# taz.de -- Die Fotografin Digne M. Marcovicz: Von Quick bis Heidegger | |
> Ihre Schwester starb in Plötzensee, sie fotografierte die westdeutsche | |
> Kulturelite der Sechziger bis Achtziger: Digne M. Marcovicz im | |
> Sonntaz-Gespräch. | |
Bild: Hat sie alle gesehen: Digne M. Marcovicz. | |
Sie sagt, sie könne alles ertragen, auch zur Gedenkstätte Plötzensee in | |
Berlin zu fahren, wo ihre Schwester Cato Bontjes van Beek von den Nazis | |
ermordet wurde. Digne M. Marcovicz, eine der führenden Fotografinnen | |
Deutschlands, erzählt im sonntaz-Gespräch, wie ihre Eltern und sie selbst | |
mit diesem Mord umgingen, während ihr Vater, ein bekannter Keramiker, | |
ebenfalls in Gestapo-Haft kam, aber nach drei Monaten frei gelassen wurde. | |
„Darüber wurde mit uns Kindern nicht geredet“, sagt sie im Gespräch. „I… | |
kann mich nur daran erinnern, dass mein Vater und meine Mutter heulten. Ich | |
konnte das nicht so richtig einordnen, aber ich dachte mir oder wusste, | |
dass Cato tot ist. Als Kind ist man sehr vorsichtig, man lässt vieles nicht | |
so nah an sich herankommen.“ | |
Die frühere Pressefotografin, die rund 20 Jahre für den Spiegel gearbeitet | |
hat, schildert die Gefahr, in der sie und ihre Familie in der NS-Zeit | |
schwebte: „Es gab damals immer wieder Schwierigkeiten mit meiner Mutter, | |
die ja jüdischer Herkunft war, was niemand so genau wusste. Außerdem war | |
meine Mutter unvernünftig. Sie wollte nicht, dass ich zum Bund Deutscher | |
Mädel gehe, und schrie rum: Geh doch nicht zu diesen Verbrechern! Ich | |
wusste ganz genau: Darüber darf ich mit niemandem reden.“ | |
Neonazistisches Gedankengut sieht Marcovicz noch heute:„ Ich meine, | |
Entschuldigung, wo leben wir? Es ist ja nicht so, dass die Nazis heutzutage | |
NPD-Mitglieder sein müssen. Es gibt doch sehr viele Menschen mit | |
neonazistischen Einstellungen.“ | |
## „Menschen Tiere, Sensationen“ | |
Digne M. Marcovicz hat sich stets als Pressefotografin verstanden, die sich | |
zwar für Persönlichkeiten aus dem Kulturleben besonders interessiert habe, | |
aber auch einfach „Menschen, Tiere, Sensationen festgehalten“ habe. Ihr | |
Einstieg in den Fotojournalismus lief vor allem über die damals bedeutende | |
Quick: „Ich habe einen Redakteur der Quick so lange genervt, bis der sagte: | |
Machen Sie mir doch den Sex der langen Haare. Ich habe mir dann hübsche | |
Mädchen gesucht und fotografiert, und es gab zwei Doppelseiten in der | |
Quick. Das einzige Problem war der Brustnippel, der bei einem der Mädchen | |
zu sehen war, der musste wegretuschiert werden.“ | |
Beim Spiegel wurden ihre Fotoarbeiten anspruchsvoller – regelrechte Ikonen | |
wurden ihre Fotos von dem umstrittenen Philosophen Martin Heidegger auf | |
seiner Hütte im Schwarzwald: „Ich war total aufgeregt und hatte danach | |
schlaflose Nächte, weil ich glaubte, ich hätte das Landambiente nicht | |
genügend festgehalten. Heideggers NS-Vergangenheit fand ich suspekt, aber | |
seine Liebe zur Natur lag mir sehr.“ | |
Von den Sechziger bis Achtziger Jahren fotografierte Digne M. Marcovicz | |
praktisch alle, die in der Künstler-, Intellektuellen- und Kulturszene der | |
Bundesrepublik Rang und Namen hatten: Literaten wie Günter Grass, | |
Schauspielerinnen wie Hanna Schygulla und Filmemacher wie Alexander Kluge. | |
Viele der von ihr Porträtierten sind heute nicht mehr am Leben: „Über die | |
Fotografie kann ich sie dem Vergessen entreißen. Das ist etwas, was sehr | |
wundersam ist und wofür ich sehr dankbar bin.“ In ihrer Berliner Wohnung | |
voller Fotos von Toten versichert sie: „Ich finde es schön, dass ich sie um | |
mich habe, und lebe mit ihnen.“ | |
Im ganzen Gespräch in der [1][sonntaz vom 12./13. Mai] sagt Digne M. | |
Marcovicz, dass ein Haus ja auch glücklich machen könne, wenn der Mann | |
einen wegen einer Jüngeren verlassen hat. Sie berichtet, dass ihr Alexander | |
Kluge schon früh versichert habe, ihrer beider Filme würden eben stets als | |
nicht sendbar gelten. Und sie erklärt, warum Kinder einerseits heilig, | |
anderseits schrecklich sind – vor allem die eigenen. | |
12 May 2012 | |
## LINKS | |
[1] /zeitung/tazinfo/sonntaz-vorlauf/ | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
Philipp Gessler | |
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NS-Widerstand | |
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