# taz.de -- 30 Jahre Die Toten Hosen: „Ich hab das alles im Herzen“ | |
> Walter November war dabei, als alles anfing bei den Toten Hosen. Ein | |
> Gespräch über Bommerlunder, zerstörte Platten und wie man in Ruhe ein | |
> Rebell bleibt. | |
Bild: Breiti, Wölli, Campino, Andi und Kuddel: Die Toten Hosen, 1996. | |
taz: Herr November, Sie waren Gründungsmitglied der Toten Hosen, sind aber | |
schon nach wenigen Monaten wieder ausgestiegen. Sind Sie der Pete Best oder | |
der Stuart Sutcliffe von Deutschlands erfolgreichster Punk-Band? | |
Walter November: Äh, das weiß ich jetzt auch nicht. Wo ist denn der | |
Unterschied? | |
Pete Best war der Schlagzeuger der Beatles, der bis heute nicht weiß, warum | |
er rausgeworfen wurde. Sutcliffe war Bassist, ging aber freiwillig. | |
Eindeutig der Bassist. Ich hab zwar Gitarre gespielt, aber ich bin auch | |
freiwillig gegangen. | |
Warum? | |
Der Alkohol, die Drogen – das schöne Leben. Lacht. Ich konnte irgendwann | |
einfach nicht mehr. | |
Können Sie sich noch erinnern an Ihre Monate bei den Toten Hosen? | |
Ich weiß noch, es war eine wunderschöne Zeit. Aber was genau vorgefallen | |
ist? Das ist doch eher verschwommen. Ist ja auch schon 30 Jahre her. | |
Wie kamen Sie damals zu den Toten Hosen? | |
Wir waren alle Punkrocker und haben uns regelmäßig im Ratinger Hof in | |
Düsseldorf getroffen. ZK gab es nicht mehr … | |
Die Vorläufer der Toten Hosen. | |
Genau. Die hatten sich aufgelöst, aber es war klar, dass die eine neue | |
Gruppe aufmachen wollten. Und weil man sich eben kannte, haben die mich | |
halt gefragt, und dann war ich dabei. | |
In welcher Band haben Sie vorher gespielt? | |
Die hießen „Aram und die Schaffner“, aber wir haben gar keine Auftritte | |
gemacht. Das war ein bisschen pseudo. Man musste in einer Band sein, auch | |
wenn die nicht aufgetreten ist. Lacht laut. Dann hat man sich wichtig | |
gefühlt. | |
Können Sie sich noch an den allerersten Auftritt der Toten Hosen am 10. 4. | |
1982 im Bremer Schlachthof erinnern? | |
Ja, daran kann ich mich noch erinnern. Aber auch nur so schemenhaft. Das | |
war chaotisch damals. Wir hatten ungefähr zehn Songs drauf. Vorher haben | |
wir schön Bommerlunder getrunken, obwohl das Zeug gar nicht geschmeckt hat, | |
und dann auf die Bühne. Und alle haben Pogo getanzt. | |
Sie wurden damals nicht als Tote Hosen, sondern als „Die Toten Hasen“ | |
angekündigt. | |
Echt? Daran kann ich mich gar nicht erinnern. | |
Haben Sie damals schon das Gefühl gehabt, aus dieser Band könnte mal eine | |
große Nummer werden? | |
Eine große Nummer? Das habe ich garantiert nicht geglaubt. Schon deshalb, | |
weil ich damals jeden Tag so gelebt habe, als wäre es der letzte. Da habe | |
ich an so was gar keinen Gedanken dran verschwendet. Ich war der einzige, | |
der damals gearbeitet hat. Ich hatte meine Lehre als Bäcker und Konditor | |
abgeschlossen, war Geselle und hatte immer Probleme, von meinen Meister | |
freizubekommen für die Gigs am Samstag. Die Jungs sind meist schon freitags | |
losgefahren und ich musste dann mit dem Zug hinterherkommen. | |
Im Sommer 1983 erschien dann das Debütalbum „Opel-Gang“. | |
Da war ich schon gar nicht mehr dabei. | |
Weil Sie Zeuge Jehovas geworden sind. | |
Das ist nur eine Legende. Die Drogen sind mir über den Kopf gewachsen und | |
dann bin ich einfach wieder nach Hause. Meine Eltern sind Zeugen Jehovas, | |
