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# taz.de -- Film „Haus der Sünde“: Die Leibeigenen
> Der deutsche Filmtitel „Haus der Sünde“ verheißt billige Erotik. Dabei
> ist es ein einfühlsamer Film über ein Pariser Bordell an der Schwelle zum
> 20. Jahrhundert.
Bild: Szene aus Bonellos „Haus der Sinne“.
Über den deutschen Verleihtitel dieses Films kann man sich nur wundern,
denn er lässt an billige Erotikfilme aus den Sechzigern denken. Damit hat
Bertrand Bonellos „L’Apollonide – souvenirs de la maison close“ nichts …
tun. Dem Regisseur ist vielmehr ein einfühlsamer Film über ein Pariser
Bordell an der Schwelle zum 20. Jahrhundert geglückt.
Die Prostituierten verlassen die „maisons closes“ so gut wie nie; so
eingeschränkt ist ihre Freiheit, dass man sie für Leibeigene halten könnte
– tatsächlich stehen sie bei der Bordellbetreiberin (Noémie Lvovsky) in der
Schuld. Tagsüber dösen sie in karg eingerichteten Kammern, essen gemeinsam
oder spielen mit den Kindern der Bordellbetreiberin; abends und nachts
agieren sie in einer opulenten Inszenierung, die den Freiern Ausschweifung,
Pracht und Extravaganz verheißt. Der Film lässt dabei niemals vergessen,
dass davon einzig und allein die Männer profitieren.
Realistische Konventionen sind Bonello recht gleichgültig, es gibt
anachronistische Musikstücke, Traumsequenzen, Sprünge in der Zeit. All das
verweist darauf, dass, wo es um Sexualität geht, die Fantasien mächtig
wirken. Die Filmbilder sind dementsprechend von Fantasien in Beschlag
genommen, was aber – das ist das Bemerkenswerte – nicht dazu führt, dass
sich Bonello in erotischen Schwärmereien erginge. Eher gibt sich der Film
dunklen Fantasien hin, Fantasien, die aus der Härte der Verhältnisse
notwendig hervorgehen.
Zugleich versucht „L’Apollonide“, zeitgenössische Diskurse, Ästhetiken …
Theorien zu evozieren, etwa wenn eine der Frauen ein
pseudowissenschaftliches Traktat über Prostitution studiert und darin auf
die Hypothese stößt, Prostituierte seien dumm und degeneriert.
Es ist ein Moment schockhafter Erkenntnis, denn die Frau begreift, wie sie
vom Klassifizierungsfuror einer positivistischen Wissenschaft zum Objekt
herabgewürdigt wird. Sie ist ein denkender, fühlender, mit reicher
Subjektivität ausgestatteter Mensch, aber all das wird ihr abgesprochen,
nicht zuletzt, weil eine solche Wissenschaft die ureigenen Interessen ihrer
Repräsentanten schützt. Die können schließlich im Freudenhaus ohne Reue
benutzen, wen sie zuvor als degeneriert abqualifiziert haben.
„Haus der Sünde“. Regie: Bertrand Bonello. Mit Hafsia Herzi, Noémie
Lvovsky, Jacques Nolot u. a. Frankreich 2011, 125 Min.
19 Apr 2012
## AUTOREN
Cristina Nord
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Fin de Siècle, Realität und Fantasie sowie Tränen aus Sperma.
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