# taz.de -- Fischerei: Geisternetze auf endlosem Fang | |
> Über Bord gegangene Fischernetze sind eine wachsende Gefahr für die | |
> Fischbestände. Sie können unendliche weiterfischen. Biologisch abbaubare | |
> Materialien gelten als Lösung. | |
Bild: Kein Problem, so lange sie noch genutzt werden. | |
STOCKHOLM taz | Tausende Kilometer sollen es allein in der Ostsee sein. | |
Netze, die Fischkutter verloren, die gekappt wurden, an Hindernissen unter | |
Wässer hängen geblieben sind oder sich im Sturm selbstständig gemacht | |
haben. Und jedes Jahr kommen allein in diesem Meer schätzungsweise weitere | |
500 Kilometer neue Netze hinzu. Sie heißen Geisternetze. Denn sie fischen | |
weiter. Fische verfangen sich in ihren Maschen und verenden, bis die Netze | |
so schwer sind, dass sie zu Boden sinken. Werden sie nach dem Verrotten der | |
Fische wieder leichter, schwimmen sie erneut nach oben, und der Vorgang | |
beginnt von vorn. | |
„Geisternetze können im Prinzip unendlich weiterfischen“, sagt Svend | |
Koppitsch von der Meeresforschungsanstalt im schwedischen Lysekil. Das | |
Plastikmaterial der Netze ist zäh und verwittert langsam, vor allem wenn es | |
keinem starken Sonnenlicht ausgesetzt ist. Zusammen mit dem ganzen anderen | |
Plastikmüll, der in den Meeren schwimmt und bei dem vor allem die | |
mikroskopisch kleinen Teilchen eine tödliche Gefahr für Meereslebewesen | |
darstellen, sind die Geisternetze zu einer wachsenden Bedrohung für den | |
Fischbestand geworden. | |
Niemand weiß, wie viele davon eigentlich in den Meeren herumschwimmen. Laut | |
einer Schätzung der UN-Landwirtschaftsorganisation FOA besteht fast ein | |
Zehntel des gesamten Mülls in den Weltmeeren aus herrenlosen Netzen: rund | |
700.000 Tonnen. Allein für die Ostsee wird der „Fang“ der Geisternetze auf | |
jährlich mehrere hundert Tonnen Kabeljau geschätzt. | |
## 6 Tonnen Netze in nur 24 Tagen | |
Die Stiftung Baltic Sea 2020 hat bei einer Aktion zusammen mit dem WWF | |
Polen im vergangenen Jahr 6 Tonnen Geisternetze geborgen – innerhalb von | |
nur 24 Tagen. Und im schwedischen Teil der Ostsee wurden in den letzten | |
vier Jahren von Fischern 66 Kilometer an Land gebracht. Hier gibt es | |
Prämien vom Landwirtschaftsministerium. Doch all das wiegt nicht einmal | |
annähernd auf, was stetig an neuen Geisternetzen in diesem Meer landet. Die | |
EU schätzte in einem Bericht von 2010, dass die Zahl der Netze, die allein | |
von EU-Fischereifahrzeugen aus außer Kontrolle gerieten, von 2005 bis 2008 | |
von 5.500 auf 10.000 anstieg. Und ein einziges Netz darf in der Ostsee 21 | |
km lang sein. | |
Bei der Suche will man nun systematischer vorgehen: zuerst an Stellen | |
suchen, an denen sich Geisternetze vorwiegend verfangen, etwa | |
Schiffswracks. Doch das beste Rezept gegen Geisternetze wäre natürlich, | |
dass sich diese gar nicht mehr erst selbstständig machen können, nicht über | |
Bord und auch sonst nicht verloren gehen. | |
Zwar ist in den EU-Fischereiverordnungen ausdrücklich eine Pflicht | |
vorgesehen, den Verlust von Netzen zu vermeiden und Vorrichtungen an Bord | |
zu haben, diese wieder einfangen zu können. Viel scheint dies aber nicht zu | |
helfen. Umweltschützer fordern nun zusätzliche Maßnahmen: Jedes Netz solle | |
mit Marken versehen sein, die auf die Identität des jeweiligen Fischerboots | |
schließen lassen. Einerseits solle es empfindliche Strafen für Netzverluste | |
geben, andererseits Anreize, im Meer aufgefundene Geisternetze oder | |
verbrauchte Netze an Land zu bringen und dort zu entsorgen. | |
Vor allem aber sollten Fischernetze in Zukunft nicht mehr aus | |
unverrottbaren Kunststoffen, sondern aus biologisch abbaubaren Materialien | |
hergestellt werden. | |
14 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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