# taz.de -- Kony-Milizen marodieren in Zentralafrika: Dem Warlord auf der Spur | |
> „Wir töten alle“, drohen die Kämpfer von Joseph Kony, all der | |
> internationalen Öffentlichkeit zum Trotz. Im Nordosten des Kongo | |
> entvölkert sich ein Dorf nach dem anderen. | |
Bild: „Sie benutzen uns wie Bruthennen“. Die 17-Jährige Marie mit ihrem So… | |
GANGALA NA BODIO/DUNGU taz | Töpfe stehen noch auf der Feuerstelle, Wäsche | |
hängt an der Leine. Doch keine Frauen kochen Essen, keine Kinder spielen, | |
keine Männer schleppen Holz herbei. Diese Dörfer im Nordosten der | |
Demokratischen Republik Kongo sehen aus, als seien sie hastig verlassen | |
worden. | |
Drei holprige Straßen führen im nordostkongolesischen Distrikt Dungu nahe | |
der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik und Südsudan durch Regenwald – | |
eine Region so groß wie Belgien. In diesem verlassenen Winkel gibt es kein | |
Handynetz und kein Strom. | |
Die Hauptverkehrsachse zwischen den Kleinstädten Faradje und Dungu haben | |
UNO-Blauhelme instand gesetzt. Alle paar Wochen wirbeln Lastwagenkolonnen | |
mit Lebensmitteln Staub auf, begleitet von einem Konvoi marokkanischer | |
Soldaten. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) wagt sich nur mit | |
militärischem Begleitschutz diese Straße entlang. Täglich fliehen | |
Kongolesen aus den abgelegenen Dörfern. | |
Die UNHCR-Mitarbeiter haben die Dschungeldörfer nach der Entfernung von | |
Dungu gekennzeichnet: „Die Hütten auf Kilometer 7 wurden am 10. März | |
angegriffen“, erklärt ein lokaler UNHCR-Mitarbeiter, als der Konvoi an | |
leeren Häusern vorbeirauscht. Er zieht eine Liste hervor: Kilometer 23 | |
wurde am 8. März angegriffen, Kilometer 55 am 10. und am 24. Februar. Die | |
Liste ist fünf Seiten lang. | |
Allein im März wurden rund 70 Übergriffe gemeldet. Nach knapp einem Jahr | |
relativer Ruhe sind die ugandischen Rebellen der LRA (Widerstandsarmee des | |
Herren) des international gesuchten Warlords Joseph Kony seit Beginn dieses | |
Jahres zurück im Nordosten des Kongo, aus dem sie 2009 Richtung Südsudan | |
und Zentralafrikanische Republik geflohen waren. In kleinen Gruppen | |
durchstreifen sie den Dschungel südlich des Garamba-Nationalparks. | |
## „Sie kamen in der Nacht“ | |
Bei Kilometer 55 hocken ein Dutzend junge Männer am Straßenrand. Die | |
Lehmhütten hinter ihnen sind verwaist. Die Schule ist von Kugeln | |
durchlöchert, die Krankenstation geplündert. Ein gelähmter Junge kauert | |
hilflos vor einer Hütte. Seine Familie hat ihn bei der Flucht | |
zurückgelassen, jetzt kümmern sich die Männer um ihn. | |
„Sie kamen in der Nacht“, erzählt einer stotternd über den LRA-Angriff. Es | |
seien knapp 30 Kämpfer gewesen, darunter fünf Kindersoldaten. „Sie gingen | |
von Haus zu Haus und nahmen alle Lebensmittel mit.“ Alle Bewohner seien | |
geflohen. „Doch wir bleiben hier.“ | |
Bei Kilometer 77 steht eine Kirche aus roten Ziegelsteinen, rundherum | |
Hütten aus Bananenblättern. Das ist das Dorf Gangala na Bodio, wohin sich | |
5.000 Vertriebene gerettet haben. Ihre Unterkünfte halten dem Tropenregen | |
kaum stand. | |
„Unsere Situation ist miserabel“, klagt Dorfvorsteher Cleophas | |
Pambalanimbu. Der hagere Mann zeigt die Straße in Richtung Dungu hinauf: | |
„Die Händler können nicht in die Stadt fahren, die Bewohner können die | |
Ernte nicht einholen“, seufzt er. | |
Die Flüchtlinge haben sich hierher gerettet, doch in Sicherheit sind sie | |
nur bedingt. Aus der Tasche zieht Pambalanimbu einen Brief. „Diese | |
Botschaft hat uns die LRA hinterlassen“, sagt er und liest vor: „Alle | |
Leute, die fliehen; alle Leute, die Soldaten unterstützen; alle, die Waffen | |
