# taz.de -- Pet Shop Boys veröffentlichen B-Seiten: Die unerhörten Seiten der… | |
> Die Pet Shop Boys veröffentlichen mit „Format“ eine Sammlung von | |
> Single-B-Seiten und Bonustracks. In diesen Songs geben sie mehr preis, | |
> von sich und ihren Sub-Cultures. | |
Bild: Steckt hinter diesen Würfeln ein Subtext? Das ist dem Zuhörer selbst ü… | |
Seit 1982 gibt es die Pet Shop Boys. Dreimal so lange wie die Beatles. An | |
den Boys im Namen halten sie fest, wie die Beastie und die Beach Boys. Die | |
Pet Shop Boys sind ja nur zu zweit, noch ist keiner gestorben. Gerade sind | |
Neil Tennant, der Boy des Wortes, und Chris Lowe, der Boy der Musik, mal | |
wieder im Studio, in Los Angeles arbeiten sie mit dem Produzenten Andrew | |
Dawson an einem neuen Album. | |
Der weiße Amerikaner Dawson hat einige Hits im R&B und HipHop auf dem | |
Konto, mit Leuten wie Kanye West und Kelis, aber auch mit den | |
Stadionrockern von 30 Seconds To Mars. Ein typischer Schritt für die Pet | |
Shop Boys: was Neues probieren, hier die Reise in den Hades der | |
amerikanischen Massenpopabfertigung, ohne große Risiken einzugehen. | |
Ein Produzent wie Dawson garantiert Mindeststandards. Um sich und ihren | |
Fans das Warten auf neuen Stoff abzukürzen, betreiben die Boys in der | |
Zwischenzeit Recycling. Zum zweiten Mal in 30 Jahren beglücken sie die | |
Gemeinde mit „B-sides and bonus tracks“, so der Untertitel ihres | |
Doppelalbums „Format“. Im schlichten, aber geschmackvollen | |
Op-art-Vintage-Look kommt die Sammlung daher. 38 Songs – ja Songs, keine | |
Tracks, die Remixe von verdienten House- und Techno-Produzenten werden auf | |
anderen Wegen zweitverwertet. | |
## Wer auch das Kleingedruckte liest | |
Hier geht es um die anderen, unbekannten, unerhörten Seiten der Pet Shop | |
Boys und die Zusatzreize, die bekommt, wer auch das Kleingedruckte liest | |
und nicht immer nur den Hit hören will. | |
„Format“ richtet sich an diejenigen, die sich den Pet Shop Boys näher | |
fühlen und mehr von ihnen wissen wollen, als auf Anhieb zu erfahren ist. | |
Das Kleingedruckte zu diesem Blick hinter die Kulissen besorgt der | |
britische Kulturkritiker Jon Savage, er schreibt die Linernotes fürs | |
Booklet und befragt Lowe & Tennant zu jedem Song. Savage ist der richtige | |
Mann für den Job. Seit Jahrzehnten schreibt er über Pop, wie Lowe & Tennant | |
ist er ein Kind der fünfziger Jahre, er hat eine Studie über die Geburt des | |
Teenagers geschrieben und eine Compilation über Queer Noises herausgegeben. | |
Zudem kommt der distinguierte Wahlwaliser Savage mit seinem leicht | |
effeminierten und sympathisch affektierten Sprechsingsang und dem | |
schlohweißen, aber doch irgendwie jugendlich wirkenden Schopf wie ein | |
Doppelgänger von Tennant daher. | |
Der ist seinerseits wandelnder Gegenbeweis für die Plattitüde, | |
Popjournalisten seien durchweg gescheiterte Musiker. Tennant war Redakteur | |
bei dem englischen Teeniemagazin Smash Hits, bevor er selbst Smash Hits am | |
Fließband produzierte, ich kenne das Leben, ich bin im Kino gewesen … Wie | |
Lowe & Tennant weicht Savage von der Heteronorm ab, wie Lowe & Tennant | |
liebt er das Populäre im Pop zu sehr, um sich mit einer Sprechposition zu | |
begnügen, die ihn auf den Repräsentanten einer sexuellen Minderheit | |
reduziert. | |
## Was habe ich getan, womit hab ich das verdient? | |
Anders gesagt: Lowe, Tennant & Savage mögen schwul sein oder queer, aber | |
sie lassen sich nicht auf entsprechende Außenseiter- und | |
Stellvertreterrollen festlegen und beschränken. Schwule Pop-Universalisten | |
im besten Sinn und als solche für bestehende Ordnungen mitunter | |
gefährlicher als Bekennertypen, die zu dröger Musik lauthals rauströten, | |
wie „Glad to be gay“ sie doch sind. Von den Rückseiten her betrachtet, | |
erkennt man die nichtheterosexuellen Anteile der Pet Shop Boys besser. Auf | |
den B-Seiten geben Lowe & Tennant mehr preis, von sich und ihren | |
Sub-Cultures. | |
A-Seiten sind Universalhits, problemlos kompatibel mit der Heteronorm, aber | |
bei den Pet Shop Boys im antiessenzialistischen Geist des double entendre | |
oft versehen mit der Botschaft des Doppelbödigen. „What Have I Done to | |
Deserve This“ etwa kann man naiv hören als Update der dramatischen „Boy | |
