# taz.de -- Kultur: Neue Mauer auf der Friedrichstraße | |
> Die Künstlerin Nada Prlja errichtet im tristeren Teil der Einkaufsmeile | |
> eine "Peace Wall". Mit ihrer Mauer will sie auf die schärfer werdende | |
> Trennung zwischen Arm und Reich in der Stadt aufmerksam machen. | |
Bild: Diese Mauer trennte nahe beim heutigen Abgeordnetenhaus über Jahrzehnte … | |
Man braucht dem Touristenwahnsinn am Checkpoint Charlie nur fünf Minuten | |
den Rücken zuzuwenden und Richtung Süden schlendern, schon gerät man in | |
eine andere Welt. Keine Milchschaum-Tempel von Café Einstein bis Starbucks | |
mehr, auch keine gediegenen Bürogebäude mit den dazugehörigen | |
Nadelstreifenanzugträgern. Stattdessen: Wohnbatterien aus Beton, ein | |
Kik-Klamottenladen, Menschen mit Lidl-Tüten. Wenige Meter neben einem der | |
teuersten Orte Berlins befinden wir uns im schönsten Problemviertel mit | |
allen bekannten Schwierigkeiten: Die meisten Anwohner haben | |
Migrationshintergrund, viele sind arbeitslos. | |
Es ist genau dieser Zusammenprall der Welten, den die Künstlerin Nada Prlja | |
im Rahmen der 7. Berlin-Biennale dazu bewogen hat, genau hier, mitten auf | |
der Friedrichstraße Höhe Besselpark, ihre „Peace Wall“ aufzubauen. Es | |
handelt sich um ein Zitat der Berliner Mauer, das allerdings die etwas | |
andere Art der Trennung der Stadt im 23. Jahr nach dem Mauerfall zum Thema | |
macht. | |
Dabei ist die „Peace Wall“ genau genommen keine Mauer, sondern eine | |
Barrikade, mehr als fünf Meter hoch, elf Meter breit und einen Meter dick. | |
Sie besteht aus einem Baugerüst, und beim Besuch am frühen | |
Donnerstagnachmittag wurden gerade die schwarz zu streichenden | |
Sperrholzplatten auf der nördlichen und die weiß zu streichenden | |
Wellblechplatten auf der südlichen Seite angeschraubt. Zwei Anwohner im | |
beigefarbenen Haus daneben saßen mit nackten Oberkörpern auf ihren grauen | |
Balkons, schauten mürrisch nach unten, wollten aber nicht verraten, was sie | |
von der Aktion halten. | |
Nada Prlja, 1971 in Sarajevo geboren, in Skopje aufgewachsen und seit 1999 | |
in London zu Hause, sitzt neben ihrer Baustelle und scheint äußerst | |
vergnügt. Sie wäre froh, wenn sich die Anwohner lauter beschweren würden. | |
Werden sich auch Touristen zu ihrer Mauer verirren? Wird es Vandalismus | |
geben, Graffitis und Tags? Sie hofft all das, denn sie begreift ihr | |
Kunstwerk als Visualisierung eines problematischen gesellschaftlichen | |
Gefälles – im Grunde als soziale Skulptur. Sie hat das Gefühl, dass sich | |
die Probleme Berlins schon lang nicht mehr von denen anderer europäischer | |
Großstädte unterscheiden. Die Rede davon, dass hier noch immer alles | |
sanfter und menschlicher, dass die Mieten noch immer günstiger sind als | |
anderswo, hält sie für eine Illusion. „Es gibt zwar noch sozial Schwache in | |
zentraler Lage. Das ändert aber nichts daran, dass sie total isoliert | |
sind“, meint sie. | |
## Zustimmung zum Projekt | |
Direkt neben Nada Prljas Straßenbarrikade, die sie übrigens viele Wochen | |
lang mit den Behörden verhandeln musste, befindet sich eines der | |
bekanntesten Berliner Sozialkaufhäuser, betrieben vom Straßenmagazin Motz. | |
Hier werden Menschen mit geringem Einkommen aus Sachspenden mit Dingen des | |
alltäglichen Bedarfs versorgt. Und hier ist man auch begeistert von Nada | |
Prljas „Peace Wall“. „Den Leuten wird endlich auf die Nase gebunden, womit | |
wir uns hier schon ewig herumschlagen“, sagt der Verkäufer. | |
3 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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