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# taz.de -- Aufarbeitung der Diktatur in Indonesien: Frau L. will wieder reden
> Die 80-jährige Lestari hat Suhartos Kommunistenjagd der 1960er Jahre in
> Indonesien überlebt. Sie wünscht sich, dass niemand mehr Angst vor ihr
> hat.
Bild: Frau Lestari lebt mit anderen ehemaligen Gefangenen der Suharto-Diktatur …
JAKARTA taz | Im weiß gefliesten Gang des zweistöckigen Wohnhauses steht
eine kleine alte Dame und streckt beide Hände zur Begrüßung entgegen. Ihr
Gesicht sieht aus, als hätten die Lachfalten um die Augen keinen Platz mehr
gefunden und sich über den Rest des Gesichts ausgebreitet.
Lestari wohnt in einer Wohngemeinschaft, in der man nicht als Erstes
Lachfalten vermuten würde. Die Achtzigjährige teilt das Haus mit zehn
Männern und Frauen, mit denen sie etwas verbindet, über das sie lange nicht
gesprochen hat. Als Kommunisten verbrachten sie, während der
Suharto-Diktatur, über ein Jahrzehnt im Gefängnis ohne Gerichtsverfahren.
Anfang der 50er Jahre, Indonesien hatte sich gerade aus holländischer
Kolonialherrschaft befreit, gehörte Lestari mit zu den Gründerinnen der
Frauenorganisation Gerwani. „Indonesien brauchte damals eine revolutionäre
Frauenorganisation“, sagt sie heute. „Demokratie ist doch nicht zu
verwirklichen mit einem Volk, das nicht lesen und schreiben kann. Frauen
hatten damals kaum Bewusstsein für Gleichberechtigung.“ Dass sie lesen und
schreiben konnten, war eher die Ausnahme. Deshalb baute Gerwani ein Netz
von Kitas und Schulen auf und verschaffte Frauen Zugang zu elementarer
Bildung. „Wir haben die Analphabetenrate signifikant verringern können.“
Lestaris Rücken ist gebeugt, ihr Verstand jedoch hellwach, ihre Worte sind
klar. Mit leuchtenden Augen erzählt sie von den Gerwani-Gründerinnen. Von
ihrem Mann Suwandi, dem Vorsitzenden des Regionalbüros der Kommunistischen
Partei Indonesiens (PKI) in Ostjava, den sie 1962 heiratete. Ob sie noch
Fotos habe? Lestari lacht. „Fotos? Mädchen, ich bin froh, dass ich noch
lebe. An Fotos hab ich zuallerletzt gedacht.“
## Hintergründe des Putsch sind noch immer unklar
Indonesien war Mitte der 60er Jahre das Land, das nach China und der
Sowjetunion die drittgrößte kommunistische Partei der Welt beheimatete. Die
PKI hatte dreieinhalb Millionen Mitglieder. Historiker schätzen die Zahl
der PKI-Unterstützer, zusammen mit Bauernverbänden, Gewerkschaften,
Frauengruppen und künstlerischen Vereinigungen, auf etwa 20 Millionen –
mehr als ein Fünftel der damaligen Bevölkerung. Kommunisten stellten
Minister im Kabinett, sie hatten Verwaltungsposten auf allen Ebenen inne.
Indonesiens Präsident Sukarno hatte sich in jener Zeit politisch zunehmend
in Richtung China bewegt, sehr zur Sorge des Westens und ihm verbundener
Teile des indonesischen Militärs.
In der Nacht zum 1. Oktober 1965 ereignete sich ein Putsch, dessen
Hintergründe bis heute nicht vollständig aufgeklärt sind. Sechs Generäle
und ein Leutnant wurden entführt und ermordet. Suharto, der prowestliche
Vizechef der Armee, beschuldigte die kommunistische Partei, bot sich der
Nation als „Retter vor der roten Gefahr“ an und veranlasste eine Hetzjagd
auf Kommunisten – mit massiver Unterstützung der westlichen Welt, die nicht
riskieren wollte, dass das an Ressourcen reiche Land „kippt“ und andere
Länder mitreißt.