meets Girl“-Soul-Duette aus der Hoch-Zeit von Motown und Stax: Was habe ich | |
getan, womit hab ich das verdient?, schmachtet Neil Tennant, und Dusty | |
Springfield gibt zurück in gleicher Münze, wie einst Marvin und Tammy. | |
Subtextleserinnen und PSB-Kenner wissen, dass Neil auf Männer steht und | |
Dusty auf Frauen, Eingeweihte können sich an einer Bonuskonstellation | |
erfreuen: Junger schwuler Mann bewundert, rehabilitiert und rejuveniliert | |
alternde Diva, entreißt sie dem Vergessen, wie Fassbinder es mit Barbara | |
Valentin tat, auch mit Brigitte Mira. Dusty Springfield war tatsächlich | |
vergessen, als die Pet Shop Boys ihr die Galarolle in „What Have I Done?“ | |
gaben, ihr Auftritt – ein magischer Popmoment. So verhalfen sie der großen | |
weißen Soulsängerin zum unverhofften Comeback und zu einem Coming-out in | |
Würde, nachdem Dusty in den Sechzigern die selbstverständlich | |
heterosexuelle Pop-Blondine hatte spielen müssen. | |
## Diskrepanz zwischen öffentlichem und privatem L(i)e-ben | |
Die Diskrepanz zwischen öffentlichem und privatem L(i)e-ben ist Thema von | |
„In Private“, Dustys Comebackhit unter eigenem Namen. Wenn je das | |
fragwürdige Wort vom Auf-den-Leib-Schneidern seine Berechtigung hat, dann | |
hier: Tennant fasst Dustys Lebensmelodram in einen 3-Minuten-Popsong, die | |
Diva feiert ihr Comeback mit einem selbstreferenziellen Hit mit doppeltem | |
Boden: der Song funktioniert auch ohne Spezialwissen. | |
Auf „Format“ finden wir „In Private“ als Duett der Pet Shop Boys mit El… | |
John. Das Herrengedeck sorgt zwar für die ein oder andere Zusatzpointe im | |
Text, Eltons Gekrähe fällt aber doch stark ab gegen Dusty. Auch der | |
Auftritt von Tina Turner hilft allenfalls beim Verkauf im Media Markt. Die | |
Perlen hier zeigen Tennant & Lowe von ihrer Rückseite und sind so explizit, | |
dass sie es nie auf eine A-Seite geschafft hätten. Oder was ist zu halten | |
von Titeln wie „Sexy Northerner“? „The Truck-Driver And His Mate“? Oder | |
„How I Learned To Hate Rock And Roll“, ein Konzeptkunstwerk von einem | |
Popsong. | |
Zum simplen Eurodiscowumms wiederholt Tennant viereinhalb Minuten lang die | |
Titelzeile, seinen Hass äußert er mit aller Teilnahmslosigkeit, zu der | |
seine Stimme fähig ist, und es gab nicht viele teilnahmslosere Sänger in | |
den letzten 60 Jahren. Damit führen die Pet Shop Boys in ihrem Hasslied | |
genau das vor, was Rockisten hassen an Pop, an Disco, an House, an Techno. | |
An den Pet Shop Boys. | |
Ein großer Spaß auch: „We’re The Pet Shop Boys“. Es beginnt mit einer | |
dieser hingeworfenen Zeilen, Pfennigphilosophie, wie früher auf der Kirmes | |
auf dem Lospapier, Trost für die Niete: „Suburbia’s a slipstream to our | |
memory“, lässt Tennant wissen, und noch bevor man sich klar ist, ob | |
Slipstream hier Windschatten heißt oder doch eher Sog, nimmt der Song uns | |
mit wenigen Strichen und ebenso wenigen musikalischen Spannungsbögen mit | |
auf eine Reise in die Vergangenheit: „We’re The Pet Shop Boys“, singt | |
Tennant mit seiner Nichtstimme. Es klingt verlockend: Bei den Jungs will | |
ich dabei sein. | |
## Toller Größenwahn | |
Um diesen Wunsch zu bekräftigen, erinnern sie an ein rundes Dutzend ihrer | |
Evergreens, die werden im „Stars On 45“-Medley-Modus eingebaut, mein Leben | |
mit den Boys. Toller Größenwahn, aber zu größenwahnsinnig für eine A-Seite. | |
Und wieder haben sie für die Bescheidwisser den doppelten Boden eingebaut, | |
einen Bonus-Sinn sozusagen. | |
„We’re The Pet Shop Boys“ paraphrasiert das Titelmotiv einer Fernsehserie | |
aus den Sechzigern, in der die (angeblich) erste gecastete Band sich selbst | |
spielt, vier verrückte Jungs, von denen ihre Produzenten hofften, sie | |
könnten mal Amerikas Antwort auf die Beatles werden: „Hey Hey We’re The | |
Monkees, and we keep on monkeyin’ round?“ Perfekter Pop und der Horror für | |
authentizistische Rockisten. Mögen sie sich noch lange zum Äffchen machen, | |
die Boys aus dem Zoogeschäft. Wobei es damals um andere Tiere ging als | |
Affen. Aber das ist eine andere Geschichte. | |
13 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus Walter | |
## TAGS | |
Madonna | |
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