# taz.de -- Virtuelles Geld: Zahlen, bitte! | |
> Die Internetwährung "Bitcoins" kann man nicht anfassen. Aber man kann | |
> sein Bier damit bezahlen - in einer Kreuzberger Kneipe. | |
Bild: Diese drei Euro-Fans sind definitiv alte Schule. | |
Auf den ersten Blick wirkt der Room 77 wie eine gewöhnliche Kreuzberger | |
Kneipe. Lampions baumeln von der Decke, die Diskokugel wirft Restglanz auf | |
die dürftig verputzten Wände und den einsamen Gitarristen, der neben der | |
Bar steht und mit Tom-Waits-Stimme singt. Die Normalität soll jedoch nicht | |
darüber hinwegtäuschen, dass hier, im Stillen, ein abenteuerliches | |
Finanzexperiment vollzogen wird. Während man anderswo noch versucht, den | |
Euro zu retten, lässt Room-77-Inhaber Jörg Platzer seine Gäste längst auch | |
mit Bitcoins bezahlen: einer Währung, die man nicht anfassen kann. | |
„Bitcoins existieren nur im Internet“, erklärt Platzer, für den das Netz | |
schon vor 20 Jahren zur zweiten Heimat wurde, weil es Freiheit versprach. | |
Diese Freiheit, das unzensierte, unabhängige Leben, sucht er dort bis | |
heute. In den Augen des 45-Jährigen ist das globale Finanzsystem „eine | |
unfassbare Katastrophe.“ Und Bitcoins sind für ihn die Zukunft. „Weil keine | |
Bank, Regierung oder Institution diese Währung kontrollieren kann“, so | |
Platzer. | |
Stattdessen bilden alle Bitcoin-Nutzer zusammen ein weltweites | |
Computer-Netzwerk. In diesem fließt das elektronische Geld von einem | |
Rechner zum anderen, peer to peer, vorbei an den Banken und ihren Gebühren. | |
Eine zentrale Stelle, die die Transaktionen überwacht, gibt es nicht. | |
Sender und Empfänger bleiben hinter verschlüsselten Datenpaketen verborgen. | |
Das macht Bitcoins so anonym wie Bargeld. | |
Ob handgemachte Naturseife, Posaunen oder Rotwein – verschiedene | |
Onlineläden bieten ihre Produkte in Deutschland mittlerweile gegen Bitcoins | |
feil. Handelsplattformen wie Mt. Gox tauschen im Netz offizielle Währungen | |
wie Euro und Dollar zu ständig aktualisierten Kursen in Bitcoins. Derzeit | |
ist eine digitale Münze rund 4 Euro wert. Dafür kann man bei Jörg Platzer | |
ein großes Bier kaufen. Als bislang einzige Kneipe in Deutschland, die | |
Bitcoins akzeptiert, ist der Room 77 in der Gräfestraße zum Mekka der | |
Hackerfreunde, Nerds, Sozialutopisten und Softwareentwickler avanciert. | |
Hier halten sie monatlich in den Abendstunden ihren Bitcoin-Stammtisch ab. | |
Heute sind acht Leute gekommen, die meisten Männer zwischen 26 und 40 in | |
Jeans und Kapuzenpullovern. Sie wollen vielleicht die Finanzwelt | |
revolutionieren, doch wenn es ums Essen geht, scheuen sie Experimente: | |
Jeff, 28, und Manuel, 30, bestellen Guacamole-Burger – „wie immer“. Mit | |
ihrem Besteck malen sie beim Sprechen unsichtbare Bilder in die Luft. Für | |
den Ingenieur Manuel ist die Verschlüsselungskunst, auf der das System | |
Bitcoin basiert, „die höchste Wissenschaft überhaupt: Kryptografie ist | |
richtig krasser Scheiß.“ Jeff nickt heftig. „Bitcoin ist Science-Fiction zu | |
Lebzeiten“, findet der Jurastudent. | |
Es ist dieser Pioniergeist, der sie antreibt, auch wenn sie mit dem | |
digitalen Geld bislang nur in ein paar ausgesuchten Nischenläden Dinge wie | |
Honig und Socken kaufen können. „In den USA zahlen manche Leute bereits | |
ihre Miete damit“, berichtet Jeff. Und damit es auch hierzulande bald | |
soweit ist, handelt er mit der 2009 entstandenen Währung. | |
Jeff ist Großeinkäufer der virtuellen Währung. Er verkauft sie in kleinen | |
Mengen an Privatpersonen weiter und nimmt dafür Gebühren, die unter denen | |
der offiziellen Tauschbörsen liegen. „Ich verdiene damit vielleicht 300 | |
Euro im Monat“, schätzt er, „da habe ich früher beim Onlinepoker mehr | |
gemacht.“ Die meisten seiner Einkäufer kommen aus Berlin. | |
Dass die Szene hier besonders stark vertreten ist, wundert Wirt Platzer | |
nicht: „Es ist eine netzaffine und freiheitsliebende Stadt“, sagt er. Seine | |
Stadt. Der aufmerksame, schlanke Mann kommt, wie er sagt, aus der | |
„Bürgerrechtler-Hacker-Ecke“ und betreibt den Room 77 seit 2005. Konzerne | |
wie Facebook sind für ihn die Hölle: „Facebook hat die Überwachung im | |
Internet um einen unbeschreiblichen Faktor erhöht“, meint er. „Aber eine | |
Technologie wie Bitcoin lässt mich wieder an ein Internet glauben, das sich | |
eben nicht zensieren oder überwachen lässt.“ Also fördert er sie und | |
beherbergt seit über einem Jahr den Stammtisch. | |
An den kommt Platzer jetzt zum Abkassieren. Bislang zahlt der Großteil | |
seiner Gäste weiterhin mit Euro. Jeff und Manuel hingegen zücken ihre | |
Smartphones und öffnen ihre digitalen Brieftaschen, um die Bitcoins für | |
Burger und Bier auf den Weg zu bringen. Die Handybildschirme werfen weißes | |
Licht auf ihre müden Gesichter. | |
Auch der einsame Gitarrist, der den ganzen Abend seine Tom-Waits-Stimme | |
malträtiert hat, packt seine Sachen zusammen und läuft zum Abschluss mit | |
dem Hut in der Hand durch den Laden. „Eine kleine Zuwendung?“, fragt er, | |
als er an den Bitcoin-Stammtisch kommt, und hält seinen Hut in die Runde. | |
Für einen kurzen Moment prallen hier Welten aufeinander. Dann legen Manuel | |
und Jeff verdutzt die Handys beiseite und fangen an, in ihren Hosentaschen | |
nach Kleingeld zu kramen. | |
24 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Joanna Itzek | |
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