| # taz.de -- Katholikentag 2012: Vertrauen ist kaum aufzubauen | |
| > Auf dem Katholikentag ist spürbar, dass die Kirche wankt. Angesichts des | |
| > Missbrauchskandals und großen Reformbedarfs artikuliert sich eine wütende | |
| > Basis. | |
| Bild: „Einen neuen Aufbruch wagen“ heißt der Leitspruch des 98. Katholiken… | |
| MANNHEIM taz | Dass es irgendwie nicht ganz rund läuft bei diesem | |
| Katholikentag, wird schon bei der Eröffnungsveranstaltung deutlich: Alois | |
| Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, das das | |
| große Christentreffen organisiert, will anfangen mit dem traditionellen | |
| Gruß „Gelobt sei Jesus Christus“ - worauf ihm die Tausenden auf dem | |
| Marktplatz in Mannheim antworten sollten: „In Ewigkeit, Amen!“ | |
| Aber Glück, ein ehemaliger Spitzenpolitiker von der CSU in Bayern, versaut | |
| die Sache ziemlich. Er sagt, dass man schon seit über 150 Jahren mit dem | |
| Gruß „Gelobt sei Jesus Christus“ die Katholikentag beginne – und fast | |
| niemand unter den Tausenden antwortet ihm, ob dieses historisch richtigen, | |
| aber nicht als Aufforderung verstandenen Hinweises. | |
| Peinlich, peinlich – aber wie soll es auch anders sein in einer | |
| katholischen Kirche, die zwar mit 25 Millionen Mitgliedern in Deutschland | |
| und einer eindrucksvollen rechtlichen und institutionellen Ausstattung | |
| stark und mächtig erscheint, aber innerlich doch wankt, und zwar ganz | |
| gehörig. Da ist der deutsche Papst in Rom, der einen restaurativen Kurs | |
| fährt, auf dem ihn nur wenige im Kirchenvolk der Bundesrepublik folgen | |
| wollen. | |
| Da ist der Missbrauchsskandal, der Tausende Menschen für ihr Leben | |
| gezeichnet und die Verlogenheit einer ganzen Bischofsgeneration – mit | |
| wenigen Ausnahmen – deutlich gemacht hat. Da sind mittlerweile | |
| unüberhörbare Forderungen nach Reformen und mehr Beteiligung der Laien in | |
| der Kirche, die aber von fast allen deutschen Oberhirten seit Jahren um der | |
| Einheit mit Rom willen beiseite gewischt werden. | |
| ## „Neuen Aufbrauch wagen“ | |
| Wie soll da Freude, Eintracht und Aufbruchsstimmung aufkommen, auch wenn | |
| das Motto des Kirchentages genau dies fordert: „Einen neuen Aufbruch | |
| wagen“? Der ganze Unmut, der an der katholischen Basis danach drängt, sich | |
| zu artikulieren, ist in diesen Tagen in Mannheim zu spüren, denn hier | |
| trifft man ja wirklich die Leute, die es noch in der Kirche hält, die | |
| Engagierten, denen diese Glaubensgemeinschaft trotz allem nicht egal ist. | |
| Im überfüllten Gustav-Mahler-Saal des „Rosengartens“, einem ziemlich | |
| scheußlichen Jugendstil-Konzerthaus am Wasserturm in Mannheim, ist es Pater | |
| Klaus Mertes, der viel von dieser Wut ausdrücken kann: Der Jesuit, der den | |
| Missbrauchsskandal in seinem Orden und in seiner Kirche erstmals öffentlich | |
| gemacht hat, sagt: „Da spricht einer von Aufbruch, aber ist sehr müde.“ | |
| Und: Mit Gott habe die Vertrauenskrise in der Kirche, das Misstrauen | |
| untereinander, die Leitungskrise und die scharfen Worte untereinander,die | |
| Lagerbildungen und Auftrittsverbote „herzlich wenig zu tun“. Manches | |
| erinnere ihn an den Geisterfahrer, der Tausende Autos entgegen komme sehe | |
| und sich dann einrede: „Ich schwimme als Letzter gegen den Strom.“ | |
| Der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki hat immerhin den Mut, sich diesem | |
| Unmut seines Kirchenvolkes zu stellen – aber erntet fast Buh-Rufe, als er | |
