# taz.de -- Städtebauprojekt in Honduras: Land ohne Geld für Geld ohne Land | |
> Vorbild Singapur: Mit exterritorialen „Charter Cities“ will Honduras' | |
> Regierung die Armut bekämpfen. Die Rechte der Armen vor Ort zählen nicht. | |
Bild: Ungewisse Zukunft: Garífuna-Junge aus El Triunfo de la Cruz am Karibikst… | |
EL TRIUNFO DE LA CRUZ taz | Es ist schwül und heiß in El Triunfo de la | |
Cruz, einem Fischerdorf an der honduranischen Küste, in der Mitte zwischen | |
den Hafenstädten Trujillo und Puerto Cortés gelegen. Die Schotterstraßen | |
sind breit und staubig, die eingeschossigen Häuser aus Holz oder bunt | |
verputzten Hohlblock-Steinen. Manche stehen auf Stelzen, wegen des vielen | |
Wassers in der Regenzeit. Und ein paar wenige sind noch ganz traditionell | |
aus Bambus gebaut, mit Dächern aus Palmstroh statt Zinkblech. Vorne am | |
Strand, wo das Karibische Meer träge am feinen Sand leckt, liegen einfache | |
Kähne, um die herum junge Männer Fußball spielen. | |
Der Ort mit knapp 10.000 Einwohnern ist eine der größten Siedlungen der | |
Garífuna, einer ethnischen Minderheit, die aus dem Zusammentreffen | |
entlaufener Sklaven und den inzwischen ausgestorbenen Kariben entstanden | |
ist. Sie lebten zunächst auf den Kleinen Antillen und wurden von den | |
britischen Kolonialherren vor 215 Jahren an die honduranische Karibikküste | |
verschleppt. Damals war diese Gegend nur ganz dünn besiedelt. Heute sind | |
die Garífuna im Weg. | |
Denn in dem Küstenabschnitt zwischen Trujillo und Puerto Cortés will | |
Präsident Porfirio Lobo eine Modellstadt errichten, einen „Diamanten in | |
Honduras“. Sein Vorbild ist Singapur, wo auf 27 Quadratkilometern 5,5 | |
Millionen Menschen leben und ein durchschnittliches Jahreseinkommen von | |
40.000 US-Dollar haben. | |
## Platz für bis zu zehn Millionen Menschen | |
Die knapp über 8 Millionen Honduraner kommen nicht einmal auf 2.000 Dollar | |
im Jahr. Die Armut habe bald ein Ende, verspricht Lobo. Die erste | |
Modellstadt soll Platz für bis zu zehn Millionen Menschen bieten. Es gibt | |
sie schon – als Videoanimation mit rasant in den Himmel wachsenden | |
Hochhäusern. | |
„Wir machen uns Sorgen um unser Territorium“, sagt Secundino Torres. Er | |
leitet das Komitee zur Verteidigung des Landes in El Triunfo de la Cruz. | |
„Wir führen einen harten Kampf gegen den Staat.“ Mit schrecklichen Folgen: | |
Fünf Mitglieder des Komitees seien in den vergangenen Jahren ermordet | |
worden, des Nachts erschossen von bezahlten Killern, berichtet Torres. Er | |
selbst hat einen verkrüppelten Arm von einem Angriff mit einer Machete. | |
„Viele von uns waren schon im Gefängnis.“ | |
Secundino Torres sitzt auf einem ausgeleierten Plastikstuhl im Schatten des | |
kleinen Ladens, den seine Frau betreibt. Er ist klein, faltig und zeigt | |
beim Lachen seine schlechten Zähne. Er war lange als Matrose weg, wie viele | |
Männer im Dorf. Zwanzig bis dreißig Jahre fahren sie zur See und kommen | |
dann abgearbeitet und ausgemergelt zurück. Die rund 200.000 Garífunas leben | |
schon immer mit dem Meer. „Das Meer ist unser Vater, das Land unsere | |
Mutter“, sagt Secundino Torres. Er ist bereit, es gegen Präsident Lobo zu | |
verteidigen. | |
