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# taz.de -- Seehofers Auftritt im ZDF: Der Coup von Horst und Claus
> Horst Seehofer zieht im Nachgespräch mit Claus Kleber über die Koalition
> vom Leder. Dessen Ausstrahlung enthüllt nichts Neues, ist aber eine
> Win-win-Situation.
Bild: Brisant war's nicht, was diese beiden Herren „off the record“ noch be…
Huiuiui, da weht mal wieder ein Skandälchen durchs politische Berlin. Claus
Kleber plaudert nach einer Aufzeichnung fürs „heute-journal“ mit Horst
Seehofer, die Kameras zeichnen das „Off the record“-Gespräch über die Lage
der Koalition nach Norbert Röttgens Wahldesaster weiter auf. Und dann das:
Ausgerechnet das staatstragende ZDF sendet die vertraulichen Antworten des
CSU-Vorsitzenden.
Der, so hecheln Journalisten jetzt ganz aufgeregt, förmlich explodiert sei.
Die Bild-Zeitung erkennt in diesen viereinhalb Minuten „ein Stück
Politikgeschichte“, Spiegel-Online titelt „Seehofers Wut-Auftritt“.
Bei so viel Aufregung lohnt es sich, genau hinzuschauen: Geht es
tatsächlich um einen Wutauftritt, bei dem ein Profipolitiker plötzlich die
Maske fallen lässt? Während er vorher, im offiziellen Teil, nur nichts
sagende, offiziöse Sprechblasen abgibt? Ach was. Wer dies behauptet, hat
Seehofer nicht genau zugehört.
Denn wahr ist: Seehofer macht alle Punkte seiner – in der Tat vernichtenden
– Kritik an Röttgen und der Arbeit der Koalition schon im ersten Teil des
Gesprächs. Dem Teil also, der sowieso gesendet werden sollte. Er sagt, dass
er es für einen Fehler hielt, dass Röttgen sich den Rückzug nach Berlin
offenhielt. Er fordert ein schnelles Treffen mit Kanzlerin Merkel und
FDP-Chef Rösler, denn die Koalition dürfe nach NRW „nicht zur Tagesordnung
übergehen“. Er rattert diverse inhaltliche Baustellen herunter.
## Seehofer gibt den gnadenlosen Kritiker
Sein Kalkül ist offensichtlich. Seehofer, der eine Landtagswahl vor sich
hat, spielt ein Spiel, das er beherrscht. Er wischt der Kanzlerin eins aus,
er profiliert sich und seine angesichts des Erstarkens der FDP in
Vergessenheit geratene CSU, indem er den gnadenlosen Kritiker gibt. Und er
verschweigt, dass seine eigenen Querschüsse ein wichtiger Grund für den
katastrophalen Zustand der Koalition sind. So weit, so üblich.
Was genau ist aber der Erkenntniswert der nun folgenden Minuten? Kleber
kündigt sie in der Sendung jedenfalls gewichtig an. In Plaudereien nach der
Aufzeichnung, betont er, würden Politiker „lockerer, vielleicht sogar
ehrlicher“. Damit hat der ZDF-Anchorman im Grunde recht. Spitzenpolitiker
reden manchmal offener, wenn sie wissen, dass sie nicht zitiert werden.
Zwischen Politikern und Journalisten gibt es feste Regeln für den Grad der
Vertraulichkeit.
Findet ein Gespräch „unter eins“ statt, heißt das, dass namentlich zitiert
werden darf. Zitate „unter zwei“ dürfen Journalisten verwenden, sie müssen
die Quelle jedoch verschleiern – dann steht in Zeitungstexten „aus
Parteikreisen heißt es“. „Unter drei“ sind komplett vertrauliche Gesprä…
Und, auch das gehört zu dem System: Meist erzählen Politiker auch
vertraulich nur das, was ihrem strategischen Interesse dient.
## Vermeintlicher Tabubruch enthüllt nichts Neues
Dies ist beim vermeintlichen Kleber-Coup der Fall. Denn inhaltlich bringt
er wenig Neues. Seehofer wiederholt lediglich mit anderen Worten, was er
schon sagte: Röttgens Fehler, offene Baustellen, dass in der Koalition
alles zu zäh laufe. Hinzu fügt er die wahrhaft enthüllenden Aussagen, dass
die Union mal über mehr Ministerpräsidenten verfügte als jetzt. Und dass
Röttgens Umfragevorsprung in NRW schrumpfte („Weggeschmolzen wie ein
Eisbecher, der in der Sonne steht“).
Je nun. Diese Infos hätten Klebers Leute googeln können. Brisant, so wie es
der vermeintliche Tabubruch, Vertrauliches zu senden, suggeriert, sind sie
jedenfalls nicht. Deshalb verwundert es nicht, dass Seehofer ganz am Ende
juxt, das Gesagte könne ruhig ausgestrahlt werden: „Machen Sie ’ne
Sondersendung.“
Hier kommt das Kalkül Claus Klebers und seiner Redaktion ins Spiel. Die
hätten den Mitschnitt wegen der Dopplungen einfach wegschmeißen können.
Aber das hätte bedeutet, auf den Anschein des Enthüllungsjournalismus zu
verzichten.
Es geht also um eine klassische Win-win-Situation: Seehofer kriegt für
dieselbe Botschaft die doppelte Sendezeit. Die CSU freut sich über ihren
Rebellen, dessen unverblümte Worte im Netz bejubelt werden. Und das ZDF hat
mit einem Seehofer-Interview eine investigative Großtat vollbracht.
15 May 2012
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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