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# taz.de -- Fairer Handel in Deutschland: Evolution einer gerechten Marke
> Seit 20 Jahren vergibt der Kölner Verein Transfair das Label für „Fairen
> Handel“. Eine kleine Stilkritik über einen heute etablierten
> Zertifizierer, der einst Pionierarbeit leistete.
Bild: Nahezu alle Verbraucher, die Transfair kennen, vertrauen dem Label.
BERLIN taz | Gestartet sind sie mit einer Truppe engagierter Mitarbeiter
und dem ersten Lizenznehmer Gepa, inzwischen tragen Produkte von 200
Unternehmen in etwa 36.000 deutschen Geschäften das Fairtrade-Label: Seit
seiner Gründung vor genau 20 Jahren hat der Kölner Verein Transfair in
Deutschland den Begriff „Fairer Handel“ geprägt, wie keine andere
Einrichtung.
„Transfair hat überhaupt erst die Grundlage dafür geschaffen, dass wir
heute ein relativ ausgeprägtes Bewusstsein für den Nexus zwischen den
reichen Ländern des Nordens und armen Ländern des Südens haben“, sagt
Albrecht Schwarzkopf, Experte für Kaffeehandel und Mittelamerika bei der
Christlichen Initiative Romero. CIR ist wie Misereor, die
Friedrich-Ebert-Stiftung oder der deutsche Genossen-schaftsverband eine der
29 Mitgliedsorganisationen bei Transfair.
Schwarzkopf sieht einige Linien des Vereins dennoch kontrovers. Als
offizieller Lizenzgeber des Labels der Fairtrade-Labelling-Organisation
International (FLO) in Deutschland agieren die etwa 30 Mitarbeiter bei
Transfair als Mittler zwischen Produzenten, Händlern und Konsumenten. Nur
Produkte, die unter bestimmten Mindeststandards entstanden sind, dürfen als
fair deklariert werden.
Im Mittelpunkt der [1][Regeln] wie etwa dem Verzicht auf bestimmte
Pestizide in der Landwirtschaft, Diskriminierungsverbote und der Bedingung,
dass Kleinbauern sich in Gemeinschaften organisieren müssen, steht dabei
seit zwei Jahrzehnten ein Ziel: Die Lebensbedingungen der Produzenten -
häufig Kleinbauern in Schwellen- und Entwicklungsländern - selbst zu
verbessern.
## Mindestpreise
Dies geschieht vor allem über die festgeschriebenen „Fairtrade-Prämien“,
die in regionale Gemeinschaftsprojekte fließen und über Mindestpreise für
die meisten der Fairtrade-Produkte. „Besonders bei Produkten mit extrem
schwankungsanfälligen Weltmarktpreisen, wie etwa Kaffee, haben diese
Fairtrade-Mindestpreise große Vorteile“, sagt Till Stellmacher,
Zertifizierungsexperte am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) in Bonn.
Der Wissenschaftler untersucht die Auswirkungen von Handels-Zertifikaten
auf Bauern in Entwicklungsländern und glaubt, dass Transfair insbesondere
in ländlichen Gebieten viel bewegt hat: „Der Verein hat in den vergangenen
20 Jahren Pionierarbeit im Zertifizierungsbereich geleistet und dazu
beigetragen, Armutskreisläufe zu durchbrechen.“
Nach Angaben der FLO profitieren insgesamt 1,2 Millionen Arbeiter und
Kleinbauern in Costa Rica, der Dominikanischen Republik und 58 weiteren
Ländern von den Standards der Organisation, die fünf Jahre nach Transfair
1997 in Bonn gegründet wurde. „Der Kreis der profitierenden Produzenten
könnte aber viel größer sein“, sagt Albrecht Schwarzkopf.
Er hält es für wichtig, die Bedingungen für einen möglichst großen Teil der
Bevölkerung in den Produzentenländern zu verbessern. Schwarzkopf sieht die
Standards der FLO als zu streng an. Viele andere Label für ökologische und
soziale Standards wie etwa UTZ-Certified, größte Labelorganisation im
Kaffeebereich, böten andere Einstiegsmöglichkeiten und setzten dann
Anreize, damit sich die Produzenten selbst weiter entwickeln. Zwar sind
auch bei Fairtrade Entwicklungsziele als zweite Stufe nach dem Einstieg
vorgesehen.
## Teilweise entsteht Skurriles
„Aber Fairtrade steigt hoch ein und wirkt dadurch manchmal wie ein Closed
Shop“, sagt Schwarzkopf. Dadurch entstehe teilweise die skurrile Situation,
dass die Arbeitsbedingungen auf den Farmen gute Standards böten, während
die arbeitende Bevölkerung de Umgebung weiterhin in ärmlichen Verhältnissen
bleibe. „Man muss aufpassen, dass keine Zertifizierungsindustrie entsteht,
die die Ziele in den Schatten stellt.“
Die Gefahr, dass das Label und nicht die Möglichkeiten der Produzenten vor
Ort im Vordergrund stehen, sieht auch Stellmacher. Er glaubt zwar nicht,
dass die Standards abgesenkt werden sollten. Allerdings seien sie in
einigen Bereichen nicht mehr zeitgemäß, da die Einkommensschere in vielen
Produzentenländern etwa von Kaffee oder Reis mittlerweile eklatant
auseinander gehe.
