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# taz.de -- Tote-Hosen-Sänger Campino über Rot-Grün: "Ich bin wohl eher kons…
> Die Toten Hosen haben eine neue Platte. Ein Gespräch mit ihrem Sänger
> Campino über die wohltuende Frau Merkel, das Energielevel von Techno und
> neokonservativen Punkrock.
Bild: "Ich bin wohl nicht so eine witzige Type, wie viele das glauben."
taz: Herr Frege, waren Sie überhaupt irgendwann einmal jung?
Campino (irritiert): Was ist das denn für eine seltsame Startfrage?
Es ist exakt die Eingangsfrage, mit der Sie selbst 1994 Ihr Interview für
den Spiegel mit der damaligen Bundesministerin für Frauen und Jugend
eröffnet haben, einer gewissen Angela Merkel.
Schade, dass ich jetzt nicht abrufen kann, was die damals darauf
geantwortet hat. Das war bestimmt superschlau.
Sie antwortete, bei ihr war das "irgendwie anders", sie wäre eigentlich nie
richtig jung gewesen und hätte ihre Altersgenossen beneidet.
Ja, die Frau Merkel. Ich erinnere mich jedenfalls an meine Jugend.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Frau Bundeskanzlerin heute?
Ich hab ja keins. So was muss ja immer von zwei Seiten ausgehen. Ich weiß
nicht, ob das fair ist, zu sehr auf diesem alten Gespräch rumzureiten: Sie
war damals sehr unerfahren und ich war schockiert, dass jemand mit so einem
beschränkten Horizont eine Ministerposition innehaben kann. Aber meine
Lebenserfahrung hat mir gezeigt, dass es ohnehin sehr viele Pfeifen gibt,
die es sehr weit bringen. Und ich glaube, dass Frau Merkel sehr viel
gelernt hat. Sie macht den Job besser, als ich gedacht hätte. Wohltuend ist
auch, dass sie manchmal Dinge sagt, die nicht unbedingt auf Parteilinie
sind. Das tut sie sicherlich, weil sie diese ostdeutsche Vorgeschichte hat.
Die Toten Hosen wurden 1982 gegründet, das gleiche Jahr, in dem Helmut Kohl
Bundeskanzler wurde. Ist das ein gutes Gefühl, Kohl überlebt zu haben?
Den hätten wir gern schneller überlebt. Andererseits war es damals für uns
auch leichter, politisch zu agieren, Stellung zu beziehen. Die Situation
war schön schwarz-weiß angelegt. Man konnte von einer Alternative träumen
und davon, dass alles sehr viel besser wird, wenn nur die Grünen mal mit
drankommen. In der Praxis sah das dann auch nicht alles so cool aus.
Rot-Grün war eine Enttäuschung?
Es hat einen definitiv wieder auf den Boden gebracht. Aber Enttäuschung ist
vielleicht ein bisschen viel, weil ich die realpolitischen Aspekte immer
gesehen habe. Diese Partei konnte ja nur dann weiter am Ball bleiben, wenn
sie Kompromisse macht. Aber ich halte die Karriere von Joschka Fischer
immer noch für außerordentlich. Ich war immer glücklich, wenn ich erlebt
habe, wie der Deutschland in der Welt repräsentiert hat. Ich finde, der hat
das sehr gut gemacht, und er hat bislang einen sauberen Abgang hingelegt.
Von Joschka Fischer war ich nie enttäuscht.
Was hat das Scheitern des rot-grünen Projektes bedeutet für eine Band wie
die Toten Hosen, die ja weitgehend aus einem ähnlichen links-alternativen
Milieu hervorging?
Rot-Grün war immer nur das kleinste Übel. Das war ja nicht die Erlösung.
Letztendlich haben wir auch mit den Grünen von Anfang an so unsere Probleme
gehabt. Generell würde ich die heute noch wählen, wo es nichts Besseres zu
geben scheint, aber das bedeutet ja nicht, dass ich alles unterschreibe,
was die da veranstalten.
Ist die Partei Die Linke für Sie eine Alternative?