| beispielsweise sagt, dass die Anzahl der Priester doch relativ an der Zahl | |
| der Gläubigen gemessen, nicht niedriger sei als etwa in den Fünfziger | |
| Jahren, und das, obwohl alle im Saal wissen, dass die Gemeinden immer | |
| größer werden, der Pfarrer langsam ein zwar gern gesehener, aber seltener | |
| Gast zu werden droht. | |
| ## Familienzugehörigkeit | |
| Geradezu bejubelt werden dagegen einfache Katholiken wie beispielsweise | |
| Eva-Maria Kiklas von der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“, die | |
| fordert, die Laien müssten nun einfach tun, was sie spirituell für richtig | |
| hielten, wenn denn die Bischöfe nicht hören wollten. Dennoch sagt sie: „Die | |
| katholische Kirche ist wie meine Familie – ich kann sie unmöglich finden, | |
| aber ich gehöre zu ihr.“ | |
| Noch schärfer fasst dies der Musiker Daniel Dickopf von den „Wise Guys“, | |
| der sagt: „Ich bin nicht wegen dem Papst und den Bischöfen in der | |
| katholischen Kirche, sondern trotz ihnen.“ Er spüre bei den Oberhirten | |
| immer noch „eine Arroganz – das wird nicht lange gut gehen“. Das Publikum | |
| klatscht lange und laut. | |
| Überraschend war, dass wenige Minuten nach dieser überfüllten | |
| Podiumsdiskussion im gleichen Saal eine zweite Veranstaltung mit nicht | |
| weniger Brisanz anstand – aber fast zwei Drittel der Stuhlreihen leer | |
| blieben: Dabei trafen hier erstmals auf einem Katholikentag ein | |
| Missbrauchs-Betroffener, Matthias Katsch, von der Initiative „Eckiger | |
| Tisch“ und ein Bischof, nämlich der Trierer Bischof Stephan Ackermann, | |
| öffentlich aufeinander, um über dieses größte und schmerzlichste Verbrechen | |
| in der Geschichte der deutschen katholischen Kirche zu sprechen. | |
| Katsch sprach in wohl gesetzten, aber bitteren Worten über die Verdrängung | |
| und Vertuschung des Skandals durch die katholische Hierarchie, das „zweite | |
| Verbrechen“ nach der Tat selbst. Doch die Opfer von damals störten heute | |
| viele nur noch. Nach der Aufklärungswelle des Jahres 2010 hätten viele | |
| offenbar schon wieder von dem Thema genug. | |
| ## Ackermanns Aussagen sind zu schwammig | |
| Und die vergleichsweise geringe Menge an Zuhörern scheint ihm recht zu | |
| geben. Bischof Ackermann, der der „Missbrauchsbeauftragte“ der | |
| Bischofskonferenz ist, verstand es nicht, das Misstrauen von Katsch und | |
| vielen Gläubigen im Publikum aus der Welt zu räumen. | |
| Zu schwammig waren Ackermanns Aussagen, dass man doch vielleicht, | |
| irgendwie, irgendwann, womöglich kommendes Jahr die bischöflichen | |
| Richtlinien gegen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in | |
| Deutschland verschärfen wolle, ein bisschen, ja, vielleicht auch mehr. | |
| Auch das war peinlich, denn Bischof Ackermann hat in seinem eigenen Bistum | |
| wie jüngste Fälle zeigen, nicht so hart durchgegriffen, wie es Experten | |
| anraten, hatte allerdings Glück, dass es bis dato dadurch offenbar nicht zu | |
| neuen Missbrauchs-verbrechen gekommen ist. | |
| Vertrauen ist so kaum aufzubauen. So ist vom großen „Aufbruch“, den sich | |
| die Veranstalter und die Bischöfe in Mannheim, für ihre Kirche erwarten, | |
| kaum etwas zu erleben. Aber der Kirchentag dauert ja noch bis Sonntag. | |
| Vielleicht bringt der Heilige Geist bis dahin etwas in Wallung. Pfingsten | |
| ist ja nicht mehr weit. | |
| 17 May 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Gessler | |
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