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# taz.de -- Kommentar sexuelle Gewalt: „Wir“ sind nicht immun
> Mit der Aktion „ichhabnichtangezeigt“ erheben Opfer sexueller Gewalt ihre
> Stimme im Internet. Damit treten sie aus dem Schatten der Scham und
> Schuldgefühle heraus.
Lesen Sie auch keine Broschüren? Zum Beispiel Faltblätter von
gemeinnützigen Einrichtungen, die sexuelle Gewalt anprangern, erschütternde
Fälle beschreiben und immer irgendwie in den vielen anderen Faltblättern
untergehen? Und im Internetzeitalter: sinnvolle Homepages desselben
Inhalts, die im Internet eher begraben als öffentlich sind? Die Kampagne
„ichhabnichtangezeigt“ hat einen anderen Weg gewählt: Nicht Fachleute
sprechen über Opfer sexueller Gewalt, sondern die Menschen selbst
offenbaren sich, in kurzen Statements, über Facebook und Twitter. Andere
NutzerInnen zwitschern es weiter, mehr Menschen machen mit.
So sollen soziale Medien funktionieren: Die Initiatorinnen brauchen kaum
eine Infrastruktur, die Schwelle zum Handeln ist denkbar niedrig. Und auch
die AdressatInnen können sich einfach beteiligen. Jede und jeder hat eine
Stimme. Alle paar Stunden werden Adressen genannt, an die sich die
Verletzten wenden können. Das ist neu. Denn es reißt eine Barriere ein, an
der sehr viele Betroffene bisher nicht weitergegangen sind. Im Netz reden
auch die, die keine Broschüre gelesen haben, die nicht zur Beratung, zu
einer Selbsthilfegruppe, zur Polizei gefunden haben.
Diese plötzliche Nähe der Opfer macht aber auch etwas mit den Lesenden: Auf
Twitter sind „wir alle“, dort findet ein Teil der sozialen Normalität
statt. Im Gegensatz zum runden Tisch für Missbrauchsopfer, zu drastischen
Fallberichten, zu berührenden Fernsehbeiträgen sind die Twitterer nicht
spezielle Opfer und damit weit weg. Sondern sie haben einen Platz in der
Netznormalität. Sind Twitterer wie du und ich.
So wichtig es ist, etwa die Verjährungsfristen bei sexuellen Gewalttaten
endlich zu verlängern, die Teilhabe der Opfer an der Alltagskommunikation
ist es mindestens ebenso. Denn die juristische Verfolgung ist und bleibt
schwierig. Nur ein Bruchteil der Opfer zeigt die Folterer an. Die
allermeisten Verfahren werden eingestellt.
Umso wichtiger ist es, den verletzten Menschen Raum zu schaffen, der sie
nicht gleich wieder gettoisiert und vor der „normalen Welt“ abschirmt. Sie
haben einen Ort neben den Fußballergebnissen und der neuesten Politsau, die
durchs Twitterdorf getrieben wird. Sie sind nicht allein. Und „wir“ sind
nicht gegen sexuelle Gewalt immun. Sie kann überall sein. Auch in Ihrer
Familie.
4 Jun 2012
## AUTOREN
Heide Oestreich
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