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# taz.de -- Ausbau Flughafen München: Bürger gegen Bürger
> Am Sonntag wird in München abgestimmt: Erhält der Flughafen im Erdinger
> Moos eine dritte Start- und Landebahn? Der Streit spaltet das Umland.
Bild: Uneinigkeit herrscht in der Frage einer dritten Startbahn am Münchener F…
BERGLERN/MÜNCHEN taz | Fast könnte es ein Volksfest sein. Die Stimmung ist
gut, das Wetter schön. Doch die bayerische G’stanzl-Truppe auf dem Podest
singt von Kerosindreck und von Fluglärm, der die Anwohner quält. Gut die
Hälfte der Bewohner der oberbayerischen 2.500-Seelen-Gemeinde Berglern sind
am Samstag – eine Woche vor der großen Abstimmung – auf den Kirchplatz
gekommen, um unter dem weiß-blauen Maibaum zu demonstrieren.
Der Protest hat hier mittlerweile Tradition. Rentner, Jugendliche, Mütter
mit Kindern, fast alle tragen das gelbe T-Shirt mit der durchgestrichenen
Drei. Es ist das Symbol von AufgeMuckt, dem Aktionsbündnis der Anwohner,
das seit Jahren gegen den Bau der dritten Start- und Landebahn kämpft.
Der Münchner Flughafen im Erdinger Moos ist von Berglern nur 12 Kilometer
entfernt. Schon jetzt liegen die gepflegten Einfamilienhäuser in der
Einflugschneise. Würde die dritte Start- und Landebahn wie geplant gebaut,
befürchten die Dorfbewohner, dass täglich mehr als 400 Flugzeuge in einer
Höhe von 200 Metern im Landeanflug über ihre Köpfe donnern. Eine
unzumutbare Lärmbelastung, wie sie sagen. Und ein massiver Wertverlust für
ihren Besitz.
## Von der CSU zu Robin Wood
Wüstes gegen die Staatsregierung steht auf den Transparenten, meist aber
nur „Koa Dritte“, Bayerisch für „Keine Dritte“, gemeint ist die umstri…
Bahn. Viele haben ein „Bitte“ davor gesetzt, weil sich das reimt. Es zeigt
aber auch: In Berglern weiß man trotz aller Wut, was sich gehört. Die
meisten, die hier auf die Straße gehen, waren früher CSU-Wähler,
wertekonservativ und traditionsbewusst. Mittlerweile entrollen einige von
ihnen gemeinsam mit Plane Stupid Germany unerlaubt Transparente am Münchner
Rathausturm und besteigen mithilfe von Robin Wood-Aktivisten das Siegestor.
„Wir wollen Eindruck machen“, ruft Herbert Knur den Demonstranten zu. Seit
der gesamte Ortsverband im August 2011 aus Protest gegen den
Flughafenausbau die CSU verließ, ist der Bürgermeister hier ein Held.
„Eindruck in München“, wiederholt Knur, und die roten Trillerpfeifen der
Demonstranten setzen zu einem schrillen Konzert an.
Der lautstarke Protest ist die einzige Chance, die den Anwohnern in
Münchens Speckgürtel bleibt. Denn am kommenden Wochenende werden die
EinwohnerInnen der Landeshauptstadt über das Schicksal der Anwohner
entscheiden. Nur sie dürfen bei den für Sonntag angesetzten Rats- und
Bürgerbegehren abstimmen. Die unmittelbaren Anwohner haben keine Stimme.
Schuld an diesem Konstrukt ist die Zusammensetzung der
Betreibergesellschaft der Flughafen München GmbH. Seit dem Frühjahr ist in
der Landeshauptstadt ein heißer Kampf ums Votum der Abstimmungsberechtigten
entbrannt.
In einem Nebenraum der Schranne, einer schicken Markthalle direkt am
Viktualienmarkt, in der die Händler an kleinen Ständen Champagner und
Delikatessen feilbieten, haben die Startbahnbefürworter ihr Quartier
bezogen. Organisiert wird der Infostand von der Werbeagentur Heller &
Partner, die den Flughafen München seit Jahren zu ihren Kunden zählt und
bereits an der Bewerbung der Stadt für die Austragung der Olympischen
Spiele 2018 maßgeblich beteiligt war.
Maximilian Böltl, der die Kampagne betreut, sieht darin nichts
Verwerfliches: „Hinter unserem Engagement für die dritte Startbahn steckt
besonders viel Herzblut“, sagt der 28-jährige BWLer im schmal geschnittenen
Anzug, „denn wir profitieren ebenfalls davon, wenn München prosperiert.“
## Wirtschaft ist für Ausbau
Neben den drei Parteien, die für den Ausbau sind, hat die Werbeagentur etwa
30 große Firmen und Wirtschaftsverbände für ihr Anliegen gewonnen, darunter
Lufthansa, die Messe München, die IHK, den Bayerischen Hotel- und
Gaststättenverband und die Münchner Wiesen-Wirte. Kurzum: alle wichtigen
Unternehmen und Interessengruppen der Stadt, die sich vom wachsenden
Flugverkehr Profit versprechen. Mit wie viel Geld die Partner die Kampagne
unterstützen, will Böltl nicht sagen. Er betont jedoch: „Wir machen keine
Material- und Werbemittelschlacht, denn das überzeugt niemanden.“
Eine bislang unbestätigte Zahl ist trotzdem im Umlauf: Die Flughafen
München GmbH unterstützt die Kampagne angeblich mit einem Budget von einer
Million Euro. Das David-gegen-Goliath-Image, das den widerstreitenden
Aktivisten seither anhaftet, hält Böltl dennoch für falsch. Auch die
Befürworter seien in einer ehrenamtlichen Bürgerinitiative organisiert, wie
er betont. Dass der Verein erst im März 2012 gegründet wurde, also nach dem
Beschluss der Befürworter für ein eigenes Ratsbegehren, ficht ihn nicht an.