Sein direkter Gegner sieht nicht eben gefährlich aus: Octavio Sánchez ist | |
der Chef von Lobos Kabinett. Man sieht dem Mittvierziger an, dass er sein | |
ganzes Arbeitsleben in Büros verbracht hat und körperliche Bewegung eher | |
scheut. Im Nadelstreifenanzug und mit viel Pomade im schwarzen Haar | |
empfängt er im Vorzimmer des Saals, in dem jeden Montag der Ministerrat | |
tagt. Die Möbel sind im Louis-XVI.-Stil, die Wände aus dunklem Tropenholz. | |
Sánchez spricht sanft und gerät ins Schwärmen, wenn er von den geplanten | |
Modellstädten spricht. „Wir werden Stabilität schaffen mitten in der | |
Instabilität“, sagt er. Kapital werde ins Land strömen, Armut sich in | |
Reichtum verwandeln. „In 30 Jahren wird die Mehrheit der Honduraner in | |
solchen Zonen leben und arbeiten. Sie werden über eine bessere Ausbildung | |
verfügen und mehr verdienen.“ Der rechtliche Rahmen dafür ist schon | |
geschaffen. | |
## Staat im Staat | |
Im Dekret 123, im Gesetzesblatt vom 23. August 2011 veröffentlicht, werden | |
die Modellstädte als „Besondere Entwicklungsregionen“ aufgeführt, mit dem | |
spanischen Kürzel RED. Sie sind vollkommen abgekoppelt vom honduranischen | |
Rechtssystem, die Regierung in Tegucigalpa darf sich nicht in ihre inneren | |
Angelegenheiten einmischen. Eine RED hat ihre eigene Verwaltung, | |
Gerichtsbarkeit und Polizei, ein eigenes Bildungs- und Gesundheitssystem. | |
Sie ist zollfreies Gebiet. Für die Einkommensteuer gilt eine Obergrenze von | |
12 Prozent, für die Steuer auf Unternehmensgewinne 16 Prozent. Der Staat | |
Honduras profitiert davon nicht. Alle Steuern bleiben in der RED und werden | |
von ihr selbst verwaltet. Die Zone wird laut Gesetz von einer Kommission | |
regiert, die zunächst vom Präsidenten berufen wird und ausscheidende | |
Mitglieder selbst ersetzt. Die Nationalität spielt dabei keine Rolle. | |
„Wir stellen uns vor, dass ein paar Nobelpreisträger dabei sind“, erklärt | |
Sánchez. Dass Demokratie in dem Modell nicht vorgesehen ist, stört ihn | |
nicht: „Niemand wird gezwungen, in einer RED zu leben.“ Was aber ist mit | |
den Menschen, die jetzt schon dort leben, wo die Modellstädte entstehen | |
sollen? | |
„Vor hundert Jahren wurde unser Land an die Bananenkonzerne verschenkt“, | |
sagt Secundino Torres in El Triunfo de la Cruz. Dann kamen die großen | |
Viehzüchter und schließlich die Tourismusindustrie. Die Regierung vergab an | |
der Küste freizügig Baugenehmigungen für Hotels, egal, ob dort Garífunas | |
siedelten oder nicht. „Und heute wirft der Präsident unser Land den | |
internationalen Konzernen hinterher.“ | |
## Kompliziertes Bodenrecht | |
Torres sagt „unser Land“, obwohl das rechtlich gesehen meist nicht so ist. | |
Die Garífuna kennen keinen privaten Landbesitz. Im Katasteramt ist der | |
Boden der Gemeinde zugeordnet. Die Grenzen sind dabei in aller Regel ganz | |
eng um die besiedelte Fläche des Dorfes gezogen. Das Umland aber, das die | |
Bewohner für den Landbau brauchen, gehört meistens dem Staat. „Wir sind | |
eine von vier Gemeinden, die in den Jahren der Auseinandersetzungen | |
durchgesetzt hat, dass auch unser Umland zum Dorf gehört.“ | |
Ein Landtitel allein aber ist in Honduras wenig wert. Man kann ihn | |
