Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte „Zürcher Weltwoche“-Titel: Drecksjournalismus
> Das Ressentiment gegen Roma nimmt die Form blankester „Aufstachelung zum
> Rassenhass“ an. Ein Schweizer macht die Avantgarde.
Bild: Elend gebiert eben nicht immer Feinsinnigkeit wie in Charles-Dickens-Roma…
Er sieht aus wie ein Grundschullehrer, der Briefmarken sammelt und noch bei
Mama wohnt: Roger Köppel, der „Chefredaktor“ und Verleger der Zürcher
Weltwoche. In deutschen Talk-Shows ist der nervige Schweizer wenn schon
nicht gern, so doch oft gesehener Gast, das einst liberale, weltläufige
Wochenblatt hat er innerhalb von zehn Jahren zur rechtspopulistischen und
neoliberalen Kampfpostille umgemodelt.
Doch ein solches Cover, wie es die Titelseite der aktuellen Weltwoche
ziert, hat es in Westeuropa außerhalb der Nazi-Subkultur seit 1945 wohl
selten gegeben. „Die Roma kommen“, heißt es hier alarmistisch. Darunter:
„Familienbetriebe des Verbrechens“. All das umrahmt das Foto eines kleinen
Jungen, der mit einer (Spielzeug?)Pistole ins Objektiv des Fotografen
zielt. Suggestive Botschaft: Bei diesen Zigeunern sind sogar die
Vierjährigen schon Gewalttäter und Verbrecher.
Cover dieser Art kennt man aus Jugoslawien in den Jahren 1990 ff. Sie waren
die publizistische Ouvertüre zu Mord und ethnischen Säuberungen. Der Fall
Köppel erhielt eine zusätzliche degoutante Note, wurde doch schnell
bekannt, woher dieses Foto stammt: Weder ist es aus der Schweiz noch zeigt
es Roma, die „Raubzüge in die Schweiz“ unternehmen. Das Bild des kleinen
Jungen stammt aus dem Kosovo, er lebt dort mit seiner Familie in einem Slum
am Rande einer Müllhalde im Dreck.
Man kann den Fall dieses einen Covers natürlich für eine unappetitliche
Episode halten, die nicht viel mehr ist als eine Anekdote. Und doch ist die
Causa mehr als das. Sie ist ein Symptom. Erstens ein Symptom dafür, wie ein
Tabubruch den nächsten nach sich zieht, dass hier wie auf einer schiefen
Ebene ein zivilisatorischer Standard nach dem nächsten geschliffen wird.
Rechtspopulismus ist auch eine Überbietungsstrategie, der Kitzel von arg,
ärger, noch ärger. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass eine gerade eben
noch respektierte Zeitung in Westeuropa jemals so ein Titelblatt
produzieren würde? Wahrscheinlich hätte das nicht einmal Roger Köppel
selbst gedacht.
Zweitens sind die Roma die symptomatischen Opfer schlechthin. Nicht, dass
man sich solche Titelblätter nicht auch mit „den Moslems“, „den
Tschetschenen“ oder anderen unfreiwilligen Hauptdarstellern vorstellen
könnte. Aber doch konzentriert sich auf die Roma ein spezifischer Hass. In
Osteuropa sowieso: In Ungarn ist der Anti-Roma-Rassismus praktisch
Staatsdoktrin, von Tschechien über die Slowakei bis nach Rumänien sind sie
ethnischer, kultureller, ökonomischer Ausgrenzung ausgesetzt und blankem
Hass.
In Italien gab es schon Anti-Roma-Pogrome, überall in Europa werden
„Bettelverbote“ erlassen, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ließ sogar
unbescholtene Roma publicityträchtig in ihre Ursprungsländer abschieben,
selbst dann, wenn sie EU-Bürger sind (dass der Name „Sarkozy“ darauf
hindeutet, dass der ungarnstämmige Präsident selbst Roma-Wurzeln haben
könnte, ist nur eine pittoreske Pointe dieser Geschichte).
## Miese Verteidigungsrhetorik
Die Roma haben keine Lobby und nicht einmal eine Heimat. Gerade die
kulturelle Fremdheit der osteuropäischen Roma gebiert aggressive
Abgrenzung, bis in liberale Milieus hinein; das Unwissen über sie befeuert
Fantasien von „Mafiabanden“, „Gangsterbossen“ und „Familienclans“.
Kriminalität wird dann nicht mehr als Folge von Ausgrenzung gesehen,
sondern umgekehrt, die Ausgrenzung als Folge der „kulturtypischen
Kriminalität“.