„Es gibt nicht ‚den Bauern’ in der dritten Welt. In den letzten Jahren
haben sich Entwicklungsländer stark unterschiedlich entwickelt. Das stellt
das Konzept von Fairtrade generell vor neue Herausforderungen.“, sagt
Stellmacher. Fairtrade müsse noch mehr in die Nahaufnahme gehen und an
lokalen Initiativen anknüpfen.
Stattdessen werde manchmal einfach zertifiziert, was vor Ort an Strukturen
vorhanden sei - und das obwohl Transfair ursprünglich ein Verein zur
Unterstützung von Kleinbauern war. Die FLO hat ihre Standards mehrfach den
realen Entwicklungen in den Produzentenländern angepasst, mittlerweile
zertifiziert sie organisierte Kleinbauern, angegliederte Vertragspartner
und Plantagenbesitzer nach unterschiedlichen Kriterien.
## Produkte jenseits der Landwirtschaft
„Auf die zugespitzte Lage der Menschen in den Entwicklungsländern reagiert
Fairtrade etwa damit, sich in kritische Produktbereiche jenseits der
Landwirtschaft hinein zu wagen“, sagt Edith Gmeiner, Sprecherin bei
Transfair. So engagiere man sich verstärkt bei Gold, Holz und Textilien und
bei Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel. Denn den bekommen bereits viele
Produzentenorganisationen in Mittelamerika und Afrika deutlich zu spüren.
Transfair versucht also nach wie vor, nah ran zu kommen, an die
Lebenswirklichkeit der Produzenten. Dafür spricht etwa die Reform der
Stimmrechte innerhalb der FLO, welche seit 2011 mehrheitlich bei den
Produzenten liegt. Doch am Beispiel äthiopischer Kaffee-Kooperativen haben
Stellmacher und seine Kollegen beobachtet, dass sich die Zertifizierung
unterschiedlich auf die Lebensbedingungen der Bauern auswirken kann.
Am meisten profitierten Bauern in Kooperativen, die sich selbstständig
gegründet haben. „Doch in vielen Entwicklungsländern machen diese
Bottom-up-Strukturen nur einen kleinen Teil der Kooperativen aus, viele
sind staatlich initiiert“, sagt der Entwicklungsexperte. Sie arbeiten oft
weniger effektiv und effizient, die Jobs der Farmer sind teilweise
gefährdet.
Fairtrade zertifiziere häufig trotzdem, statt zunächst das Siegel nur in
Aussicht zu stellen und den langfristigen Aufbau von lokalen, eigenen
Strukturen unterstützen. Mit dem CIR betreibt Schwarzkopf Lobbyarbeit für
Fairtrade im deutschen Kaffeeverband, um die Produktpalette zu vergrößern.
Er sagt: „Langsam spüren die Großen den Druck und fangen an, sich zu
bewegen.“ Zwei der vier größten Kaffeehändler in Europa, Kraftfoods und
Nestlé, stellten ihre Produktpalette aktuell auf Nachhaltigkeit um, auch
Melitta beginne auf einem niedrigen Niveau mit dem 4C-Association-Label.
## Jährlicher Umsatz von 400 Millionen
Auf Konsumentenseite zeigt sich ein gemischtes Bild: Umfragen zufolge ist
Transfair heute schon 69 Prozent der deutschen Bevölkerung ein Begriff, 93
Prozent derer, die es kennen, vertrauen auf das Label. Maßgeblich dazu
beigetragen hat wohl die Ausdehnung der Fairtrade-Zertifizierung auf den
konventionellen Bereich, auf Supermarktketten wie Lidl und Netto.
„In Kaufverhalten setzt sich das aber noch nicht genug um, Fairtrade ist
immer noch Nische“, sagt Schwarzkopf. Fairtrade hat mit jährlichen Umsätzen
von 400 Millionen Euro in Deutschland nur einen Gesamtmarktanteil um die
drei Prozent. In Großbritannien und den Niederlanden sei der Anteil von
fair gehandelten Produkten im Einzelhandel viel höher als in Deutschland.
„Die deutschen Konsumenten achten dagegen primär auf Umwelt- und
Gesundheitsaspekte – dort muss man sie abholen und Synergien mit Fairtrade
schaffen, dann gibt es viel Potential nach oben“, sagt Till Stellmacher.
Dies könne etwa durch Doppel-Label erreicht werden. „Denn der
Fairtrade-Gedanke ist heute in Zeiten internationaler Wirtschafts- und
Lebensmittelkrisen aktueller denn je.“
21 Apr 2012
## LINKS
[1] http://www.fairtrade-deutschland.de/ueber-fairtrade/fairtrade-standards/
## AUTOREN
Karin Grass
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