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# taz.de -- Karneval der Kulturen: Straßenumzug? Ohne uns!
> Der Senat plane, Gruppen des Karnevals finanziell zu unterstützen, hieß
> es kürzlich aus dem Büro des Kulturstaatssekretärs Schmitz.
> Integrationssenatorin Kolat dementiert. Für die Teilnehmer heißt das: Sie
> müssen betteln gehen
Bild: Sieht super aus, aber wer gibt das Geld dafür: eine bolivanische Gruppe …
Auf den eng taillierten Mänteln mit den überlangen weiten Ärmeln bilden
aufgenähte Bordüren verschlungene Ornamente, die Pflanzen und Tiere
symbolisieren. Tanzen die tscherkessischen Frauen in ihren bodenlangen
Trachten, wirkt es, als schwebten sie über dem Boden. Die schwarzen Mäntel
der Männer zieren in Brusthöhe Patronenhülsen, die einst teils tatsächlich
Schießpulver, teils Essensnotrationen enthielten.
Gut 1.000 Euro kostet ein solches Kostüm, sagen Duran Kaya und Canan Keskin
vom Tscherkessischen Kulturverein Berlin. Einer der Gründe, warum die
Tscherkessen in diesem Jahr nicht am Karneval teilnehmen: Es fehlt ihnen
schlicht das Geld für den teuren Event – wie vielen kleinen Gruppen oder
Vereinen.
Schon seit Langem fordern die OrganisatorInnen und viele TeilnehmerInnen
des Karnevals deshalb finanzielle Unterstützung für die Gruppen durch den
Senat. 750.000 Euro beträgt der derzeitige Gesamtetat für den Karneval,
270.000 davon kommen aus dem Berliner Haushalt, der Rest von Sponsoren und
aus Einnahmen des Straßenfestes. Das Geld werde aber für
Sicherheitsmaßnahmen wie Absperrungen und Logistik wie etwa Besucher-WCs
vollständig aufgebraucht, sagt Nadja Mau von den Karnevalsorganisatorinnen.
Die Gruppen müssen die Kosten für ihre Wagen selbst aufbringen.
Es sei Abhilfe geplant, hatte die Pressestelle des Staatssekretärs für
Kultur, André Schmitz, kürzlich auf Anfrage der taz mitgeteilt (taz
berichtete): Konzepte für entsprechende Finanzierungsmodelle seien „unter
Federführung des zuständigen Ressorts in Planung“, hieß es in der Antwort.
Doch die zuständige Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) dementierte das
am Donnerstag: Für finanzielle Unterstützung der Karnevalsgruppen sei im
Haushalt kein Spielraum, sagte Kolat der taz.
Die meisten der Berliner TscherkessInnen sind aus der Türkei eingewandert.
Ihre Kinder werden an den Schulen und in den Statistiken zu den
Einwanderern türkischer Herkunft gezählt. Nur wenige sprechen noch die
alten tscherkessischen Sprachen. Das einst im Nordkaukasus ansässige Volk,
das im 19. Jahrhundert von dort vertrieben wurde, lebt heute zerstreut in
ganz Europa, der Türkei und einigen arabischen Ländern.
## Zeigen, dass es sie gibt
Gerade deshalb ist der Karneval den TscherkessInnen wichtig. Seit zwei
Jahren hat er sich für sie zu einer Art Bundestreffen entwickelt. „Wir
wollen unsere Kultur nicht nur nach innen pflegen, sondern auch nach außen
darstellen, dass es uns gibt“, sagt Duran Kaya vom Tscherkessischen
Kulturverein Berlin. Etwa 100 TscherkessInnen aus ganz Deutschland reisten
im vergangenen Jahr zu dem Multikulti-Fest an, etwa eine Tanz- und
Musikgruppe aus Köln.
Etwa 5.000 Euro kostete die rund 40 Mitglieder des Berliner
Tscherkessenvereins die Teilnahme am Karneval 2011: Kosten vor allem für
die Unterbringung von Gästen und Kostüme für die TeilnehmerInnen, sagt
Duran Kaya. Zwei private SponsorInnen brachten im vergangenen Jahr einen
Großteil der Summe auf. Eine von ihnen, eine in der Schweiz lebende
Tscherkessin, verstarb kürzlich 80-jährig. Für die Tscherkessen heißt das:
Sie können sich die Teilnahme am Karneval in diesem Jahr nicht leisten.
„Traurig“ seien sie darüber, sagt Duran Kaya: „Viele hatten das schon la…
eingeplant.“
Auch für die Theatergruppe Kalibani ist die Teilnahme am Karnevalsumzug in
diesem Jahr geplatzt. Bereits dreimal war das Ensemble aus
SchauspielerInnen mit und ohne Behinderungen dabei. In diesem Jahr war eine
gemeinsame Performance mit Roma-MusikerInnen und KünstlerInnen geplant. Ein
langfristiges Projekt sollte daraus entstehen, so Klaus Erforth, Chef der
Kalibani-Truppe: „Wir wollten ein künstlerisches Programm entwerfen, dass
wir für Straßenfeste und Theateraufführungen weiterentwickeln wollten.“
Doch obwohl in die gesellschaftliche Integration der Roma in Berlin derzeit
investiert wird, blieb die Suche nach SponsorInnen erfolglos.