Ein Exempel, wie der zeitgenössische rechte Populismus funktioniert, sind
auch die einem voraussagbaren Reiz-Reaktions-Muster gehorchenden
Gegenvorwürfe, mit denen die Weltwoche-Macher jetzt auf die Empörung über
ihr Hetz-Cover kontern: Für sie ist der „eigentliche Skandal“, dass die
Kritiker nicht die im Blattinneren beschriebenen kriminellen Aktivitäten
kritisieren. Als wäre es bei einem solchen Titelblatt noch irgendwie
relevant, ob es in der Story im Blattinneren irgendwelche Fakten gibt, die
in dem einen oder anderen Detail sogar stimmen. Es ist, als hätten
Streichers Stürmer-Macher auf den Vorwurf des Antisemitismus gekontert,
dass es doch unbestritten auch jüdische Gesetzesbrecher gibt.
## Umcodierung der Empirie
Gewiss gibt es in Roma-Familien Gewalt, Klein- und im Einzelfall auch
Großkriminalität, Diebstähle, Betrug und Prostitution. Elend gebiert eben
nicht immer Feinsinnigkeit wie in Charles-Dickens-Romanen, sondern auch
Rohheit. Und gerade die osteuropäischen Roma haben es oft verdammt schwer,
sich durchs Leben zu schlagen.
Selbst die Angehörigen der heute in Westeuropa autochtonen Roma können
davon ein Lied singen: Noch vor einer Generation war es auch in Österreich
oder Deutschland für Angehörige der Roma-Minderheit nahezu unmöglich, eine
Lehrstelle zu finden. Bis heute halten sie diese Ressentiments gefangen in
dem Kreislauf aus Ausgegrenztheit, schlechter Bildung und Chancenlosigkeit.
In dem Roma-Cover der Weltwoche verdichten sich all diese grassierenden
Ressentiments zur plumpen Hetze gegen ein ganzes Volk. In der Bildsprache
dieses Titels wird sogar unser optisches Empfinden umkodiert, hier mutiert
ein Kleinkind, das wir in jedem anderen Kontext als „süß“ empfinden würd…
zum monströs-bedrohlichen Angehörigen eines „Familienbetriebs des
Verbrechens“. Vom Stürmer-Stil unterscheidet sich das höchstens noch durch
die Immunisierungstrategien, mit denen solcher Drecksjournalismus sich zu
imprägnieren pflegt: dass das doch „nur“ ein provokantes Cover sei, es gehe
doch „bloß“ darum, Aufmerksamkeit zu erregen, und außerdem müsse man „…
doch sagen dürfen, wenn nicht, dann herrschten „Denkverbote“, also all
dieses Geschwätz, mit dem der Vorwurf der Hetze abgewehrt werden soll.
Immerhin, nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland und
Österreich, wo die Weltwoche ebenfalls vertrieben wird, hagelt es nun
Anzeigen: Wegen „Aufstachelung zum Rassenhass“ und „Verhetzung“. Und so…
der Biedermann Köppel hierzulande wohl bald das, worüber er so gerne
herzieht: ein „krimineller Ausländer“.
11 Apr 2012
## AUTOREN
Robert Misik
## TAGS
Alice Weidel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Alice Weidel bei Schweizer „Weltwoche“: Kolumne zuerst!
Alice Weidel wird Kolumnistin bei der Schweizer „Weltwoche“. Unser Autor
Uli Hannemann hat schon mal vorgelegt, was dabei herauskommen kann.
Romafeindliches Cover der „Weltwoche“: Juristisch in Ordnung, moralisch nic…
Das Verfahren gegen die Schweizer „Weltwoche“ wegen eines romafeindlichen
Titelblatts wird eingestellt. Mit kruder Begründung. Aber ist schon okay.
Verfahren gegen „Weltwoche“ eingestellt: Keine Strafe für Roma-Bashing
Die Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ bleibt wegen ihres umstrittenen
Coverbilds eines Roma-Jungen straffrei. Es setze die Roma nicht als Volk
herab, sagte die Zürcher Staatsanwaltschaft.
Rassismus in der Schweizer „Weltwoche“: Weniger Leser? Mehr hetzen!
Die Schweizer „Weltwoche“ ist unter Chefredakteur Roger Köppel zum
Kampfblatt verkommen. Zum aktuellen Titel hagelt es Anzeigen wegen
Volksverhetzung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.