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# taz.de -- Protest gegen Mastanlagen: Mahnwache gegen Keimschleudern
> Mit der "Critical Mast-Fahrradtour" protestieren Aktivisten gegen
> Schlachthöfe und Mastanlagen. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge
> kommen von dort multiresistente Keime.
Bild: Umstritten: Schlachthof in Wietze bei Celle.
WIETZE taz | Direkt nach Verlassen des Waldes, noch kurz vorm Ortsschild
schiebt sich die Schlachtfabrik in den Blick, so unpassend wie ein
Meteorit, der eben eingeschlagen hat: Die viereinhalb Meter hohen Zäune
wirken fast grazil im vergleich zum Hauptgebäude. Männer patrouillieren am
helllichten Tage entlang dieser Grenze. „Der gesamte Bereich wird Video
überwacht“, steht alle paar Meter auf Panels am Zaun.
Geradezu lächerlich klein drückt sich die Mahnwache der Critical
Mast-Fahrradtour keine 200 Meter Luftlinie entfernt auf eine Brache, kaum
sichtbar, weitab von Bundesstraße und Bürgersteig, „Wir wollten eigentlich
näher an den Schlachthof ran“, sagt Mo, die zu den OrganisatorInnen der
Runde durch Niedersachsen gehört. „Das war aber offenbar der einzige freie
Platz in der Nähe, auf den die Gemeinde noch Zugriff hat.“
Die etwa 20 TeilnehmerInnen der Protest-Rundfahrt durch Niedersachsen, die
am Pfingstmontag zu Ende ging, haben sich davon nicht entmutigen lassen,
als sie in Wietze angekommen waren. Mahnwache ist schließlich Mahnwache, ob
gut sichtbar oder nicht: Die Aufmerksamkeit ist ja trotzdem da gewesen, auf
allen Stationen der Tour, im Wendland bei Teplingen, in Sprötze, in Celle
und jetzt hier in Wietze. Die Reaktionen – geteilt. „Es gab immer auch
Leute, die uns angemotzt haben“, sagt Mo.
In Celle sind einige AktivistInnen sogar von der Polizei abgeführt worden,
als sie sich in einen Erörterungstermin zu den im Landkreis geplanten
84.000-Broiler-Mastanlagen eingebracht hatten. Und Ärger gab’s auch, als
sie in Wietze einen leeren Hühnerlaster an der Rückfahrt hinderten. „Aber�…
so Mo, „es gab immer auch solche, die uns zugerufen haben: Super, macht
weiter so, das ist genau richtig!“
„Uns ist klar, dass die meisten Leute unsere Position nicht teilen“, sagt
ein anderer Aktivist: Viele im Camp leben vegan, lehnen die Ausbeutung von
Tieren generell ab. Aber mittlerweile gibt es doch schon eine ganze Menge
Schnittpunkte zur Mehrheitsmeinung. Für Quälerei hält diese die Schnellmast
von Schweinen oder Geflügel in großen Anlagen, die den Tieren in der
Endphase ihres kurzen Lebens kaum Bewegung jenseits des Blinzelns
gestattet. Momentan verlagert sich der Fokus: „Die Diskussion um
antibiotikaresistente Erreger ist ziemlich präsent“, haben auch die
Critical-Mast-Leute bemerkt.
Denn einerseits verursachen die Erreger Riesenkosten fürs
Gesundheitssystem: Die Behandlung von befallenen PatientInnen ist gut
doppelt so teuer wie die von Normalkranken. Und die Erkrankungen nehmen,
weil kaum einzudämmen, einen besonders unerfreulichen Verlauf: Eine
Harnwegsentzündung wird zum tödlichen Risiko, die simple Lungenentzündung
mutiert zur Nekrose bildenden Pneumonie, die Furunkulose lässt sich nur per
Beinamputation stoppen – woraufhin sich der Erreger eine neue Krankheit
„ausdenkt“.
Mindestens 15.000 Menschen jährlich sterben in Deutschland allein an
Infektionen durch Methicillin-resistente Staphylococcus aureus Stämme
(MRSA), oft nach einem vieljährigen Leidensweg durch die Krankenhäuser. Zum
Vergleich: Bei Aids ist derzeit von deutlich unter 1.000 Toten auszugehen.
Und während der niedersächsische Agrarministerium bezweifelt, dass es einen
Zusammenhang zwischen industrieller Haltungsform und Ausbreitung der
resistenten Erreger gibt, hält die mikrobiologische Forschung eben diesen
für erwiesen. „It depends where you are“, es hängt davon ab, wo du lebst,
fasste Wolfgang Witte die Gefährdungslage auf einem Fachtag zusammen, den
Christian Meyer, agrarpolitischer Sprecher der niedersächsischen
Grünen-Fraktion, am Freitag organisiert hatte. Witte war von 2006 an Leiter
des Staphylokokken-Zentrums des Robert-Koch-Instituts: die Forschung über
MRSA, das war bis zur Emeritierung Ende vergangenen Jahres sein Job.
Und: Wenn du in Cloppenburg oder Vechta oder dem Landkreis Emsland lebst,
bist du diesbezüglich angeschissen: Bei der Schweine-, noch mehr aber in
der konventionellen Geflügelmast „können keine Einzeltiere behandelt
werden, sondern nur ganze Bestände“, so der Molekularbiologe. Dadurch
wachse der sogenannte Selektionsdruck, sprich, die Überlebenschancen von
Bakterien, die antibiotika-resistent sind, steigen in diesen Anlagen
sprunghaft an.
Neben MSRA züchtet man in den Mastanlagen auch jene noch schwieriger
einzugrenzenden und zu bekämpfenden Bakterien, die gelernt haben, das
ESBL-Enzym zu bilden. Das zerstört das Lactam, einen Baustein fast aller
Antibiotika. Folge: Sie werden unwirksam. Solche Erreger bläst die Lüftung
der Stallanlagen in die Umgegend. Sie können mehrere Tage an der frischen
Luft überleben – die ESBL-Bildner sogar fast ewig.
Witte und sein Team hatten bereits 2006 im Landkreis Vechta Vergleiche
zwischen konventionellen Schweinefarmen und jenen durchgeführt, die sich zu
einer artgerechten Haltung verpflichten. Und während die Forscher bei
ersteren MRSA bei über 80 Prozent der Tiere feststellten und bei fast 90
Prozent ihrer Halter eine Besiedlung mit dem Keim nachwiesen, gab es bei
den Neuland-Haltern kein gesteigertes Risiko, sich den Erreger
einzuhandeln.
Die Erreger bleiben virulent noch im tiefgekühlten Fleisch: „Wir haben sie
im Auftauwasser von konventionellen Brathähnchen in mehr als 30 Prozent der
Proben festgestellt“, sagt Witte. Hochwahrscheinlich werden sie über den
als Dünger verwendeten Kot der Tiere von den Pflanzen aufgenommen und bis
in den Fruchtkörper transportiert.
Als eine Minimalforderung hat Grünen-Politiker Meyer einen 14-Punkte-Plan
zur besseren Kontrolle der Antibiotika-Abgabe an Masttiere vorgestellt. Im
Grunde aber müsse man „die bisherigen Haltungsformen mit dichtem Besatz von
mehreren zehntausend Tieren in einem Stall aufgeben“, so der
Agrarpolitiker. Alles andere sei „nur ein Herumdoktern an Symptomen“.
28 May 2012
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
MRSA-Keime
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