so ist wohl diese Legende entstanden. Ich bin zwar so erzogen worden, aber | |
nicht Zeuge Jehovas geworden. Zu Hause konnte ich schön ausruhen. Weg von | |
der ganzen Szene, habe ich ein paar Monate ein stinknormales Leben geführt. | |
Aber warum haben Sie vorher noch Ihre Plattensammlung vernichtet? | |
Ich wollte einen Schlussstrich ziehen und habe die schönsten Sachen | |
zerstört. Der Andi Meurer (Bassist der Toten Hosen, Anm. der Red.) war da, | |
dem habe ich ein paar Sachen gegeben, aber die erste Single von den Sex | |
Pistols zum Beispiel, die habe ich kaputt geschlagen. Oder das | |
Mullbinden-T-Shirt von Johnny Rotten, das man auf der King’s Road in London | |
kaufen konnte, das ganze Gedöns, alles weg. | |
Bereuen Sie das? | |
Sicher, dafür würde es heute wahrscheinlich viel Geld für geben, aber ich | |
bereue nichts. Der schnöde Mammon, das ist doch egal. Ich hab das alles im | |
Herzen. | |
Diese Phase hat aber nicht lange gehalten. | |
Ein paar Monate später hab ich wieder Lust bekommen, bin wieder in den | |
Ratinger Hof gegangen und rückfällig geworden. | |
Sie haben wieder angefangen, Drogen zu nehmen? | |
Nein, ich hab ein ganz normales Punkleben geführt. Hab mir Konzerte | |
angeschaut, hab was getrunken, aber nur in Maßen, und vor allem keine | |
Drogen mehr genommen. Man ist da zwar immer versucht, aber seitdem bin ich | |
– toi, toi, toi – trocken geblieben. Aber der Punk hat für mich nie | |
aufgehört. Punk ist für mich eine Lebenseinstellung – bis heute. Ich färbe | |
mir nicht mehr die Haare, aber Punk bedeutet für mich immer noch, nicht mit | |
der Masse mitzugehen, ein gutes Leben führen, aber trotzdem unbequeme | |
Sachen zu sagen und dazu zu stehen. | |
Haben Sie nach Ihrer Zeit bei den Toten Hosen weiter Musik gemacht? | |
Nein, gar nicht mehr. Ich hab die Gitarre weggestellt und das war’s dann. | |
Vorher wollte ich der härteste Punkrocker sein, aber nach meinem Ausstieg | |
wollte ich runterkommen und nur noch meine Ruhe haben. Wenn ich | |
weitergemacht hätte wie vorher, hätte ich das nicht überlebt. Freunde von | |
mir sind gestorben – wie der erste Roadie der Toten Hosen, ein guter Freund | |
von uns allen. Die Balance zu finden zwischen Party und dem normalen Leben, | |
das habe ich als junger Mann nicht gerafft – erst später. | |
Statt Gitarrist waren Sie dann wieder Bäcker? | |
Nein, der Manager der Toten Hosen hat eine Plakatierfirma gegründet. Für | |
die arbeite ich noch heute. | |
Haben Sie noch Kontakt zu den Toten Hosen? | |
Die Plakatierfirma ist auf demselben Gewerbehof wie die Plattenfirma der | |
Hosen, da läuft man natürlich auch mal den Jungs über den Weg. | |
Und welche Musik hören Sie heute? | |
Immer noch die alten Sachen: Chelsea, Wire, Clash, Buzzcocks, Damned, | |
Stranglers … | |
Auch die Toten Hosen? | |
Hör ich mir auch gerne an – ab und zu mal. Nicht jeden Tag. | |
Ärgern Sie sich manchmal, dass Sie damals ausgestiegen sind? | |
Nein. Schön für die Jungs, aber ich bin froh, dass ich den anderen Weg | |
gegangen bin. Der Erfolg ist schön und gut, aber der hat auch seine | |
Schattenseiten. Dass man bekannt ist, ständig angequatscht wird und man | |
immer freundlich sein muss. Das muss ich nicht unbedingt haben, da bin ich | |
gar nicht neidisch. | |
Aber dafür verdienen die auch ein bisschen mehr Geld. | |
Ach, das gönne ich denen. | |
10 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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