rechtlich erkämpfen. Man kann aber auch einen Beamten bestechen. Oder man | |
kann Gemeindeland einfach als Naturschutzgebiet ausweisen und so den | |
eigentlichen Besitzern die Nutzung verbieten. In El Triunfo de la Cruz gibt | |
es alle drei Varianten. | |
Der größte Teil ihres Landes ist für die Bewohner heute tabu. Der Staat hat | |
den gesamten Küstenstreifen vom Dorf in Richtung Osten bis zur | |
Gemeindegrenze zum Naturschutzgebiet erklärt. Nicht einmal mehr Palmstroh | |
für die Dächer ihrer Häuser dürfen sie dort holen und eigentlich auch nicht | |
mehr fischen – woran sich aber niemand hält. Miguel Facussé, der reichste | |
Unternehmer Honduras’, hat mitten in diesem Naturschutzgebiet dennoch die | |
Genehmigung für den Bau eines großen Anwesens bekommen. Natürlich hat | |
Facussé genauso wie die Garífuna einen Besitztitel über dieses Land. | |
Ein weiterer Unternehmer erhielt eine Genehmigung zur Errichtung eines | |
Strandhotels. Rund um das Gelände ließ er eine Mauer ziehen. „Er wollte uns | |
den Zugang zum Strand verwehren“, sagt Alfredo López, Chefredakteur des | |
lokalen Radios Falume Bimetu. „Wir haben die Mauer im September vergangenen | |
Jahres mit 200 Leuten inspiziert und dann einfach 50 Meter eingerissen.“ | |
Derzeit herrsche dort Ruhe. Das Loch in der Mauer klafft noch immer. | |
Bewaffnete Wächter des verhinderten Hoteliers stehen gelangweilt herum. | |
In seiner morgendlichen Nachrichtenshow wettert López gegen Hoteliers, | |
Großunternehmer und Regierung. Mit Folgen: Zweimal wurde das Häuschen, in | |
dem das Studio untergebracht ist, niedergebrannt. Im April vergangenen | |
Jahres fackelten Brandstifter nachts das Haus des Radiomannes ab. Er, seine | |
Frau und sechs seiner Kinder – drei weitere sind in die USA ausgewandert – | |
entkamen den Flammen und leben seither im Geräteschuppen. Die Attentäter | |
wurden nie gefasst. | |
## Mastermind Paul Romer | |
Octavio Sánchez im Präsidentenpalast in Tegucigalpa würde solche | |
gesetzlosen Zustände „Instabilität“ nennen, in die hinein er seine Insel | |
der Stabilität setzen will. Er gibt gern zu, dass die Idee nicht von | |
Präsident Lobo stammt. Erfinder der Modellstädte ist ein US-Amerikaner: Der | |
Wirtschaftsprofessor Paul Romer vom Stanford Institute for Económic Policy | |
Research. | |
Der jungenhaft wirkende 55-Jährige mit sauber gescheitelter Frisur ist 1990 | |
durch sein Romer-Modell bekannt geworden, bei dem es um die möglichst | |
schnelle Umsetzung von Forschung in marktfähige Produkte geht. Das Time | |
Magazine führte ihn damals in der Liste der 25 einflussreichsten | |
Nordamerikaner. | |
Seit 2009 wird Romer von seiner Idee exterritorialer „Charter Citys“ | |
umgetrieben, mit denen er die Armut abschaffen will. Romer ist Lobos | |
Berater und mit diesem zusammen bereits nach Singapur und Südkorea gereist, | |
um Investoren für die erste Modellstadt zu suchen. „Im nächsten Jahr“, | |
verspricht Sánchez, „werden Sie erste Ergebnisse sehen.“ | |
In El Triunfo de la Cruz versteht man das als ernste Drohung. | |
6 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
C. Romero | |
T. Keppeler | |
## TAGS | |
Honduras | |
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