# taz.de -- SPD wählt Landeschef: Globale Elite attackiert Provinz-Charme | |
> Die inhaltlichen Unterschiede zwischen Müller und Stöß sind kaum | |
> relevant. Dafür heben sich die Kandidaten für den Parteivorsitz in ihrem | |
> Auftreten umso deutlicher voneinander ab. | |
Bild: Der neue Chef der Berliner SPD. | |
Auch wenn Jan Stöß den unverbrauchten Neuerer gibt und ihn vor wenigen | |
Monaten noch kaum jemand kannte – er weiß, wie man in der Berliner SPD an | |
die Macht gelangt und sich Mehrheiten organisiert. Seine späte Kandidatur | |
war keine spontane Idee, und es war kein Zufall, dass ein Bezirk nach dem | |
anderen sich hinter ihn stellte. Stöß verfügt über ein gut funktionierendes | |
Netzwerk von Unterstützern. Er weiß hinter sich eine Riege junger, | |
ehrgeiziger Politiker, die gegen das System Wowereit aufbegehren. | |
## „Arm, aber sexy“ ist vorbei | |
Die Möglichkeit eines Machtwechsels an der Parteispitze spiegelt aber auch | |
die Machtverhältnisse in Berlin wieder. Wowereits Zeit, das wird immer | |
deutlicher, läuft ab: die Zeit der „Arm, aber sexy“-Partys, der großen | |
Freiheit auf Baulücken und Brachen. Parteichef Müller, in Tempelhof | |
geboren, der mit seinem Vater eine kleine Druckerei betreibt, hatte sich | |
einst ebenso fleißig wie bieder durch die Parteiebenen nach oben | |
gearbeitet. Stöß steht für ein neues, ein anderes Berlin – das der | |
Zugezogenen aus dem Süden und Westen Deutschlands, dem Rest Europas. Das | |
Berlin, das endgültig vom maroden Provinz-Charme befreit wird, das wächst | |
und zunehmend auf die mobile globale Elite setzt, die in der Metropole Fuß | |
fasst. | |
Weltoffen und international wünscht Stöß sich die Stadt. Das klingt erst | |
einmal fortschrittlich. Aber genau dem hippen, jungen, auf die globale | |
Elite orientierten Berlin fehlt es nicht an Lobbyisten. Und der gebildeten, | |
leistungsorientierten Mittelklasse nicht an Vertretern – genau auf diese | |
zielt Stöß’ mittelfristiges Projekt einer rot-grünen Koalition. Auf die | |
wirklich drängenden Fragen der Stadt hat auch Stöß keine besseren Antworten | |
als Müller: Wie kann das soziale Auseinanderbrechen der Stadt verhindert | |
werden, wenn sie für die einen boomt und für die anderen ein immer härteres | |
Pflaster wird, die soziale Realität der beiden Gruppen also immer weiter | |
auseinanderdriftet? Was tun dagegen, dass ein Drittel aller Berliner Kinder | |
von Hartz IV lebt und ein Sechstel der Bevölkerung? Oder dagegen, dass | |
Verdrängung ein immer bedrohlicheres Problem für viele Berliner wird? Es | |
sind schlechte Zeiten für all jene, die nicht von den aktuellen Folgen rund | |
um den Boom der Stadt profitieren. | |
Auch Teile der Basis, die sich von der Wahl des Kandidaten Stöß einen neuen | |
Politikstil, vor allem aber eine neue politische Ausrichtung erhoffen, | |
dürften schon bald enttäuscht werden. Stöß wirbt intern mit mehr | |
Partizipation, einer klareren Abgrenzung vom Senat, er ist Sprecher des | |
linken Flügels der Berliner SPD. Doch seine Kandidatur hat er, weit | |
entfernt von einer ausführlichen und öffentlichen Diskussion, geschickt im | |
Hintergrund vorbereitet. Seine Unterstützer haben jeden Versuch der | |
aktuellen SPD-Führung, einen Mitgliederentscheid über den Vorsitz | |
durchzubringen, souverän abgewehrt. Schon das zeigt, dass Stöß über eine | |
gehörige Portion Ehrgeiz und Machtstreben verfügt. Inhaltlich liegt er in | |
vielen Punkten genau auf Müllers Linie – nur dass er seine Positionen | |
offenbar deutlich geschickter zu verkaufen weiß. | |
8 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Juliane Schumacher | |
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