# taz.de -- Piratenpartei im Inhalte-Check: Hartz IV ohne Zwang und Gängelei | |
> Die Piraten bezeichnen sich gerne als liberal, teilen aber nicht die | |
> Staatsskepsis der FDP. Sie fordern gleichere Einkommen und lehnen | |
> Privatisierung ab. | |
Bild: Ihrem Programm zufolge sind die Piraten eher „Vitalienbrüder“ als �… | |
BERLIN taz | Viel ist in den letzten Wochen von der Piratenpartei als die | |
„neue“ oder „bessere“ liberale Partei die Rede. Doch die sozialpolitisc… | |
Forderungen der Piraten lassen sich eher im klassisch linken Spektrum | |
verorten. | |
Das wichtigste Merkmal dürfte dabei das Verhältnis der Piraten zum Staat | |
sein: Die Staatsskepsis der Wirtschaftsliberalen teilen die meisten | |
Protagonisten der Piratenpartei nicht, Privatisierungen im Sozialbereich | |
sehen sie überwiegend kritisch. Vielmehr fordert die Partei etwa in | |
Nordrhein-Westfalen ein „Zurück zur sozialen Marktwirtschaft“, die in den | |
letzten Jahren von neoliberaler Seite attackiert worden sei. | |
Konkret wollen die Piraten derzeit in Nordrhein-Westfalen gegen die | |
sogenannten 1-Euro-Jobs vorgehen, wie der NRW-Pirat Sven Sladek erklärt, | |
der für die Piraten derzeit sozialpolitische Forderungen in NRW | |
ausarbeitet: „Wir wollen die Kommunen auffordern, keine 1-Euro-Stellen mehr | |
auszuschreiben.“ | |
Kritisch sehen die Piraten auch andere Teile der Agenda 2010: Sie fordern | |
ein „Sanktionsmoratorium“ für Hartz IV – das bedeutet, dass Arbeitslosen | |
nicht mehr der Regelsatz gekürzt werden soll, wenn sie keinen Job annehmen. | |
„Verfassungswidrig“ nennt etwa der sozialpolitische Sprecher der Berliner | |
Piratenfraktion, Alexander Spies, die derzeitige Praxis. „Diese Sanktionen | |
verstoßen gegen das Zwangsarbeitsverbot im Grundgesetz.“ | |
Besonders stört die Piraten die Überwachung der Hartz-IV-Empfänger. „Die | |
Durchleuchtung der Familie, wenn man Hartz IV beantragt, muss aufhören“, | |
fordert auch NRW-Pirat Sladek und knüpft an klassische Piratenthemen an: | |
„Hier braucht es Datenschutz. Wir Piraten vertrauen den Menschen auch, ohne | |
in ihre Privatsphäre eindringen zu müssen.“ | |
Obwohl die Piraten die Überwachung des Staates fürchten, wollen sie nicht, | |
dass sich der Staat aus dem Sozialsystem zurückzieht. „Es braucht einen | |
Topf, in den alle etwas reinschmeißen, was dann wieder ausgeschüttet wird. | |
Diesen Topf kann nur der Staat verwalten“, erklärt Sladek. Auch im Sozial- | |
und Gesundheitsbereich wollen die Piraten nicht dem Markt die | |
Regulierungskraft überlassen: „Privatisierung ist der falsche Weg. Das | |
läuft vielleicht mal eine Generation gut, danach setzen sich | |
Einzelinteressen durch, und das muss die Gesellschaft bezahlen“, sagt | |
Sladek. | |
## „Die Stärkeren müssen mehr belastet werden“ | |
Auch der Berliner Abgeordnete Spies erklärt, Sozialpolitik müsse immer dem | |
Grundsatz folgen, dass sich eine „Gesellschaft daran messen lassen muss, | |
wie sie mit den Schwächsten umgeht. Da darf sie sich nicht aus der | |
Verantwortung stehlen.“ Eine neoliberale Wirtschaftsagenda lehnt er ab. | |
„Das Ziel ist mehr Einkommensgleichheit. Es müssen die Stärkeren mehr | |
belastet werden, um gleiche Chancen herzustellen.“ | |
Um das zu bewirken, ist im Grundsatzprogramm der Piraten das „Recht auf | |
sichere Existenz und Teilhabe“ verankert – das bedingungslose | |
Grundeinkommen. Ein Verdienst mit steuerlichen Abschlägen käme hinzu. Wie | |
diese Vision genau ausgestaltet wird, wird noch diskutiert. | |
Als „Brückentechnologie“ fordern die meisten Piraten Mindestlöhne. Außer… | |
setzen sich Teile der Partei konkret für eine Beschränkung der Leiharbeit | |
und eine gleiche Bezahlung von Leih- und Stammbelegschaften ein. Diese | |
Forderungen finden sich im Saarland und in Schleswig-Holstein in den | |
Wahlprogrammen wieder. | |
Die Sozialpolitik der Piraten scheut sich aber auch nicht vor | |
Kleinigkeiten: Im Februar brachte die Piratenfraktion im Berliner | |
Abgeordnetenhaus den Antrag ein, ein „Wachhäuschen für Wachpersonal des | |
Abgeordnetenhauses“ bereitzustellen. Die Begründung des Antrags in voller | |
Länge: „Es ist saukalt, und entgegen den Bekundungen seitens des jetzigen | |
Parlamentspräsidenten ist noch nichts passiert.“ | |
17 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Ben Seel | |
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