# taz.de -- Pilgern durch Israel: Auf dem wundersamen Jesuspfad | |
> Historische Ruinen, religiöse Stätten und viel Natur: Eine 65 Kilometer | |
> lange Wanderung von Nazareth nach Kafarnaum mit Durststrecken und | |
> Wahnsinnspanoramen. | |
Bild: Durch karges Land auf dem Jesuspfad. | |
Das Fauzi in Nazareth gehört Maoz Inon, einem jüdischen Israeli, der die | |
Idee hatte, im nördlichen Israel einen Weg durch Galiläa für christliche | |
Pilger anzubieten: „Galiläa wird weltweit mit Jesus assoziiert“, sagt Inon. | |
Im Jahr 2005 eröffnete er im Zentrum von Nazareth und nur einige hundert | |
Meter von der Verkündigungskirche entfernt – Maria soll dort vom Erzengel | |
Gabriel von ihrer Schwangerschaft erfahren haben – das Fauzi als Gästehaus | |
für Rucksacktouristen. | |
Zusammen mit dem Amerikaner David Landis nahm er sich des Wanderprojekts | |
an. „Wir wollten, dass der Jesuspfad drei Bedingungen erfüllt: Er soll | |
durch schöne Landschaften führen, mit der Geschichte von Jesus Christus in | |
Verbindung stehen und die lokalen Gemeinden wirtschaftlich einbinden“, sagt | |
Inon. „Zu Beginn des Projekts hat sich weder das Tourismusministerium noch | |
die Gesellschaft zum Schutz der Umwelt, die gewöhnlich die Wanderwege in | |
Israel markiert, für den Jesuspfad interessiert“, erinnert sich der heute | |
37-Jährige. Erst nach mühsamer Überzeugungsarbeit gelang es den beiden | |
jungen Männern, eine Wegemarkierung in Weiß-Orange-Weiß durchzusetzen. | |
Heute sehen sie sich plötzlich finanzstarker „Konkurrenz“ gegenüber: Vor | |
einem halben Jahr eröffnete das israelische Tourismusministerium den | |
„Gospel-Pfad“ – der praktisch die identische Wanderstrecke für christlic… | |
Pilger anbietet, und das sind immerhin zwei Drittel der jährlich nach | |
Israel kommenden Touristen. Eine Menge, für die sich staatliche | |
Investitionen offenbar doch lohnen. Denn für über eine halbe Million Euro | |
wurden Wegweiser angebracht, Geländer installiert und Picknickplätze | |
geschaffen. Inon sorgt sich derweil nur, dass eher Großunternehmer als die | |
kleinen Gemeinden von diesen Investitionen profitieren werden. | |
1. Tag: Von Nazareth nach Kana: Der Weg aus Nazareth hinaus führt zunächst | |
durch eine Menge Abfall. Dann geht es auf und ab durch Olivenhaine und | |
Bauernfelder, durch den Zippori-Nationalpark (deutsch Sepphoris) und das | |
kleine arabische Dorf Maschad, die Geburtsstätte des Propheten Jona, der | |
laut Bibel drei Tage im Bauch eines Wals überlebte. Von dort aus geht es | |
nur noch bergab und Kana ist bereits in Sicht. Für die 14 Kilometer | |
benötige ich rund fünf Stunden und komme dann beim Kana Wedding Guest House | |
an, einem sehr freundlichen Familienbetrieb mit Orangen und Zitronen im | |
Garten und direkt neben der franziskanischen Hochzeitskirche, in der Jesus | |
Wasser in Wein verwandelt haben soll. | |
Das Gästehaus bietet 50 Betten und ist das Einzige im ganzen Dorf. Obwohl | |
täglich mehrere Gruppen anreisen und viele Paare kommen, um dort zu | |
heiraten. Ich werde Zeuge, wie ein älteres Ehepaar seinen Eheschwur vor der | |
mittlerweile großen Familie mit Kindern und Enkeln wiederholt. | |
## Im jüdisch-orthodoxen Kibbuz | |
2. Tag: Von Kana zum Kibbuz Lavi: Nachdem ich sehr zur Überraschung meiner | |