Sprecher und Vorsitzender dieser Initiative ist Bernhard Loos. Der
57-Jährige ist Unternehmer und CSU-Ortsvorsitzender in München. Als er in
einer bayerischen Wirtschaft in der Innenstadt zum Gespräch bittet, ist er
soeben von einem Geschäftstermin aus Peking zurückgekehrt. „Ich bin ein
Mensch, der sich darüber Gedanken macht, wo die Reise hingeht“, sagt er.
Sein Engagement sei von der Befürchtung getrieben, dass München eines Tages
mit dem massiven wirtschaftlichen Wachstum in der Welt nicht mehr mithalten
könne.
„Wir müssen heute in die Infrastruktur investieren, damit wir auch in
Zukunft so leben können, wie wir das heute tun.“ 22.000 Arbeitsplätze soll
das 1,2 Milliarden Euro teure Ausbauprojekt bis zum Jahr 2025 im Großraum
München schaffen.
## Verantwortung für nachfolgende Generationen
Ein von den Ausbaugegnern beauftragtes Gutachten kommt zu einem ganz
anderen Schluss: Ein Zusammenhang zwischen dem Entstehen neuer Jobs und
einem Infrastrukturprojekt wie der dritten Startbahn sei nicht nachweisbar,
heißt es darin. Für Loos fällt das unter „Dagegen-Mentalität“. „Flieg…
für uns die Lebensgrundlage“, sagt er enthusiastisch. Schon jetzt stoße der
Flughafen an seine Kapazitätsgrenze. Werde er nicht stetig zu einem
wachsenden Drehkreuz ausgebaut, zögen die Fluggesellschaften und wichtige
Wirtschaftsunternehmen irgendwann ab. „Wir tragen Verantwortung auch für
die nachfolgenden Generationen“, so Loos.
Dieses Argument beanspruchen auch die Ausbaugegner für sich, nur ist es
hier ganz anders gemeint. „Flugverkehr ist der Klimakiller Nummer eins“,
sagt die Vorsitzende der Münchner Grünen, Katharina Schulze. „Wir müssen
endlich wegkommen von diesem ständigen Wachstumsdenken auf Kosten der
Umwelt.“ Die quirlige, junge Frau im Jeans-Minirock redet sich in Rage.
Zwei Startbahnen am Münchner Flughafen seien völlig ausreichend. „Wenn man
sich die Zahlen anguckt, dann sieht man, dass die Flugbewegungen Jahr für
Jahr zurückgehen.“
Die 27-Jährige steht einem Bündnis aus Freien Wählern, ÖDP, den Münchner
Piraten sowie 15 Umweltschutzverbänden vor. Seit Oktober 2011 hat das
Bündnis die erforderlichen 35.000 Unterschriften gesammelt, die für einen
Bürgerentscheid nötig waren. „Unter widrigen Umständen“, wie sie betont.
„Zu Jahresbeginn war es saukalt, und wir mussten den Leuten erst mühsam
erklären, worum es bei der dritten Startbahn überhaupt geht.“ Kein Wunder:
Die Münchner BürgerInnen sind von den negativen Auswirkungen, wie sie die
Flughafenanwohner kennen, wenn überhaupt, nur mittelbar betroffen.
Eine gute Woche vor der Abstimmung steht Katharina Schulze, wie so oft, an
einem Infostand und verteilt Flyer, Buttons, Anstecker und Nimm-2-Bonbons,
„weil zwei Startbahnen reichen“, wie sie sagt, diesmal bei einem großen
Straßenfest auf der Münchner Leopoldstraße. „Es ist so ein großer
Unterschied spürbar im Gegensatz zum Beginn unserer Kampagne“, freut sich
die Grüne. „Mittlerweile sagen die meisten, denen ich einen Flyer geben
will ’Danke, ich hab schon gewählt‘ oder ’Ich bin eh dafür‘.“
Tatsächlich könnte die Wahlbeteiligung bei der Abstimmung am kommenden
Wochenende überraschend hoch ausfallen. Rund 90.000 MünchnerInnen haben die
Unterlagen bereits angefordert – mehr als bei früheren Bürgerentscheiden.
Wie die Abstimmung ausgeht, ist aber ungewiss. Umfragen zum Thema gibt es
nicht.
Die Anwohner bei der Demonstration in Berglern geben sich zuversichtlich.
„Im Moment schaut’s so aus, als ob wir gewinnen“, sagt Hartmut Binner,
Sprecher des Aktionsbündnisses AufgeMuckt. Vor der Abstimmung wollen die
Anwohner noch einmal all ihre Kraft zusammennehmen und nach dem Vorbild der
Occupy-Bewegung vor der Bayerischen Staatskanzlei kampieren. Sollten sich
die Münchner trotzdem für den Bau der dritten Bahn entscheiden, ist der
Kampf für Binner aber noch lange nicht zu Ende. „Wenn die Bagger anrollen“,
sagt der Rentner, „kette ich mich an.“
11 Jun 2012
## AUTOREN
Marlene Halser
## TAGS
München
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
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