von spezifischen Friedhöfen. Nicht | |
zuletzt aus diesem Grund lassen viele Immigranten aus Algerien oder | |
Marokko, nachdem sie ihr ganzes Familien- und Berufsleben im Gastland | |
Frankreich verbracht haben, ihre Gebeine in der fernen Heimat beerdigen. | |
Sie erfüllen sich damit einen (letzten) Traum von einer Heimkehr aus dem | |
„Exil“. Das gehörte nie zu den Plänen eines Mohamed Merah, der nicht | |
Arabisch sprach und das Dorf seines Vaters nur von einem kurzen | |
Urlaubsbesuch kannte. Seine Bestattung ist für weltliche und religiöse | |
Institutionen in Toulouse zum Albtraum geworden. | |
29 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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