tragen und nach uns suchen; alle, die uns den Soldaten ausliefern; alle, | |
die uns Lebensmittel verweigern; alle, die eine Machete gegen uns erheben – | |
sie alle werden wir töten.“ | |
## „Soldaten kamen und schossen“ | |
Vor einer windschiefen Hütte sitzt Mboliundi Danambu und vergräbt das | |
Gesicht in den Händen. Der junge Mann kam vor wenigen Wochen mit Frau und | |
zwei Kindern hierher. Er hatte gehört, dass hier Soldaten seien. „Ich | |
dachte, wir sind sicher.“ Dann ging er hinaus auf das Maniokfeld – und lief | |
fünf LRA-Kämpfern in die Arme. Sie befahlen ihm, die Maniokwurzeln in den | |
Dschungel zu tragen. „Dann kamen Soldaten und schossen, ich konnte | |
flüchten“, sagt er. Seine Hände zittern, er riecht nach Alkohol. Er könne | |
vor Angst nicht schlafen, gibt er zu. Als er kürzlich etwas Lautes hörte, | |
habe er sich im Bananenhain versteckt. | |
Ein Mann kommt gelaufen und klopft Danambu auf die Schulter. Patrice Yeyemi | |
kümmert sich als Sprecher der Vertriebenen um deren Interessen. Yeyemi ist | |
in den vergangenen fünf Jahren selbst dreimal vor der LRA geflohen. „Es ist | |
schwer, jedes Mal woanders bei null anzufangen, wenn man Haus, Erntevorräte | |
und Kleidung liegen lassen muss, um sein Leben zu retten“, erklärt er. | |
Immerhin sei die LRA heute weniger brutal als früher. Einst massakrierten | |
sie ganze Dörfer und schnitten denjenigen, die Alarm schlugen, Lippen, | |
Nasen und Ohren ab. „Heute töten sie nicht, sie verletzten niemanden – sie | |
stehlen nur unsere Lebensmittel“, sagt Yeyemi. Doch die Menschen trauten | |
sich nicht einmal auf die Äcker: „Wir verhungern im Anblick unserer | |
erntereifen Maniokfelder.“ | |
Hinter vorgehaltener Hand flucht Yeyemi über die kongolesischen Soldaten, | |
denen es nicht gelinge, die LRA zu besiegen. Ob er von den US-Beratern | |
gehört habe, die helfen sollen? Er macht große Augen. „Wir haben davon | |
nichts erfahren, geschweige denn diese Soldaten je gesehen.“ | |
Die Unterkünfte der Armee in Gangala na Bodio sehen nicht besser aus als | |
die der Vertriebenen aus geflochtenen Bananenblättern. 800 Soldaten hausen | |
in Zelten. Ihr Kommandeur, Hauptmann Charles Lwanga, düst mit einem | |
Motorrad zwischen dem Militärlager und den Checkpoints am Dorfrand hin und | |
her. „Alles scheint ruhig zu sein. Wenn wir die LRA sehen, jagen wir sie“, | |
ruft er und braust davon. | |
Sicherheit vermittelt in Gangala na Bodio nicht das Militär. Die | |
katholische Caritas hat mit Spenden der US-Organisation Invisible Children | |
für die Dörfer einen Hochfrequenzsender installiert und Funkgeräte | |
verteilt. Zweimal am Tag schicken nun Kirchenvertreter Lageberichte nach | |
Dungu. | |
## Warnungen über Funk | |
In Gangala na Bodio macht das Jean Paul Buga. Der Mann sitzt in einem | |
kleinen Büro im Seitenflügel der Kirche und funkt nach Dungu. „Bei uns ist | |
heute alles ruhig, wie ist die Lage in den anderen Dörfern?“, fragt er in | |
das Funkgerät. „Keine Alarmmeldungen heute bislang – bitte melde dich am | |
Abend wieder, Ende“, dröhnt es zurück. Sobald irgendwo LRA-Kämpfer | |
gesichtet werden oder Übergriffe stattfinden, meldet dies die Caritas über | |
die lokalen Frequenzen, um alle Menschen im Umfeld zu warnen. | |
Wer es irgendwie schafft, der flüchtet in die Kleinstadt Dungu. Das einst | |
florierende Händlerstädtchen, in dem zu Kolonialzeiten griechische und | |
arabische Händler Waren zwischen Sudan und Kongo umschlugen, wirkt heute | |
wie das Ende der Welt. Jenseits der Lehmhütten gibt es nur noch Dschungel. | |
Die staatlichen Strukturen reichen schon lange nicht mehr in diesen Winkel | |