Gastgeber erst um neun aufstehe, wandere ich am nächsten Tag wieder durch | |
Olivenbaumhaine, den bezaubernden Wald Beit Keschet und an einer | |
Militärbasis vorbei. Plötzlich ist mein Weg durch Bauarbeiten unterbrochen. | |
Ich lande etwas gestresst an der riesigen, lauten Golani-Kreuzung. | |
Glücklicherweise führen offenbar alle Wege nach Rom. Rom, das ist in meinem | |
Fall der Kibbuz Lavi, zu dem ich über einen Lehmweg finde und lediglich die | |
Überbleibsel alter römischer Straßen verpasst habe, die einst die Städte | |
Akko und Tiberias verbanden und auf dem Originalweg zu finden gewesen | |
wären. | |
Lavi ist ein jüdisch-orthodoxer Kibbuz, 1949 von britischen Einwanderern | |
gegründet und der größte Hersteller von Synagogen-Möbeln des Landes. Für | |
Menschen, die mit den jüdisch-orthodoxen Bräuchen nicht so vertraut sind, | |
sind die Rituale in dem riesigen Hotel womöglich irritierend: Es gibt | |
unterschiedliche Zeiten für Männer und Frauen im Schwimmbad und einen | |
Fahrstuhl, der automatisch in jeder Etage hält, damit man ihn am Schabbat | |
nicht bedienen muss. Überhaupt gibt es keinen Strom während des Schabbat, | |
also Freitag bis Samstagabend. Im Speisesaal sind alle Speisen koscher. | |
Viele der Gäste und Anwohner sind orthodox und die Männer schauen fremde | |
Frauen aus Keuschheitsgründen nicht einmal an. | |
## Den ganzen langen Weg im Blick | |
3. Tag: Vom Kibbuz Lavi zum Moschaw Arbel: Bei strahlendem Sonnenschein | |
sind die Hörner von Hittim ein wunderbares Etappenziel für den nächsten | |
Morgen. Sechs Kilometer von Tiberias und sehr nahe an Lavi gelegen, bietet | |
der kleine Berg und Vulkanrest einen wunderbaren Blick über den gesamten | |
Jesuspfad: Den Berg Arbel, den See Genezareth und Nazareth sowie einen | |
guten Blick auf den zuweilen schneebedeckten Berg Hermon weit im Norden in | |
den Golanhöhen an der Grenze zum Libanon und zu Syrien. Bekannt wurde der | |
Ort wegen der Schlacht von Hattin 1187, als die Kreuzfahrer von dem | |
muslimischen Heer unter Saladin geschlagen und zurück gedrängt wurden. | |
Ich steige den etwas unbequemen, steilen und steinigen Weg entlang vieler | |
zertretener Alpenveilchen zur drusischen Pilgerstätte Nabi Schueib im engen | |
Arbel-Tal hinab. Viel zu lange rutsche ich an einem Zaun entlang, bis ich | |
endlich und bereits ziemlich erschöpft an der riesigen moscheeartigen | |
Stätte ankomme. Ich wage allerdings nicht zu verschnaufen, denn es ist | |
bereits ein Uhr mittags und ich fürchte, sonst nicht vor Einbruch der | |
Dunkelheit im Moschaw Arbel anzukommen, einer Landwirtschaftsgemeinschaft | |
mit Bed and Breakfast, wo ich die Nacht verbringen soll. | |
## Markierungen sind nicht einfach zu finden | |
Während ich bereits sehen kann, wie sich ein schöner Weg durch das | |
Arbel-Tal schlängelt, muss ich erst einen Kilometer lang die Zufahrtsstraße | |
entlanglaufen, um dann auf meinen Pfad zu gelangen. Von diesem Moment an | |
wandere ich endlos und ohne Pause durch Olivenhaine mit riesigen dicken | |
verschnörkelten Stämmen, vorbei an Moscheeruinen und dem verlassenen Dorf | |
Hittin. Immer wieder springe ich über einen kleinen Bach, der sich durch | |
das Tal schlängelt. | |
Als die Sonne schon recht tief steht, soll ich den Pfad verlassen und aus | |
dem Tal heraussteigen. Das ist ungefähr das Letzte, was meine müden Beine | |