Das ist vielleicht ein bisschen emotional, aber ich kann mich nicht für ein
Brechmittel entscheiden. Und Lafontaine ist für mich ein Brechmittel.
Bleibt noch Grün-Schwarz als nächstes Projekt. Ist so eine Kombination
wählbar für Campino oder wäre das ein Verrat an alten Idealen?
Ich halte es nicht mehr für unmöglich. Es ist ungut für eine politische
Kultur, wenn Parteienkonstellationen aus Prinzip ausgeschlossen werden. Und
wenn die Linien schon verschwimmen, wenn man schon die klaren Abgrenzungen
aufgeben muss, dann soll das wenigstens den Vorteil haben, dass man die
Möglichkeit hat, die besten Köpfe zu wählen - und die stecken nun mal in
verschiedenen Parteien.
Die Toten Hosen haben sich immer auch als eine politische Band verstanden.
War das früher einfacher als heute?
In den Achtzigerjahren war Musik sowieso sehr politisch. Es gab den Kampf
gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, es gab
Solidaritätskonzerte gegen Rassismus, das hatte alles noch Aussagekraft.
Insofern war es unter Kohl einfacher. Mit Schröder war die klare Front weg
und seit dem Internet werden die politischen Diskussionen nun auch anders
geführt. Musiker haben generell an Relevanz verloren, was politische
Meinungsäußerung angeht.
Würden Sie sich hinstellen wie der Kollege Niedecken und öffentlich Werbung
machen für den aktuellen Bundespräsidenten?
Uns und BAP haben schon immer Welten getrennt, auch wenn wir damals in den
Achtzigern auf derselben Bühne in Wackersdorf standen. Die kamen aus Köln,
wir aus Düsseldorf. Die hatten eher ein Hippie-Publikum, wir kamen aus der
Hausbesetzerszene. Aber beide Bands hatten durchaus immer Verständnis
füreinander. Auch heute halte ich Niedecken für integer, doch mit der Art
der Bundespräsidentenauswahl in Deutschland komme ich prinzipiell nicht
klar. Grundsätzlich habe ich aber nicht das Problem, mich abgrenzen zu
müssen, nicht von Niedecken oder sonst wem. Das macht man, wenn man jung
ist und unsicher ist. Ansonsten entscheiden die Leute selbst, wessen CDs
sie kaufen und auf welche Konzerte sie gehen.
Also ohne Abgrenzung: Was sind die Toten Hosen heute?
Wir sind eine Rockband, wo es noch kracht. Ich sehe uns in einer Tradition
mit den Ramones, AC/DC oder vielleicht auch Status Quo. Vielleicht bedeutet
das auch, konservativ zu sein in dem, was man macht.
Die Toten Hosen sind konservativ?
Das ist das Witzige: Das, was Ende der Siebziger mal Avantgarde war, ist
heute konservativ.
Kann es das geben: einen neokonservativen Punkrocker?
Wenn ich mir anschaue, wie heute in den Jugendkulturen mit Sponsoren und
Werbung umgegangen wird: Das wäre für meine Generation nicht denkbar, wie
die sich da einkaufen, wie die die Bewegung übernehmen und die Leute auch
noch stolz ihre beschissenen Marken-T-Shirts in die Kamera halten. Da bin
ich konservativ. Für so etwas hätte man uns früher zu Recht am
Laternenpfahl aufgehängt. Auch was meine Wertvorstellungen von Freundschaft
oder Solidarität angeht, bin ich wohl eher konservativ.
Hat sich die Welt verändert oder die Toten Hosen?
Ich fand schon als Fünfjähriger das gut, was geballert hat. Da wurde ich
jeden Abend zu "Hang on Sloopy" von den McCoys in Bett gebracht. Dieses
saulaute Schlagzeug, dieser hysterische Gesang - das fand ich großartig.
Dann kam Deep Purple und dann auch schon Punkrock - da war ich 13 Jahre
alt. Der Aufbau der Lieder, Solos rausschmeißen, das war damals Avantgarde.