des Kongo. Gerade einmal fünf Polizisten gibt es. Die Türen zum städtischen | |
Verwaltungsgebäude sind geschlossen. | |
Schutz bietet hier die UN-Blauhelmmission und die 391. kongolesische | |
Armeebrigade. Diese Einheit wurde vom US-Militär trainiert. Den Unterschied | |
sieht man auf den ersten Blick. Im Gleichschritt, das Gewehr ordentlich im | |
Anschlag, marschieren die Männer die staubige Straße hinab, die zur | |
Flugpiste führt. | |
## Die diskreten US-Berater | |
Entlang der Landebahn hat sich die UNO eingerichtet. Was noch vor drei | |
Jahren ein Feldlager mit stickig heißen Zelten war, ist nun eine Siedlung | |
aus klimatisierten Bürocontainern. Drinnen brüten UN-Geheimdienstler über | |
einer Landkarte. An der Wand hängen die Haftbefehle aus Den Haag mit den | |
Fotos von LRA-Führer Kony und seinen höchsten Kommandeuren. Zwei | |
amerikanische „Berater“ sitzen dabei. Sobald sie Journalisten sehen, | |
stürzen sie aus den Raum. | |
Es scheint, so die UN-Erkenntnisse, als würde sich keiner der hochrangigen | |
Kommandeure oder gar Kony selbst im Kongo aufhalten. Er sei Hunderte | |
Kilometer weiter nördlich, an der Grenze zwischen der sudanesischen Region | |
Darfur und der Zentralafrikanischen Republik. Rund um Dungu werden etwa 60 | |
LRA-Kämpfer vermutet, die in drei Gruppen durch die Wälder streifen. Aber | |
vor ihnen sind Zehntausende auf der Flucht. | |
Dungu ist sicher, weil sich in der Stadtmitte eine schmale Brücke über die | |
Stromschnellen schwingt. Der LRA ist es noch nie gelungen, den Fluss nach | |
Süden zu überqueren. Direkt neben der Brücke am Nordufer thront die Ruine | |
eines zerfallenen Schlösschens aus belgischer Kolonialzeit. Heute hausen im | |
Schlossgarten marokkanische Blauhelmsoldaten in Zelten. Die Brücke wird Tag | |
und Nacht bewacht. | |
Weil Dungu sicher ist, erstickt die Kleinstadt unter den 20.000 | |
Vertriebenen. Ende 2011 gab es hier nur vier Flüchtlingslager, jetzt sind | |
es zwölf. Am Stadtrand wurden Bäume gefällt und der Dschungel wird | |
abgefackelt, um Platz zu schaffen. Dazwischen wurden Löcher für Plumpsklos | |
gebuddelt und mit geflochtenen Stellwänden abgeschirmt. | |
## 12.000 Tonnen Lebensmittel | |
Auf einem großen Platz nahe der Schule stehen Tausende Frauen und Männer in | |
der Mittagshitze Schlange. Namen werden aufgerufen, Säcke mit Maismehl und | |
Erbsen von Lastwagen gehievt. Das UN-Welternährungsprogramm WFP verteilt | |
12.000 Tonnen Maismehl, Erbsen, Öl, Salz. Drei Wochen benötigen die Lkws | |
vom kenianischen Hafen Mombasa, wo die Lebensmittel per Schiff angeliefert | |
werden, über Uganda und matschige kongolesische Straßen. | |
Unter einer Zeltplane über Bambusstöcken sitzt die 17-jährige Marie auf | |
einem Schemel und schmiegt ihren zweijährigen Sohn an sich. Marie wurde | |
2008 von der LRA aus ihrer Schule entführt, gemeinsam mit Hunderten | |
Klassenkameradinnen. „Sie haben uns wie Sklaven an einem Seil | |
aneinandergebunden und in den Busch gezerrt“, erinnert sie sich. | |
Am ersten Tag ihrer Gefangenschaft sei sie LRA-Führer Kony begegnet. „Wir | |
mussten uns vor ihm aufstellen und er hat uns sortiert“, erzählt sie | |
schüchtern. Die geschlechtsreifen Mädchen seien den Kämpfern als Frauen | |
gegeben worden, die jüngeren als Arbeitssklaven. Als 14-Jährige gehörte sie | |
zu den Älteren, sie wurde einem ugandischen Kämpfer zugeteilt und gebar | |
zehn Monate später ihren Sohn. | |
„Sie benutzen uns wie Bruthennen, um ihre Kinder zu gebären“, sagt Marie | |
leise. So züchtet Kony im Kongo die nächste Generation seiner Kämpfer. | |
4 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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