jetzt noch wollen. Im Abendrot erreiche ich den Moschaw Arbel. Im Bed & | |
Breakfast der Familie Shavit werde ich mit einem frischen Pfefferminztee | |
und fünf Schokoladenpralinen begrüßt. Umgeben von Blüten- und Obstbäumen | |
fühle ich mich so, als hätte ich es heute bis in den Garten Eden geschafft. | |
Der Eindruck hält sich bis zum Frühstück am nächsten Morgen, das ehrlich | |
gesagt das beste Frühstück ist, was ich jemals bekommen habe. Das muss es | |
auch sein, denn das anstrengendste Stück Weg kommt angeblich noch. | |
## Anstrengung sitzt im Gemüt | |
4. Tag: Vom Moschaw Arbel nach Kafarnaum: Der Blick vom Berg Arbel in alle | |
Richtungen und über den See ist so atemberaubend, dass er mich meine | |
Beinschmerzen vergessen lässt. Aber wieder ist es mit dem Genuss der | |
Aussicht nicht von Dauer, denn ich werde umringt von zwei israelischen | |
Schulklassen. | |
Also stürze ich mich schnell und mutig den sehr steilen Pfad die Klippe | |
herunter, in dem Glauben, kein Lehrer würde seine Schüler da | |
herunterschicken. Doch damit liege ich leider falsch – und so habe ich bei | |
meinem Abstieg das Gekreische der Schüler im Nacken. Irgendwie gibt das | |
auch Sicherheit. Ebenso wie die Klettersprossen, die an den steilsten | |
Stellen in den Felsen gehauen sind. | |
Als ich die Schüler abgehängt habe und mich dem alten beduinischen Dorf | |
Wadi Hamam nähere, ruft der Muezzin über Lautsprecher zum traditionellen | |
Gebet. Das klingt so friedlich und so schön, dass mir die Tränen kommen. | |
Mehrere Tage alleine wandern und die körperliche Erschöpfung haben mich | |
offenbar etwas übersensibilisiert. Von hier bis nach Tabgha ist es ein | |
dreistündiger Marsch durch Obstplantagen, und er erscheint mir zu lang. | |
In Tabgha, in der nordwestlichen Ecke des Sees Genezareth taumle ich in die | |
Brotvermehrungskirche, entzünde eine Kerze und hetze weiter, wieder den | |
Sonnenuntergang im Nacken, denn es sind noch drei Kilometer bis Kafarnaum – | |
zum Endziel meiner Reise. Entlang der Seepromenade treffe ich zwei | |
Pilgerinnen. Sie wollen alles über den Jesuspfad erfahren. Also sage ich | |
ihnen, dass es schlauer ist, früh aufzustehen, wie schön und irre | |
anstrengend Tag drei und vier waren und wie sehr ich mir wünsche, dass die | |
Dorfgemeinden begreifen, dass es keine gute Idee ist, den Wanderern Müll | |
vor die Füße zu werfen und sie stattdessen mehr Cafés und Pensionen entlang | |
des Weges eröffnen. | |
## Wunder gibt es immer wieder | |
In Kafarnaum, wo Jesus während seiner Zeit in Galiläa wohnte und einige | |
seiner Wunder vollbracht haben soll, unter anderem die Heilung eines | |
Gelähmten, finde ich neben einer byzantinischen Kirchenruine aus dem 5. | |
Jahrhundert eine ungefähr ebenso alte Ruine einer Synagoge und eine neu | |
erbaute Kirche für die Pilger. Am Eingang frage ich den Ticketverkäufer, ob | |
es hier Busse oder Taxis gebe, die mich nach Tiberias bringen können. Die | |
Antwort ist negativ, kommt aber in Kombination mit dem Angebot, mich nach | |
Dienstschluss mit dem Auto mitzunehmen. Als ich mich dann in das auf mich | |
wartende Auto fallen lasse, glaube ich für einen Moment an Wunder. | |
Hallelujah. | |
26 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Julia Niemann | |
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