# taz.de -- Zu wenig Geld fürs Kindertheater Grips: Klein, frech und stark | |
> Das Grips Theater war für Konservative in den 70ern ein rotes Tuch. Heute | |
> tourt es durch die ganze Welt und wird sogar von Ärzten verschrieben. | |
Bild: Kindertheater mit Hirn: „Pünktchen trifft Anton“ wird derzeit noch r… | |
BERLIN taz | Im Berliner Grips Theater können Kinder in der Pause auf der | |
Bühne toben. Denn sie ist nicht frontal und erhoben, sondern wie in einem | |
Amphitheater mittig von drei Seiten mit Sitzbänken umgeben. | |
Tobt man als Kind durch die von den Schauspielern kurzzeitig verlassenen | |
Bühnenrequisiten, fühlt man sich, als wäre man für einen Moment auch Held | |
des Theatergeschehens und des eigenen Films im Kopf. Nicht klein, nicht | |
abhängig, weder ehrfürchtig noch unterlegen. Das ist schön, macht Mut und | |
macht stark. | |
Nichts anderes ist seit 43 Jahren das Anliegen des linken Kinder- und | |
Jugendtheaters. Es nimmt Kinder ernst. Damit hat Volker Ludwig, Gründer und | |
heutiger Geschäftsführer des Theaters, sein Haus zum bekanntesten | |
Kindertheater des Landes gemacht, das mit Stücken wie „Max und Milli“ und | |
„Linie 1“ um die Welt reist. | |
Dabei sind die Stücke nie nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Wenn | |
die Kinder sich morgens mit der Schulklasse im Kindertheater beömmeln, oder | |
als Jugendliche über Globalisierung nachdenken, können die Erwachsenen | |
abends herrlich über sich selbst lachen. Ob es um die Angst beim | |
Einschlafen, die Trennung der Eltern, Ausländerfeindlichkeit oder Mobbing | |
in der Schule geht, in jedem Stück steckt eine große Portion Sozialkritik, | |
Humor und Menschenfreundlichkeit. | |
In den 70er Jahren wurde das Theater für seine antiautoritären, | |
aufklärerischen Inszenierungen von der konservativen Presse und Politik mit | |
dem Vorwurf „kommunistische Kinderverderber“ zu sein, stark angegriffen. | |
Denn die Kinder in den Grips-Stücken sind frech zu ihren Eltern und lassen | |
sich weder vom Stiefvater noch von Lehrern oder der Staatsgewalt das Leben | |
versauen. | |
Ob in Westberlin oder in der bayerischen Provinz aufgewachsen – wer mit dem | |
Grips Theater sozialisiert wurde, stellt Autoritäten und Stereotype infrage | |
und ist erst einmal auf der Seite des Schwächeren. Es ist ein Konsens, der | |
verbindet – und sei es nur, dass einem jedes Mal, wenn die Polizei die | |
Personalien aufnimmt, der Dialog zwischen einem Kind, das angeblich | |
Hausfriedensbruch begangen hat und einem Polizisten auf der Wache aus | |
„Balle, Malle, Hupe und Artur“ durch den Kopf geht: „Naaaame?“ – „H… | |
Freizeithemd …“ - „Frei-zeit-hemd … ein seltener Name.“ | |
## Theaterbesuche fördern die Empathie | |
Polizisten, überarbeitete Eltern und die Kontrolleure aus dem Musical | |
„Linie 1“ genauso wie die Wilmersdorfer Witwen – sie sind gefangen in ihr… | |
Geltungsbedürfnis und ihrem engen, kleinen Weltbild, nur Kinder vermögen | |
es, wachen Auges über den Tellerrand zu blicken. Damit das so bleibt, | |
braucht das Grips Theater jetzt zuzüglich zu den 2,7 Millionen Euro | |
Subventionen, 150.000 Euro mehr im Jahr, sagt Volker Ludwig. | |
Der Intendant des Hauses, Stefan Fischer-Fels, fügt gegenüber der taz | |
hinzu: „Sonst können wir nur noch Erwachsenenvorstellungen am Abend geben, | |
wo wir mit den Eintrittskarten auch Geld verdienen. Aber das ist nicht das, | |
wofür wir da sind. Letztendlich geht es um die Frage, was Kindertheater in | |
diesem Land wert ist.“ | |
Der Sprecher der Berliner Kulturverwaltung, Torsten Wöhlert, bestreitet, | |
das in Berlin Kindertheater ein Nischendasein führe. Knapp 10 Millionen | |
Euro für insgesamt 13 Berliner Kindertheater werden jährlich ausgegeben, da | |
wird doch eine gewisse Vielfalt deutlich. Wobei den Löwenanteil das Grips | |
Theater und das Theater an der Parkaue erhalten. An Zuschauern mangelt es | |
ohnehin nicht: 76.000 Besucher zählte das Grips Theater im Jahr 2011, was | |
einer 80-prozentigen Auslastung entspricht, das Theater an der Parkaue war | |
mit 93.000 Zuschauern zu 83 Prozent ausgelastet. | |
Gegenüber der taz wiederholte Wöhlert, der Kulturetat für das kommende Jahr | |
sei entschieden, der Ball liege nun im Parlament. Dort könnten am 4. Mai im | |
Hauptausschuss tatsächlich noch einmal 100.000 Euro bewilligt werden. Und | |
wenn nicht? „Es gibt keinen Plan B“, sagt Fischer-Fels. „Es wäre ein | |
schleichender Tod.“ Dabei wird ein Besuch im Grips Theater sogar von | |
Berliner Kinderärzten bei Vorsorgeuntersuchungen verschrieben – neben | |
gesunder Ernährung und frischer Luft. Denn, wie der Name Grips schon sagt, | |
fördert das Kindertheater das Denken und das Mitgefühl. Also handelt es | |
sich hier womöglich auch um einen Fall für den Gesundheitsminister. | |
20 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Julia Niemann | |
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Indien | |
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