# taz.de -- Kita-Forscher über frühkindliche Bildung: „Das Geschlecht spiel… | |
> Holger Brandes untersucht, welche Rolle Männer in den Kindergärten | |
> wirklich spielen. Sie wirken mehr als Herausforderer, während Frauen eher | |
> bindungsorientiert sind. | |
Bild: Es macht einen Unterschied, ob der Im-Kreis-Schleuderer ein Mann ist. | |
taz: Herr Brandes, brauchen Kinder „mehr Männer in Kitas“? | |
Holger Brandes: Ja – einfach schon deshalb, weil es nur wenige Männer in | |
Kitas gibt. Die Auffassung, nach der frühe Kindererziehung Frauensache sei | |
und Männer bestenfalls für ältere Kinder gebraucht werden, entspricht weder | |
dem heutigen Geschlechterverhältnis noch dem aktuellen Erkenntnisstand über | |
kindliche Entwicklung. Kindgemäße Erziehung setzt insbesondere | |
Feinfühligkeit, Fürsorglichkeit und Dialogfähigkeit sowie Sensibilität für | |
individuelle Entwicklungsbesonderheiten von Kindern voraus. Dies sind | |
geschlechtsunabhängige Qualitäten, die nicht etwa biologisch begründet | |
sind, sondern im Lebenslauf und in professioneller Ausbildung erlernt | |
werden. | |
Machen Erzieher im beruflichen Alltag etwas anders als Erzieherinnen? | |
Es spricht viel dafür, dass Männer zwar das Gleiche machen wie Frauen, aber | |
in einer etwas anderen Weise. Wir haben Hinweise darauf, dass zum Beispiel | |
Väter in der Erziehung ihrer Kinder mehr als Herausforderer wirken, während | |
Mütter stärker bindungsorientiert handeln. Ob sich dies auch in der | |
professionellen Erziehung auswirkt, ist noch nicht belegt. Bisher wissen | |
wir wissenschaftlich abgesichert kaum etwas über tatsächliche Unterschiede | |
im professionellen pädagogischen Handeln. Zwar reagieren Kinder häufig | |
begeistert auf Männer in Kitas, aber das kann einfach damit zusammenhängen, | |
dass diese so selten und außergewöhnlich sind. | |
Welche Bedeutung hat es für die weitere Sozialisation von Kindern, wenn | |
Männer verstärkt als Erzieher tätig sind? | |
Auch hierzu gibt es bislang keine aussagekräftige Forschung. Wir wissen | |
lediglich, dass Kinder im Alter zwischen 3 und 6 Jahren in hohem Maße an | |
Geschlechtsunterschieden interessiert sind und untereinander sowie im | |
Umgang mit Erwachsenen sehr hierauf achten. Vielfach wird angeführt, dass | |
insbesondere Jungen in ihrer Entwicklung darunter leiden, wenn sie in den | |
ersten Lebensjahren nur von Frauen, also alleinerziehenden Müttern, | |
Erzieherinnen, Lehrerinnen umgeben sind und dies die Ursache für zunehmende | |
Bildungsrückstände und Verhaltensauffälligkeiten von Jungen sei. Das ist | |
bestenfalls eine plausible Annahme – an Forschungsbelegen fehlt es. | |
Muss man daraus schließen, dass das Geschlecht der Fachkräfte gar keine | |
Rolle spielt? | |
Es spielt eine Rolle – das zeigt sich bei aller Vorläufigkeit einer solchen | |
Aussage bereits in unserer Untersuchung: In unseren Videoaufnahmen gibt es | |
Schlüsselszenen, wo etwa die Auswahl des Spielmaterials wie auch der Umgang | |
hiermit deutlich sowohl vom Geschlecht der Fachkräfte beeinflusst sind als | |
auch vom Geschlecht des Kindes. Hier kommt es zu einem manchmal sehr | |
intensiven Austausch über Vorlieben oder Neigungen, die | |
geschlechtsstereotypen Orientierungen entsprechen. Aber es zeigt sich auch, | |
dass gerade in solchen Szenen die Erzieher und Erzieherinnen eher | |
unreflektiert handeln und nicht nach professionellen Standards. Es gibt | |
also Unterschiede, diese sind aber nur punktuell sichtbar und den Akteuren | |
häufig nicht bewusst. | |
Sie bauen an Ihrer Hochschule einen eigenen Studiengang auf. Wird das zu | |
einer höheren Zahl an Männern führen – und auch zu einer besseren | |
Bezahlung? | |
Die Aufwertung und bessere Bezahlung dieser Tätigkeit ist gänzlich | |
unabhängig vom Geschlecht der Fachkräfte. Auch die Umstellung der | |
Ausbildung auf Hochschulniveau ist unabhängig hiervon und hat mehr damit zu | |
tun, dass wir zunehmend erkennen, welche Schlüsselrolle Erziehung und | |
Bildung in den ersten Lebensjahren der Kinder zukommt und dass die hierbei | |
zu leistende pädagogische Arbeit höchst anspruchsvoll ist und einer | |
wissenschaftlichen Fundierung bedarf. Dass diese Fragen im Zusammenhang mit | |
der Diskussion um männliche Erzieher aufgeworfen werden, zeigt, dass es in | |
Sachen Geschlechtergerechtigkeit oder Gender Mainstreaming noch einiges zu | |
tun gibt. | |
Wie kann man mehr Männer gewinnen? | |
Das wird meines Erachtens davon abhängen, wie sich das öffentliche Bild von | |
Männern und Männlichkeit entwickelt und ob es gelingt, dieses nachhaltig um | |
Qualitäten wie Feinfühligkeit, Sensibilität, Fürsorglichkeit und | |
Pflegefähigkeit zu erweitern. | |
3 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gesterkamp | |
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