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# taz.de -- Wahlkampf in Griechenland: Blanke Hetze gegen Migranten
> Parteien machen die Migration zum Thema im Wahlkampf. „Illegale“
> Einwanderer seien "Schädlinge" und sollten in Militärkasernen
> untergebracht werden
Bild: Eine „verdachtsunabhängige“ Kontrolle am Omonia-Platz in Athen unter…
ATHEN taz | Griechenland erregt nicht nur die Gemüter mit der gigantischen
Schuldenkrise, sondern jetzt auch mit beispiellosen Maßnahmen gegen
sogenannte illegale Einwanderer. Innenminister Michalis Chrysochoidis macht
dabei seinem Ruf als Hardliner alle Ehre: Illegale Einwanderer sollten in
verlassenen Militärkasernen einquartiert werden, die dann dreifach umzäunt
und von der Polizei rund um die Uhr überwacht würden, forderte der
Politiker der mitregierenden sozialistischen Partei Pasok im griechischen
Fernsehen.
Als er noch in der Opposition war, hatte er sich strikt dagegen
ausgesprochen. „Ihre Lebensbedingungen sind derart unwürdig, dass man sich
für den Rest seines Lebens schämen müsste“, wenn man sie internieren würd…
meinte Chrysochoidis noch im Sommer 2009.
Damals hatte der Pasok-Politiker einen Gesetzentwurf der konservativen
Regierung über die Unterbringung von Asylsuchenden in Kasernen verhindert.
Doch heute ist Wahlkampf in Griechenland und Chrysochoidis will verhindern,
dass eine Partei in der Opposition landet.
Wohl aus diesem Grund lässt die Polizei in den letzten Tagen immer wieder
sogenannte Besenoperationen in Athen durchführen: Ausländer werden
„verdachtsunabhängig“ kontrolliert. Wer ohne Visum aufgegriffen wird, wird
in Gewahrsam genommen und ausgewiesen.
Mohammad Yunus, Kovorsitzender der afghanischen Gemeinde in Athen und
Mitglied im griechischen Einwandererforum, wundert sich über gar nichts
mehr.
## Ablenken von der Wirtschaftsmisere
„Seit 2001 lebe ich in Griechenland, es ist immer das Gleiche: Jedes Mal,
wenn Wahlen anstehen, redet man über die Gefahren der Zuwanderung. Diesmal
ist die Diskussion sogar intensiver, wegen der wirtschaftlichen Probleme
des Landes,“ sagt Yunus der taz.
Auch Gesundheitsminister Andreas Loverdos will das Thema Zuwanderung
„intensiv diskutieren“. Einwanderer seien eine „gesundheitliche Zeitbombe…
erklärte er jüngst in einem Interview mit dem TV-Sender Mega. Migranten
seien für die Ausbreitung längst vergessener Krankheiten verantwortlich.
„Wenn etwa jemand, der an Tuberkulose leidet, in einen Bus steigt, dann
werden alle Mitfahrenden angesteckt“, warnte der Gesundheitsminister.
Loverdos will angeblich Zwangsuntersuchungen aller Migranten anordnen,
ihnen andererseits aber auch den Zugang zu kostenloser medizinischer
Behandlung entziehen.
## Krieg der Armen
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Minister so etwas ernsthaft
prüft“, protestiert Mohammad Yunus. „Es hat doch keinen Sinn, wenn man vor
einer Gesundheitsbombe warnt und die kranken Menschen dann trotzdem auf der
Straße liegen lässt. Was hat man denn davon?“
Tasos Koronakis, migrationspolitischer Sprecher der linken Partei Syriza,
ist der Meinung, dass die Regierung die Menschen in einen „Krieg der Armen“
treibt, um von der Wirtschaftsmisere und der steigenden Armut abzulenken.
„Der Wähler soll glauben, dass nicht die eiserne Sparpolitik der
vergangenen Jahre, sondern nur seine Nachbarn verantwortlich seien für die
Wirtschaftsprobleme des Landes“, erklärt Koronakis der taz.
## Armut fördert Kriminalität
Auch die linken Parteien in Griechenland bestreiten nicht, dass viele
Athener inzwischen Angst haben, ins Stadtzentrum zu gehen. Doch der Grund
für die steigende Kriminalität sei die neue Armut und nicht etwa die
Zuwanderung, die in den letzten Jahren sogar abgenommen habe, sagt
Koronakis. Viele Migranten würden nämlich vor der Arbeitslosigkeit fliehen
und Griechenland schon wieder verlassen.
Das Thema ruft auch rechte Gruppierungen auf den Plan, allen voran die
Neonazis von Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte). 2009 wurde die Partei
erstmals in den Stadtrat von Athen gewählt, bei aktuellen Umfragen liegt
sie bei fünf Prozent und hat gute Chancen, erstmals den Sprung ins
Parlament zu schaffen.
Die Schlägertruppe hat bereits einen Schutzservice gegründet, ganz nach dem
Vorbild der NSDAP in den dreißiger Jahren: Wenn etwa alleinstehende
Senioren zur Bank gehen wollen, aber Angst vor Kriminalität im Stadtzentrum
haben, dann melden sie sich telefonisch bei Chrysi Avgi, die einen
Begleiter zur Verfügung stellt.
10 Apr 2012
## AUTOREN
Jannis Papadimitriou
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