Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rollenmuster in Kita soll aufbrechen: Schränke mit Herz
> Die Regierung sucht männliche Erzieher. Die Medien aber verharren im
> Stereotyp: Sie sehen den „starken Mann im Kindergarten“ - außen hart und
> innen ganz weich.
Bild: Gefragt: männliche Erzieher.
Christian Roy-Chowdhury ist „ein Mann wie ein Baum“. Ein Meter neunzig ist
er groß und „mehr als zwei Zentner schwer“. „Das dunkle schulterlange Ha…
hat er „zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden“. Der 38-Jährige ist
Erzieher in der integrativen Kindertagesstätte Dormagen-Stürzelberg im
Kreis Neuss. „Auf Feten machen sich meine Freunde manchmal den Spaß, Leute
meinen Beruf erraten zu lassen“, erzählt Roy-Chowdhury schmunzelnd der
Rheinischen Post. Im Privatleben ist der Pädagoge „begeisterter
Motorradfahrer“. Im Job hat er Ideen, die seinen Kolleginnen „eher
fernliegen“: „Feuer machen, mit Wasser spritzen, Fußball spielen – da ist
der Kindergärtner in seinem Element“.
Wolfgang Pomierski weiß, „wie man Besenstiele in Pferde verwandelt. Er
reißt Fahrkarten für Busse ab, die aus vier Holzstühlen bestehen.“ Der
50-jährige Erzieher aus der Kita Fünfhandbank in Essen-Kray ist ein
„fantastischer Geschichtenerzähler“ – und „ein Budenbauer, einer, mit …
man wild toben und auf Bäume klettern kann“. Die Westdeutsche Allgemeine
Zeitung jubelt schon in der Überschrift: „Wild sein mit Wolfi“.
Auch die Mütter sind angetan: Männliche Erzieher, erzählt eine, „lassen den
Kindern mehr Freiräume, trauen ihnen mehr zu und sind auch oft
entspannter“. Dank energischer männlicher Initiative geht man in der
Essener Kita „auch bei Regen raus“ – oder zumindest in den Räumen der
Tagesstätte auf „Fantasiereisen, bei denen die Kinder im Cockpit sitzen“.
## Frau mit Bart
Michael Oehme war früher Gebäudereiniger und Maschinenführer in einer
Kabelfabrik. Der 43-jährige „Quereinsteiger“ ist jetzt Fachkraft in der
Kita Franz-Wallraff-Straße in Aachen-Brand. Manchmal rasiert er sich
tagelang nicht, weil „die Kinder das toll finden. Eine Frau mit Bart gibt
es hier nicht.“ Pädagogisch wertvolles Spielen mit Rasierschaum am lebenden
Objekt: Die Kleinen aus der gelben Gruppe dürfen Oehmes Gesicht dick
eincremen – „eine gute Übung für den Tastsinn“, loben die Aachener
Nachrichten.
Auch wenn sich die Pausengespräche in seiner weiblich geprägten Umgebung
„um Brust-OPs drehen“, bleibt der „einzige Mann unter 15 Frauen“ wunder…
gelassen. „Er zickt nicht so rum wie manche Frauen“, sagt eine Kollegin.
Das ist der Reporterin prompt die Schlagzeile wert.
Drei Beispiele für Berichte über das Thema „Mehr Männer in Kitas“. Seit …
Bundesregierung dazu ein Millionen-Euro- schweres Programm aufgelegt hat
(Kasten), porträtieren vor allem Regionalzeitungen das exotische männliche
Personal. Die Erzieher sind meist jung, die Älteren haben vorher oft in
einem „typisch männlichen“ Beruf gearbeitet. Manche kommen gar von der
Bundeswehr: Statt in der Kaserne oder auf Patrouille liegt ihr „Einsatz im
Sandkasten“, titelt griffig die Financial Times Deutschland.
Die Autorinnen, fast immer sind es Frauen, bemühen sich redlich, gegen
Abwertungen wie „Weichei“ und „Weiberkram“ anzuschreiben – und tappen
gerade deshalb in die Falle. Indem sie männliche Erzieher als traumhafte
Tausendsassas präsentieren, zementieren sie gängige Stereotype über die
Unterschiede zwischen dem Geschlechtern. Den pädagogischen Superhelden
gelingt die Quadratur des Kreises. Sie sind Schränke mit Herz, Vorbilder
fürs Grobe und dennoch fürsorglich. Willi Göbel, Sozialpädagoge und Leiter
der städtischen Kita Hunoldstraße in Köln-Porz, war vor 37 Jahren „einer
der Ersten im Frauenberuf“.
## Schleichende Zweifel
Der „Hüne“ fand es damals „gewöhnungsbedürftig, auf Kinderstühlchen zu
sitzen“ und „in den Pausen zwischen all den strickenden Frauen Zeitung zu
lesen“. Männer studieren im Aufenthaltsraum die mediale Weltlage, Frauen
vergnügen sich derweil mit Handarbeit. „Willi Göbel ist keine Basteltante�…
verkündet die Kölnische Rundschau. Der männliche Pädagoge hat
durchgegriffen. Die „beziehungslosen Basteleien, zum Beispiel für den
Muttertag“, hat er kurzerhand abgeschafft. Bartträger basteln nicht, sie
bauen!
In der Sendung „nano“ auf 3sat zeigt ein Erzieher umringt von Kindern, wie
die Maschine funktioniert. Im „Länderreport“ von Deutschlandradio Kultur
hat selbstredend die männliche Fachkraft für eine Kita in Brandenburg den
technischen Baukasten angeschafft. „Zwei Zahnräder auf einem hölzernen
Steckbrett. Johanna dreht am Schwungrad, ein hölzerner Zapfen springt von
Zahn zu Zahn.“ Den „Erfolg für die kleine Ingenieurin“ darf Kevin Kühne…
sich verbuchen. Der Erzieher ist auch zur Stelle, „wenn das Bobby-Car ein
Rad verloren hat“.
Männer in Kitas kennen sich mit Technik aus, sie toben und raufen, machen
Schneeballschlachten und sind Fußballfans. Festschreibungen dieser Art
finden sich vor allem dann, wenn Berichte mit bester Absicht vermitteln
wollen, was Männer im Umgang mit Kindern vielleicht anders machen. Das
Ergebnis ist der echte Kerl, der „starke Mann im Kindergarten“, wie ihn die
Neue Osnabrücker Zeitung nennt.
Ein Aspekt fällt dabei meist unter den Tisch: wie die Angst, als
potenzieller Pädokrimineller zu gelten, Männern die Entscheidung für den
Erzieherberuf erschwert. Das Thema „sexueller Missbrauch“ durch
pädagogische Fachkräfte passt nicht in das gezeichnete Idealbild des
weichen, aber zugleich risikobereiten und handwerklich versierten
männlichen Alleskönners. Eine Ausnahme von der Regel bildet hier die
Zeitschrift Eltern: Einen sehr skeptischen Bericht über Erzieher in
Kindertagesstätten garnierte das Blatt mit Schlagzeilen wie „Schleichende
Zweifel“ und „Dürfen Männer wickeln?“
3 Apr 2012
## AUTOREN
Thomas Gesterkamp
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.