# taz.de -- Besuch beim 98. Katholikentag: Rindsroulade und Dornenkrone | |
> 70er-Sakropop, Buhrufe für einen Erzbischof, ein österreichischer Rebell | |
> und jede Menge „Dialochprozess“: Beim Katholikentag begegnen sich Kirche | |
> von unten und oben. | |
Bild: Immer im Mittelpunkt: Das Kreuz. | |
MANNHEIM taz | „Der erste Eindruck“, sagt Pfarrer Josef Mohr und tunkt ein | |
paar Nudeln in die Bratensoße auf seinem Teller, „ist Rindsroulade: außen | |
anders wie innen.“ | |
Der römisch-katholische Priester sitzt am Eröffnungsabend des | |
Katholikentags mit Tibor Szeles, einem jüngeren Mitbruder und Freund aus | |
Lima, im Mannheimer Hemmlein. Es ist eine gemütliche Gastwirtschaft in der | |
Nähe des Marktplatzes, genauer: im Straßenblock S2 der Residenzstadt, nach | |
dessen Vorbild angeblich New York geplant worden ist. Pfarrer Mohr hat sich | |
nicht für den „Katholikentagsteller“ für sechs Euro entschieden, sondern | |
für Rindsroulade. | |
Rund 80.000 Gläubige sind nach Mannheim zum Katholikentag gekommen, der am | |
Vorabend von Himmelfahrt begann und am Sonntag nach vier Tagen mit einem | |
Abschlussgottesdienst in Gegenwart von Bundespräsident Joachim Gauck zu | |
Ende ging. Seit mehr als 150 Jahren organisiert das Zentralkomitee der | |
deutsche Katholiken (ZdK) dieses Laientreffen im Zweijahresturnus, bei dem | |
Bischöfe in der Regel nicht mehr sind als geladene Gäste, die mehr oder | |
weniger freundlich empfangen werden. | |
Dass der Katholikentag mit seinen rund 1.200 Veranstaltungen in sich so | |
viel Spannung und Spannendes birgt, daran ist auch Pfarrer Mohr nicht ganz | |
unschuldig: Er hat einen Priesterkollegen in alter Freundschaft bei sich zu | |
Hause in Heidelberg aufgenommen und ins benachbarte Mannheim zum | |
Katholikentag begleitet: den österreichischen Pfarrer Helmut Schüller. | |
## Aufruf zum Ungehorsam | |
„Der Helmut“, wie Pfarrer Mohr Pfarrer Schüller seit den gemeinsamen Tagen | |
im Freiburger Priesterseminar nennt, ist Sprecher der österreichischen | |
„Pfarrer-Initiative“, die von über 400 katholischen Priestern der | |
Alpenrepublik unterstützt wird, das sind fast 10 Prozent der dortigen | |
Priesterschaft. Ihr „Aufruf zum Ungehorsam“ gegenüber Rom strahlt | |
mittlerweile auch nach Deutschland aus und sorgt für Unruhe im Vatikan. | |
Denn erstmals fordert eine nicht mehr totzuschweigende Gruppe innerhalb des | |
katholischen Machtapparats – wenn auch auf der untersten Stufe – gezielt | |
und organisiert wichtige Reformen in der Kirche ein: mehr Einfluss für | |
Laien in der Kirche, das Diakonat für Frauen und die Priesterweihe auch für | |
Verheiratete. | |
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hatte – aus Angst um die | |
Einheit der Kirche – Scheu, den aufrührerischen Pfarrer Schüller offiziell | |
nach Mannheim zu bitten. Er kam trotzdem, eingeladen von der | |
Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“. Ein Fehler des ZdK. Denn dieser | |
Eintritt durch die Hintertür hat die mediale Aufmerksamkeit für den | |
katholischen Rebellen aus der Nähe von Wien eher noch verstärkt. | |
Noch ist alles recht ruhig am Freitagnachmittag, als Mohr und Schüller in | |