Zwischen 500.000 und einer Million vermeintlicher und tatsächlicher
Kommunisten wurden in den folgenden Monaten ermordet. Hunderttausende
landeten in Gefängnissen.
Sukarno wurde entmachtet, die PKI verboten. Dennoch strickte sein
Nachfolger Suharto weiter an der Legende, dass Kommunisten jederzeit das
Land gefährden könnten. Obwohl die Obduktionsberichte zu den Leichen der
sieben ermordeten Militärs dafür keinerlei Beweise lieferten, verbreiteten
Suharto-treue Medien den Mythos, dass Gerwani-Aktivistinnen den Toten die
Augen ausgestochen und ihnen die Genitalien abgeschnitten hätten, bevor sie
nackt um die Leichen herumgetanzt wären. Bis heute lässt sich diese Version
der Geschichtsschreibung am Pancasila-Monument in Jakarta betrachten, wo
sie auf riesigen Reliefs verewigt wurde.
## Immer ein Exhäftling
Am Morgen des Putschtages, dem 1. Oktober 1965, klopft es auch an Lestaris
Haustür. Sie flieht. Beinahe drei Jahre wird sie auf der Flucht sein. Ihre
ältere, vierjährige Tochter verliert sie aus den Augen, bis heute fehlt von
ihr jede Spur. Das zwei Monate alte Baby kommt in eine Pflegefamilie. Wie
kam es schließlich zur Festnahme? Lestari hält inne, überlegt. Ihre dünne
rechte Hand umklammert die Nase. Ihr Blick ist auf etwas gerichtet, das
niemand sehen kann – die Erinnerung an das, wovon in der ostjavanischen
Stadt Blitar heute noch ein martialisches Denkmal kündet. Die Operation
Trisula, an der 5.000 Militärs und 3.000 Milizionäre beteiligt waren,
sollte die letzten versprengten Kommunisten in Ostjava aufspüren.
Lestari flieht zur Küste. „Doch da“, ihr Blick geht nach oben, „da in den
Hügeln, da standen sie.“ Die Soldaten eröffneten das Feuer, ein Mann wird
direkt neben ihr erschossen. Lestari wird ins Frauengefängnis von Malang
gebracht. „Ich hatte großes Glück“, sagt Lestari. „Mir haben sie keine
Gewalt angetan.“
Ihre MitbewohnerInnen hatten weniger Glück. Im Gemeinschaftsraum, wo
morgens genäht und gehäkelt, mittags am großen Tisch gegessen und abends
gemeinsam ferngesehen wird, sitzen sie zusammen auf Stühlen und einem Sofa.
Die heute 72 Jahre alte Journalistin Sri Sulistyawati kam ins berüchtigte
Foltergefängnis Bukit Duri in Jakarta. Sie zeigt zwei Lücken in ihrem
Gebiss. „Da haben sie die Stromkabel angelegt“, erzählt sie. Die 83-jähri…
Sri Suprapti Isnanto, auch eine ehemalige Gerwani-Aktivistin, berichtet von
neun Jahren Haft in Medan und sagt: „Dort gab es keine Frau, die nicht
vergewaltigt wurde.“
Ab Mitte der 70er Jahre kamen aufgrund wachsenden internationalen Drucks
mehr und mehr Häftlinge frei. Lestari wurde 1979 entlassen. Doch das
bedeutete noch lange nicht Freiheit. Ihr Haus war beschlagnahmt, in ihrem
Ausweis prangte der Stempel „ET“ für „Ex-Tapol“, das heißt: ehemaliger
politischer Häftling. Jobs, für die man offizielle Dokumente brauchte,
kamen für Lestari deswegen nicht infrage. Sie wurde Hausangestellte in
Surabaya, wo sie keiner kannte.