Ich finde dieses Zeugs immer noch gut, aber heutzutage ist das im
Musikverständnis leider konservativ. Natürlich gibt es viel aufregendere,
modernere Sachen, da komm ich aber nicht so gut hinterher. Ich mag meine
Wire-Platten immer noch. Das war damals vorneweg und heute ist es hintenan.
Mir ist es egal. Da habe ich mich nicht geändert.
Campino ist ganz der Alte geblieben?
Im Musikgeschmack schon. Aber ich hoffe doch, nicht in allem. Was wäre man
für ein Volltrottel, wenn man sich nicht ändern würde. 27 Jahre Tote Hosen,
da ist viel passiert. Ist doch unvorstellbar heutzutage, dass der BGS zu
uns in den Probenraum kam, um unsere Texte auszuwerten, als wären wir
Staatsfeinde. In seinen besten Momenten war Punkrock eine Irritation für
die Gesellschaft. Aber das ist lange vorbei: Wir sind Teil des
Establishments, jeder Bürgermeister begrüßt uns und hält uns sein goldenes
Buch unter die Nase, damit wir da unterschreiben. Das ist nun mal die
Realität. Und würde ich die auszublenden versuchen, würde ich nicht nur die
da draußen bescheißen, sondern mich auch, und zwar am allermeisten.
Womit wir wieder bei der ewigen Frage sind: Wie kann man als Rocker in
Würde alt werden?
Das ist keine schlimme Frage. Wenn man wirklich in Not ist, sollte man sich
die guten Beispiele anschauen, die gibt es doch reichlich. Nick Cave stellt
diese Frage niemand, Johnny Cash hatte seine größten Momente am Schluss
seines Lebens, und wenn ich nicht hoffen würde, dass unser bestes Lied noch
gar nicht geschrieben ist, dann würde ich hier gar nicht sitzen.
Der altbekannte Vorwurf "Berufsjugendlicher" trifft Sie nicht mehr?
Ich habe mich nie als Jugendsprachrohr gesehen. Es war schon immer schlimm
genug, fünf Tote Hosen als Einheit zu formulieren. Und dieser Vorwurf ist
ja auch schon lange nicht mehr gekommen. Warum auch: Ich habe mit Jugend
nichts am Hut.
Das merkt man in dem Song "Disco" von der neuen Platte. Da ist eine
deutliche Differenz zu jugendlichen Vergnügungen spürbar, da versteht einer
nicht mehr, was die da so treiben.
Das stimmt so nicht. Das Lied beschreibt völlig ambivalente Erfahrungen. In
so einem Laden, wo nur Küken rumlaufen, kommt man sich schon mal komisch
vor. Aber wenn du mit den richtigen Leuten in die Disco gehst und der
richtige DJ haut rein? Sven Väth im Amnesia [Disco auf Ibiza], das ist so
laut wie ein Rock-Konzert, das hat dieselbe Energie wie ein Rockkonzert.
Wenn du richtig mitmachst, kommst du so verschwitzt und fertig da raus, als
wärst du gerade bei Metallica gewesen.
Die neue Platte ist aber eindeutig eher Metallica als Disco, Glamour klingt
keiner durch, sie ist ziemlich schwer und düster geworden.
Das kann ich so gar nicht sagen, da fehlt mir wohl noch der Abstand. Ich
habe versucht, dass wir uns aufs Wesentliche konzentrieren, dass wir bei
uns bleiben. Wir haben nicht mit anderen Leuten gearbeitet, wir haben kein
englisches Lied auf der Platte. Ich habe mich ganz bewusst nicht ins
Kloster oder in ein Hotelzimmer zurückgezogen, mich nicht aus dem Alltag
rausgehalten, um näher dran zu sein an den Dingen, die ich eigentlich sagen
wollte. Ich habe diesmal nicht wie sonst öfter mit Funny van Dannen
kooperiert, sondern im Wesentlichen alleine gearbeitet - und ich bin wohl
nicht so eine witzige Type, wie viele das glauben.
INTERVIEW: THOMAS WINKLER
13 Nov 2008
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