einer hinteren Stuhlreihe des großen Mahler-Saals im Kongresszentrum | |
Rosengarten sitzen. Beide haben am Morgen den weißen Priesterkragen | |
angelegt und lauschen einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Wir sind | |
Dialog! Für eine sprachfähige Kirche an der Seite der Menschen“. | |
## Komplizierter Dialog | |
So kompliziert wie der lange Titel ist auch der Dialog zwischen | |
Kirchenoberen und Kirchenbasis. In Reaktion auf den Missbrauchsskandal | |
hatten sich die deutschen Bischöfe 2011 dazu bereit erklärt, mit dem ZdK | |
einen „Dialogprozess“ zu beginnen – doch auch wenig revolutionäre ZdKler | |
zweifeln mittlerweile, ob die Laien mit ihrem Ruf nach Reformen nicht bloß | |
auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet werden sollen. | |
Pfarrer Mohr ist ein besonnener Mann, aber im Laufe der Diskussion über den | |
„Dialochprozess“, wie der Moderator hartnäckig sagt, platzt ihm dann doch | |
der Kragen: „Oh, mein Gott, diese Sprechblasen! Unerträglich, heiße Luft!�… | |
ruft er halblaut, als sich die Anhängerin einer spirituellen Bewegung über | |
die Schönheit der katholischen Ehe ergeht. | |
Pfarrer Schüller schweigt konzentriert, murmelt kurz im österreichischen | |
Singsang, dass Bischof Franz-Josef Bode aus Osnabrück, der auf dem Podium | |
sitzt, eher noch zu den fortschrittlichen Leuten im deutschen Episkopat | |
gehöre. Pfarrer Mohr hat an diesem Tag wegen einer Verletzung an seiner | |
rechten Hand einen weißen Baumwollhandschuh übergezogen: „Ich habe zu oft | |
heiße Eisen angefasst“, sagt er dazu. Man kann viel lachen mit Pfarrer | |
Mohr. | |
## „Semper reformanda“ | |
Es wäre übrigens falsch, den katholischen Geistlichen mit seinen 35 Jahren | |
Berufserfahrung als blinden Reformer zu beschreiben. Er findet durchaus | |
positive Worte über den Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, der neben | |
dem ZdK der einladende Ortsbischof des Katholikentags ist. Mohr kennt | |
Zollitsch schon seit Ewigkeiten und kann ihn liebevoll persiflieren. Beim | |
Bier im Straßencafé lobt er auch Papst Benedikt XVI. als einen | |
„ernstzunehmenden Gesprächspartner“. | |
Zugleich beharrt er, gut theologisch gebildet, darauf, dass die Kirche | |
ihrer Tradition und ihrem Wesen nach nicht nur einmal „reformata“ – | |
reformiert – worden, sondern „semper reformanda“ – also stets zu | |
reformieren sei. | |
Auch schwärmt Pfarrer Mohr von der „ermutigenden Atmosphäre und dem | |
jugendlichen Gesicht“ des Katholikentags. Der Geistliche hat keine Angst | |
vor der modernen Welt und scheint mit jedem zu können, auf der Straße, in | |
der Kneipe und in der Kirche, mit der Kellnerin wie mit dem Bettler, mit | |
den Oberen und den Unteren. Inspiriert durch eine Kirchentagsveranstaltung | |
über die Umweltverschmutzung in der Dritten Welt sagt er, dass der Mensch | |
nicht nur die Krone der Schöpfung sei, sondern auch deren Dornenkrone – und | |
schiebt ironisch hinterher, dass er gar nicht wisse, ob dieses schöne Wort | |
eigentlich von ihm stamme. | |
Mohr ist wie viele Pfarrer seiner Generation geprägt vom Zweiten | |
Vatikanischen Konzil, dessen Beginn sich dieses Jahr zum 50. Mal jährt. Mit | |
Verweis auf das Kirchentagsmotto „Einen neuen Aufbruch wagen“ schreibt er | |
