# taz.de -- Tim Burtons neuer Film „Dark Shadows“: Herr der Formeln | |
> Tim Burtons neuer Film „Dark Shadows“ ist am stärksten, wenn er | |
> Gothic-Grusel auf 70er-Jahre-Popkultur stoßen lässt. Johnny Depp spielt | |
> einmal mehr den tragischen Außenseiter. | |
Bild: Student der 70er-Jahre-Popkultur: Johnny Depp als Vampir. | |
Auf YouTube gibt es dieses Video mit dem Titel „Tim Burton's Secret | |
Formula“. Darin stellen ein paar Studenten dar, wie sie sich das | |
Brainstorming vorstellen, das der Produktion eines Burton-Films vorausgeht. | |
„Let's make magic“, beschwört der enthusiastisch zappelnde | |
Burton-Darsteller, leicht zu erkennen an der getönten Brille. Zuerst also | |
das Drehbuch: Soll es ein Originalstoff sein? Nein, bloß nicht, besser eine | |
alte Gruselgeschichte. Rotkäppchen? Der Rattenfänger? – lauten Vorschläge | |
aus dem abgeklärten Team. | |
„Beides!“, ruft begeistert der Pseudo-Burton und lässt flugs Johnny Depp | |
und Helena Bonham Carter anrufen. Was, wenn der Rattenfänger ein | |
missverstandener Außenseiter wäre, der in einem schlimmen Viertel am Rande | |
der Stadt wohnt? Alles nickt. Die Kostümbildnerin kennt bereits ihren | |
Auftrag: ganz viel schwarz. Die Maske schleppt eiligst die vom letzten Film | |
übrige gebliebene weiße Schminke an, während der Kameramann wie im Schlaf | |
die üblichen Fahrten und schrägen Perspektiven plant und Danny Elfman seine | |
dynamische Dudelmusik dazu summt. | |
Das Video, im April 2010 hochgeladen, beschreibt auf verblüffend exakte | |
Weise auch die Wesenszüge des neuesten Burton-Films „Dark Shadows“. Dass | |
der Regisseur diesmal als Vorlage eine hochoriginelle TV-Soap aus den | |
späten 60ern ausgrub, zu der Johnny Depp sich als Kultanhänger von Jugend | |
an bekennt, gerät darüber ganz in den Hintergrund. Egal, was die | |
Ausgangslage war, Tim Burton und sein Team wenden in „Dark Shadows“ die | |
„Geheimformel“ an – und alles scheint wie immer. | |
Zumindest in den ersten zehn Minuten. In denen erzählt Barnabas Collins | |
(Johnny Depp), wie er nach Amerika auswanderte, im Fischereigeschäft Geld | |
machte, und wie dann eine Frau, Angelique Bouchard (Eva Green), sein Leben | |
zerstörte, weil er ihre Liebe verschmähte. Angelique lässt mit Zauberkraft | |
seine wahre Geliebte, Josette (Bella Heathcote), von der Klippe stürzen. | |
Ihn selbst verflucht sie zum ewigen Leben als Vampir und stellt dann | |
sicher, dass ihn der wütende Dorfmob lebendig begräbt. So handlungsreich | |
ist dieser Vorspann, dass dem Zuschauer nicht nur von den üblichen | |
Kamerafahrten und Sturzperspektiven fast schwindlig wird. | |
## Formelhafter Burtonismus | |
Dann springt die Handlung aus dem 18. ins 20. Jahrhundert, und auf einmal | |
keimt Hoffnung auf, dass „Dark Shadows“ sich vielleicht doch durch feine | |
Unterschiede vom formelhaften Burtonismus absetzen könnte: Begleitet wird | |
der Zeitsprung nämlich nicht vom Danny-Elfman-Gediddel, sondern von „Nights | |
in White Satin“ von den Moody Blues – und Bild und Ton ergänzen sich auf | |
ganz wunderbare Weise in düsterem Pomp und melancholischer | |
Rätselhaftigkeit. | |
Beim Straßenbau zufällig ausgegraben, kehrt Barnabas zur Familienvilla | |
zurück, in der ein paar Nachkommen der Collins-Familie ein vom baldigen | |
Ruin bedrohtes Dasein führen. Da ist die strenge Elizabeth (Michelle | |
Pfeiffer), ihre trotzige Teenagertochter Carolyn (Chloe Grace Moretz), | |
Elizabeths nutzloser Bruder Roger (Jonny Lee Miller) und dessen kleiner | |
Sohn David (Gulliver McGrath), der regelmäßig mit dem Geist seiner | |
verstorbenen Mutter spricht. Eine Psychologin (Helena Bonham Carter) | |
kümmert sich um ihn, und außerdem wurde gerade Viktoria (Bella Heathcote) | |
als Gouvernante angestellt. Eine gewisse Angie (wieder Eva Green) | |
beherrscht die Geschäfte in der Gegend. Man schreibt das Jahr 1972. | |
Die Jahreszahl ist wichtig, denn in der Begegnung von „Gothic“ und früher | |
70er-Jahre-Popkultur findet „Dark Shadows“ zu seinen stärksten Szenen. | |
Johnny Depp, hinter weißer Schminke und Nasenprothese fast nicht zu | |
erkennen, spielt das, was er am besten kann: den tragischen Außenseiter, | |
dessen fleißige Anpassungsversuche stets zur Parodie geraten. Köstlich ist, | |
wie er hier als Mann des 18. Jahrhunderts die Nachflowerpowerzeit entdeckt: | |
Nicht nur die Standards der Konsumgesellschaft – Fernsehen, Autos, | |
McDonald’s –, sondern vor allem die Popwelt: Innig vertieft er sich etwa in | |
Erich Segals „Love Story“, seinerzeit ein Kultbuch. Ergriffen zitiert er | |
gerade Gehörtes wie den Song „The Joker“ der Steve Miller Band: „I'm a | |
picker, I'm a grinner, I'm a lover and I'm a sinner, playin' my music in | |
the sun“. Es tut gut, Pop-Lyrics einmal so ernst genommen zu sehen. | |
Doch leider scheint sich Burton zwischendurch plötzlich wieder an seine | |
Formel zu erinnern: Da war ja noch der Grusel-Plot aus dem Vorspann, der im | |
Hauptfilm wiederholt wird. Nach einem besonders abgegriffenen Rezept: nicht | |
mehr als Tragödie, sondern als Farce. | |
## „Dark Shadows“, Regie: Tim Burton. Mit Johnny Depp, Michelle Pfeiffer, | |
Helena Bonham Carter u. a., USA 2012, 112 Min. | |
9 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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Animation | |
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