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# taz.de -- Julia-Holter-Konzert in Berlin: Ruinöse Elegien
> Die kalifornische Musikerin Julia Holter überzeugt bei ihrem Konzert in
> der „Berghain-Kantine“ Berlin. Sie ist nicht ganz von dieser Welt, aber
> sehr sympathisch.
Bild: Julia Holters Set am Sonntagabend besteht ausschließlich aus Schlafliede…
Es ist so leise im Saal, man könnte Stecknadeln zu Boden fallen hören.
Keine Gläser klirren, keinerlei Tresengespräche. Skandal: Ein Zuschauer
muss niesen, jemand anderes quittiert die Stille doch glatt mit der
Bemerkung: „Sehr gut!“ Was auch die einzig mögliche Bekundung nach einem
dreamy Popsong von Julia Holter ist, der die Zuschauer zunächst sprachlos
macht, bevor dann höflicher Applaus losbrandet.
Holters Musik hinterlässt nicht nur Schweigen, sondern auch dieses eher
unbestimmbare Gefühl von: Wo war ich noch gleich? Man muss sich erst mal
sammeln, bevor man das gerade Gehörte begründen kann. Das im Frühjahr
erschienene zweite Album der 28-Jährigen, „Ekstasis“ betitelt, ist eine der
Sensationen der Saison. Die große Frage war: Wie würde sie diese auf der
Bühne umsetzen? Die Musikerin lässt sich weder vom Rummel um ihre Person
noch vom Schnürsenkel-Budget einer unabhängig organisierten Tour aus der
Ruhe bringen.
Flankiert von einem Drummer und einem Cellisten steht die Kalifornierin auf
der Bühne der „Berghain-Kantine“ in Berlin, singt ins Mikrofon. Zusammen
ersetzt das Trio locker ein ganzes Ensemble. Im Zentrum Julia Holters
Gesang, nicht ganz von dieser Welt, aber hochkonzentriert vorgetragen:
Während ihres Konzerts wird sie kein einziges Mal auf ihre Finger blicken,
die sicher über die Tasten des Keyboards gleiten.
Der Auftaktsong „Boy in the Moon“ gibt auch gleich die Richtung des Abends
vor. Mehr als acht Minuten lange, stehende Drone-Töne, dazu Gesang, oftmals
textlos, ein Lullaby aus dem Zwischenreich von Wachsein und Schlafen. Tim
Buckley hat einst mit „Lorca“ ähnlich episches Material komponiert. Aber er
geriet Anfang der Siebziger in die Mühlen der Musikindustrie und ging elend
an seiner Star-Persona zugrunde.
## Drogen - nicht mal im Schlaf
Anders als Buckley hat Julia Holter keinen Folk-Background, sie hat Musik
studiert, besuchte die renommierte Kunsthochschule Cal Arts in Los Angeles
und veröffentlicht bei kleinen Labels. Und in den Songs von Julia Holter
entsteht ein neues Bild von Los Angeles, als sei die Metropole von einem
„Ocean of Sound“ umspült. Drogen würde Julia Holter nicht mal im Schlaf
nehmen.
„Try to Make Yourself a Work of Art“ – mit diesem Song hat sie ihr 2011
erschienenes Debütalbum „Tragedy“ beginnen lassen. Beim Konzert am Sonntag
steht der Song in der Mitte des Sets. Sein wolkenverhangenes Arrangement
erinnert an einen Traum, den man versucht sich zu merken, nachdem man aus
dem Schlaf erwacht ist. Erinnerung in Lücken, elegische Refrains, aber auch
ruinöse Störelemente: Die Wirklichkeit dringt herein, während man sich
verwundert die Augen reibt.
Bei Julia Holter ist diese Verwunderung aufgelöst in Rauschen,
Fieldrecordings von Straßengeräuschen und einem kurzen Tusch auf die
Schlagzeugbecken, bis ihr Gesang einsetzt, mehr gemurmelt, als gesungen:
„Try to make yourself a work of art like me / You can’t see / Only me“.
Holter wiederholt „Only me“, zieht die Silben in die Länge, aber es klingt
nicht pathetisch, sondern ganz selbstverständlich und distanziert.
## Schlaflieder und Selbstgespräche
Selbst das Feedback dringt nur aus der Ferne zu uns. Und wenn Holter einen
Song mit den sparsamen Worten „I have a new song now“ ankündigt, klingt es,
als rede sie im Schlaf. Das wirkt auch ein bisschen so, als führe sie
Selbstgespräche. Na und. Die Zugabe bestreitet Holter alleine mit ihrem
Keyboard, natürlich ein Lullaby.
Wohl wahr, Holters Set am Sonntagabend besteht ausschließlich aus
Schlafliedern. Aus solchen, die nicht einlullen, sondern erfrischen. Und
das Schöne ist, 150 Zuschauer lassen sich auf diesen langen Schlaf ein.
11 Jun 2012
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Kalifornien
Los Angeles
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