im dünnen Pfarrgemeindebrief seiner „Seelsorgeeinheit Heidelberg-Nord“: 50 | |
Jahre, nachdem die Kirche damals einen „unglaublich neuen Aufbruch wagte, | |
sollten wir diese Dynamik des Hl. Geistes freudig wieder aufnehmen und für | |
die deutsche Kath. Kirche ’wage-mutig‘ fruchtbar machen“. Der Pfarrbrief | |
riecht nach dem Tabak der Pfeife, die zuverlässig in Pfarrer Mohrs Hand zu | |
finden ist. | |
## Weniger junge Besucher als früher | |
Überhaupt: das Konzil! Alle Veranstaltungen dazu sind mehr als gut besucht. | |
Und das, obwohl oder eben weil viele Bischöfe und die Kurie in Rom seit | |
Jahren daran arbeiten, die 1962 vom Konzil begonnene Öffnung der Kirche zur | |
modernen Welt wieder rückgängig zu machen. Andererseits dominieren auf dem | |
Katholikentag mittlerweile die weißhaarigen Menschen, die das Konzil noch | |
persönlich erlebt haben oder von ihm geprägt worden sind. Die Zahl der | |
jungen Teilnehmer hat ganz offensichtlich abgenommen in den letzten Jahren. | |
Auch das Publikum der Konzilsgala am Freitagabend in der größten Halle des | |
Kirchentags, dem Mozart-Saal im Rosengarten, ist in die Jahre gekommen. Mit | |
Showtreppe, Big Band und alten Konzilsrecken wie Karl Kardinal Lehmann ist | |
sie ein einziger, rührender Aufschrei der Laien, die Errungenschaften des | |
Konzils zu erhalten – wobei man sich gelegentlich fragt, ob so etwas | |
Sperriges wie eine kirchengeschichtliche Zeitenwende unbedingt mit | |
Show-Elementen und 70er-Jahre-Sakropop aufmotzen muss. | |
Erzbischof Zollitsch, Vorsitzender der Bischofskonferenz, kassiert Buhrufe, | |
als er sagt, das Priestertum der Frau sei endgültig vom Tisch, das habe | |
Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. so festgelegt. Kardinal Joachim | |
Meisner aus Köln, der noch vor dem Katholikentag seine Abscheu davor | |
verdeutlichte, hat die Buhrufer vorausgesehen und ist erst gar nicht | |
angereist zum großen Laientreffen der Katholiken. | |
Der neue Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki macht dagegen eine gute | |
Figur. Ihn kann man ganz allein neben einer viel befahrenen Verkehrsstraße | |
in Mannheim beobachten, vertieft in ein Gespräch mit einer | |
Kirchentagsbesucherin. So viel ungekünstelte Volksnähe haben die wenigsten | |
Bischöfe. | |
Am Samstag dann besucht Pfarrer Schüller unter Blitzlichtgewitter eine | |
Pressekonferenz im Kirchenschiff der Johanniskirche im Mannheimer Stadtteil | |
Lindenhof, wo die Kirchenvolksbewegung Unterschlupf gefunden hat. Freund | |
Mohr sitzt im Publikum. „Fabelhaft“, sagt er begeistert von der | |
analytischen Kraft, dem Mut und der Eloquenz seines Mitbruders. Man fordere | |
doch nur, dass in der Kirche „die Doppelbödigkeit endet“. Er stimmt | |
Schüller zu, der sagt, der Dialog mit den Bischöfen sei in Wirklichkeit | |
„ein Monolog mit gestattetem Zwischenruf“. | |
Ob ihm das Ärger mit der Hierarchie einbringt? „Was da auf mich zukommt – | |
scheißegal“, sagt Pfarrer Mohr. Er hat seine Schuldigkeit noch nicht getan. | |
20 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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Münster | |
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