Knapp 100 Gruppen nehmen jährlich am großen Straßenumzug des Karnevals teil
– und immer wieder sind neue dabei. Dass der Umzug trotzdem nicht länger
wird, liegt an technischen und Sicherheitsaspekten, die seine Länge
begrenzen. Aber auch daran, dass vielen Gruppen die regelmäßige Teilnahme
aus finanziellen Gründen nicht gelingt. Je nach Größe der Gruppe und
Aufwand ihres Auftritts kann die Teilnahme am Umzug zwischen 2.000 und
20.000 Euro kosten. Teilnahmegebühren fallen nicht an – es geht um die
Kosten für Wagen, Dekoration, Kostüme, Musikanlagen.
5.000 Euro hätten die Kalibanis allein als Miete für den Umzugswagen
bezahlt. Es musste ein Tieflader sein, erklärt die Künstlerin Kerstin
Janewa, Kostüm- und Bühnenbilderin der Gruppe: Damit auch TeilnehmerInnen
mit geistigen und körperlichen Handicaps während des Umzugs gefahrlos auf-
und absteigen können. Für die Dekoration des großen Fahrzeugs war sie
bereits in Vorleistung gegangen: Fast 100 Gesichter schauen die Besucher
ihres kleinen Ateliers im Wedding an, quadratische Bildnisse, die an
afrikanische Masken, kubistische Porträts oder Roboter, wie sie Kinder aus
alten Pappkartons bauen, erinnern.
## Mit Nachbarskindern
Gemalt wurden sie von Mitgliedern der Kunstgruppen, mit denen Janewa
arbeitet, und von Kindern aus der Nachbarschaft, kurdischer, türkischer,
Roma-Herkunft. Die Porträts will Janewa nun auf dem kleinen Stand
verkaufen, den sie auf dem Straßenfest betreiben wird. Und statt beim Umzug
wird die Kalibani-Gruppe ihre Performance auf der Wiese am Blücherplatz
aufführen.
Dabei könnten schon kleine Summen große Unterstützung bedeuten. Hat man
erst eine Grundsumme, wie sie mit dem Fonds möglich wäre, ist es auch
leichter, weitere Geldgeber zu finden, weiß Klaus Erforth von den Kalibani
aus langer Erfahrung mit Theaterprojekten: Viele Sponsoren finanzierten
gern kleinere oder größere Summen zu, schreckten aber vor Anträgen auf
große Summen zurück.
Das hat auch Barbara Saltmann erlebt: Etwa 25.000 Euro hätte ihr Verein
aufbringen müssen, um mit einem großen dekorierten Wagen am Karnevalsumzug
teilzunehmen, sagt die Vorsitzende der Caribbean European United Society
(CEUS). Der Verein wollte in diesem Jahr erstmals am Karnevalsumzug
teilnehmen: Um die 50-jährige Unabhängigkeit Jamaikas zu feiern „und unsere
50-jährige Freundschaft mit Deutschland“, wie die gebürtige Jamaikanerin
Saltmann ergänzt. Von der Ursprungsidee mit eigenem Wagen musste der Verein
jedoch Abstand nehmen. „Wir hatten gehofft, dass es einfach wäre, Spenden
zu bekommen“, sagt Saltmann. „Aber 25.000 Euro waren den meisten zu viel.“
Nun laufen die Berliner JamaikanerInnen als Fußgruppe vor dem Wagen des
Kulturvereins Yaam mit: „Yaam war unsere Rettung“, so Saltmann. „Cool
runnings“ lautet das Motto ihrer Gruppe – in Anlehnung an den Spielfilm
über die erste jamaikanische Rodlermannschaft. Einen gebrauchten Bob für
den Umzug hat Saltmann aus eigenen Mitteln bezahlt und auf Räder stellen
lassen. In ihrem jamaikanischen Restaurants verkauft sie T-Shirts zu dem
Event, um damit wenigstens einen Teil der Teilnahmekosten zu finanzieren.
Für die Tscherkessen gibt es dazu sowieso keine Alternative: „Wir brauchen
die Fläche der Straße für unsere Tänze“, sagt Duran Kaya. Einen teuren
Umzugswagen braucht die Gruppe nicht. Auf finanzielle Hilfe ist der Verein
dennoch angewiesen: „Wir brauchen dringend mehr Kostüme“, sagt Kayas
Vereinskollegin Canan Keskin. Nicht jedes Mitglied ihrer Gruppe besitzt
eines. Die Trachten müssen aus dem Kaukasus importiert oder hier genäht
werden: Kosten pro Stück etwa 1.000 Euro, schätzen die zwei. Sie wollen
nächstes Jahr unbedingt wieder dabei sein: „Wenn es da Unterstützung gäbe …
das wäre schon super“, sagt Duran Kaya.
25 May 2012
## AUTOREN
Alke Wierth
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geplant.
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