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# taz.de -- Ein Augenzeuge berichtet aus Mali: Per Bus zu den Tuareg-Rebellen
> Ein Arzt aus Malis Hauptstadt Bamako berichtet über eine Reise in sein
> Dorf, das im Gebiet der Tuareg-Rebellen liegt. Was er unterwegs sieht,
> erschrickt und bedrückt ihn.
Bild: Flüchtlinge aus Gao kommen mit dem Bus in Bamako an.
BAMAKO taz | Meine* Familie lebt in einem Dorf tief im Tuareg-Gebiet, weit
hinter der Stadt Gao. Nachdem diese Region unter Kontrolle von
Tuareg-Rebellen, al-Qaida im islamischen Maghreb, Salafisten und anderen
Elementen gefallen ist, können wir – angesichts der Bilder und Nachrichten
von dort – nicht untätig bleiben. Vor allem für diejenigen, die dort
Familie haben, wird die Situation mit jedem Tag unerträglicher.
Also entschloss ich mich, am 11. April die Reise aus Bamako nach Gao auf
mich zu nehmen. Ich stellte mit großer Bitterkeit fest, dass ich ab Sévaré
ein anderes Land betrete: Azawad. Obwohl ich mich in meinem eigenen Land
befinde.
Nach Sévaré befanden sich in meinem Bus nur noch Kamikazes, wenn man das so
sagen darf. Wir waren sieben in einem Bus mit über 60 Plätzen. Schnell
fanden wir heraus, dass fünf aus dem Dorf Fana kommen, das für seinen
Widerstand gegen Tuareg-Überfälle legendär war. Dann gab es die Witwe eines
Militärs und mich. Uns allen war das Risiko dieser Reise klar.
Zwei Stunden nach dem letzten Posten von Mali erreichten wir also Azawad.
Die erste Sperre befand sich im Ort Douentza. Dort sah ich zum ersten Mal
Rebellen, sehr nervöse und genervte bewaffnete Männer, die zur Kontrolle in
den Bus stiegen. Ihre einzige Waffe schien die Einschüchterung zu sein. Sie
sehen dir tief in die Augen und warten, ob du Panik kriegst, bevor sie dir
Fragen stellen. Es ist traurig, mein Land in diesem Zustand zu sehen. Von
Douentza bis Gao war die Reise relativ ruhig. Wir fuhren immer wieder an
schwerbewaffneten Pick-Ups vorbei, mit Rebellen an Bord, wie um uns daran
zu erinnern, dass wir in Azawad sind.
## Unbeschreibliches Chaos
Die Ankunft in Gao war wie die Ankunft in einer Stadt im
Belagerungszustand. Wir wurden aus dem Bus geholt und in die Basis der
Islamisten gebracht. Wir sagen dort Männer unterschiedlicher Herkunft, die
unterschiedliche Sprachen sprachen: Tamasheq (die Tuareg-Sprache),
Arabisch, Songhai (eine malische Sprache) und andere, die ich nicht kannte.
Sie waren sehr angespannt. Es herrschte der Eindruck eines
unbeschreiblichen Durcheinanders.
Es war völlig unklar, wer das Sagen hat: AQMI (al-Qaida im Islamischen
Maghreb)? Ansar Eddine (malische Islamistenarmee)? MNLA (die
Tuareg-Nationalbewegung zur Befreiung von Azawad)? Man konnte anhand der
Flaggen leicht feststellen, wer wer war.
Sie stellten uns drei Fragen. Wieso kommt ein Bus aus Bamako 1.200
Kilometer nach Gao mit nur sieben Passagieren an Bord – wo sind die
anderen? Wieso wollen wir ausgerechnet jetzt nach Gao? Wieso haben wir neue
Personalausweise? Die Frage bezog sich auf das Gerücht, wonach Militärs als
Zivilisten verkleidet das Rebellengebiet infiltrierten.
Das Interview dauerte vier Stunden. Schließlich setzten sie uns am
Stadtrand aus. Wir gingen zu Fuß weiter. Ich rief einen Cousin an, der bei
einem medizinischen Hilfswerk arbeitet, er holte mich mit dem Motorrad ab.
Zurück in Gao, suchten uns die neuen Herren der Stadt auf. Der Abend endete
mit der Beschlagnahmung unserer Mobiltelefone.
## Katastrophale humanitäre Lage
Gao, die schöne legendäre Stadt, ist eine Geisterstadt geworden. Alles ist
geplündert, verwüstet und zerstört. Ich hatte Zeit, das Regionalkrankenhaus
zu besuchen, das beste der Region. Es sah nach der Plünderung so aus, als
habe nie jemand dort gelebt. Die humanitäre Lage ist katastrophal. Die
Menschen haben Angst, insbesondere die Frauen.
Ich reiste schließlich weiter in mein Dorf. Was für eine Erleichterung! Die
Rebellen waren durchgezogen und hatten geplündert, aber niemand hatte sein
Leben verloren. Mit meiner Reise wollte ich meine Mutter und einige ältere
Personen nach Bamako holen. Ihre Antwort war eine Lektion des Mutes und der
Würde: Wir verlassen unseren Grund und Boden nicht.
Also entschloss ich mich, als Arzt zu handeln, angesichts des Fehlens
jeglicher Gesundheitsversorgung. Ich trat die Rückfahrt mit drei jungen
Schwangeren an, mit Kindern und Kranken. Ich entschloss mich, nicht mehr
auf dem gleichen Weg zurückzufahren. Ich nahm den Umweg über Niger, Burkina
Faso und von dort aus nach Bamako. Mein Haus in Bamako ist zum
Flüchtlingslager geworden. Das muss ich jetzt erst mal organisieren. Aber
immerhin bin ich heil zurückgekommen.
* Der Name des Autors ist in der Redaktion bekannt
24 Apr 2012
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