Wie Lestari hier sitzt, gebeugt, verrunzelt, sieht sie aus wie eine
typische javanische Großmutter. Doch auf den Besuch ihrer Enkel zu warten
hat sie aufgegeben. Ihre jüngste Tochter ist 46 Jahre alt. Einmal trafen
sie sich und lagen sich weinend in den Armen. Kurz darauf klingelte das
Telefon im Regal des Gemeinschaftsraums, der Mann der Tochter war dran. „Er
hat Angst vor mir“, sagt Lestari. Doch es sei nicht schlimm, die Familie
nicht zu sehen. „Ich bin froh zu wissen, dass es ihnen gut geht.“
## Halbherzige Aufarbeitung
Im Mai 1998 trat Suharto zurück. 32 Jahre lang hatte er das Gespenst des
Kommunismus beschworen und damit seine Herrschaft legitimiert. Erst jetzt
konnten die Opfer von 1965 ihre Stimme erheben. Verbände formierten sich,
kritische Bücher erschienen, zivilgesellschaftliche Gruppen initiierten
Versöhnungsprojekte.
Doch die jahrzehntelange Indoktrinierung wirkt weiter. An Indonesiens
Schulen wird noch immer mit den alten Geschichtsbüchern gearbeitet. Am
Jahrestag der Ermordung der Generäle marschiert immer noch das Militär am
Pancasila-Monument in Jakarta auf. Von einer systematischen Aufarbeitung
ist Indonesien weit entfernt. Ein Bericht der Nationalen
Menschenrechtskommission (Komnas HAM) soll belegen, dass indonesische
Militärs im Zuge der Kommunistenverfolgung schwere
Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Längst angekündigt, ist er
dennoch noch nicht erschienen.
Lestari hat sich fein gemacht. Sie trägt einen schwarzen langen Rock, dazu
eine schwarz-rot-weiße Bluse und einen lila Schal. Zusammen mit zwölf
Männern und Frauen sitzt sie auf einem Podium. Die
Menschenrechtsorganisation Kontras veranstaltet eine Pressekonferenz, in
der das zögerliche Vorgehen der Menschenrechtskommission scharf kritisiert
wird.
„Dass damals schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, ist
wirklich nicht schwer zu beweisen“, sagt Kontras-Mitarbeiter Papang
Hidayat. Wenn Präsident Susilo Bambang Yudhoyono die
Vergangenheitsbewältigung ernst nähme, müsse er auch die Schuld seines
eigenen Schwiegervaters beim Namen nennen, der 1965 als ranghoher Militär
bei der Kommunistenverfolgung eine entscheidende Rolle gespielt habe. Die
Kommission habe schlicht Angst, den Bericht zu verabschieden, sagt Papang.
„Der Umgang mit 1965 ist die Messlatte dafür, wie demokratisch Indonesien
geworden ist.“
## Sehnsucht nach Ostjava
Lestari sagt kein Wort während der Pressekonferenz. Sie sitzt einfach da,
ein schweigendes Symbol vergangenen Unrechts, und liest die
Pressemitteilung. Ganz nah hält sie sich das Blatt vors Gesicht, langsam
wandern ihre Augen über die Zeilen. Sie liest noch immer, als die anderen
schon aufschauen in die klickenden Kameras der Journalisten. Sie ist
hierhergekommen. Sie wird es wieder tun, wird dahin gehen, wohin sie
gerufen wird. Dafür kämpfen, dass die Opfer von 1965 rehabilitiert werden
und um aus ihrem Leben zu erzählen.
Doch eigentlich wäre sie gern woanders. „Was nützt es, wenn wir hier eine
Versammlung nach der anderen abhalten?“, fragt sie, zurück in der Wohnküche
ihres Hauses. „Ich will zurück nach Ostjava“, sagt sie und reckt energisch
den Kopf nach vorn. Ihre Augen sind auf einmal wieder ganz wach. „Ich will
mit den Leuten auf der Straße reden. Ihnen sagen, dass sie vor uns keine
Angst haben müssen. Und mit ihnen darüber reden, was Demokratie wirklich
heißt.“
18 Apr 2012
## AUTOREN
Anett Keller
## TAGS
Indonesien
Schwerpunkt Klimawandel
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