# taz.de -- Kommentar Bildungsreform: Bildungsferne ist kein Naturgesetz | |
> Wir wissen heute, wie Bildungsarmut zu bekämpfen ist: Konzentration der | |
> Ressourcen auf Brennpunktschulen. Dazu brauchen wir keinen Bericht. | |
Die Bildungsrepublik ist in zwei Teile gespalten. Oben die Kinder der | |
Bildungsbürger, die lernen, ihre Chancen wahrzunehmen: per Nachhilfe, | |
höhere Schule, notfalls Privatschule, Abitur, Studium und so weiter. Und | |
diese Chancen steigen, wie der neueste Bundesbildungsbericht 2012 zeigt. | |
Glücklicherweise. | |
Aber eben nicht für alle. Denn der andere Teil der Bildungsrepublik ist | |
unten. Er heißt familiäre Nachteile, Sonderschule, Sitzenbleiben, verhauene | |
Schulabschlüsse, kurz: Bildungsarmut. Rund 20 Prozent gehören dazu. „Es | |
gibt einen stabilen Sockel der Abgehängten“, warnen Forscher. | |
Vielleicht kann keine Gesellschaft Bildungsarmut ganz aufheben. Aber ein | |
Potenzial von stabil rund 20 Prozent Jugendlichen, die nicht vernünftig | |
lesen können, als eine Art gottgegebene Selbstverständlichkeit | |
darzustellen, ist nicht akzeptabel. Es widerspricht allen ethischen wie | |
demokratischen Werten – und auch der ökonomischen Vernunft. | |
Die Bürger müssen im Jahr zehn nach dem ersten Pisa-Test feststellen, dass | |
eine verantwortungslose Schulbürokratie nicht die Bildungsarmut bekämpft, | |
sondern die schlechten Nachrichten: Kultusminister, die Bildungsberichte | |
manipulieren und Vergleiche verbieten. Konservative Feuilletons, die | |
brabbeln, dass zu viele Kinder aufs Gymnasium gingen. Es ist in Deutschland | |
salonfähig, übers Abitur bis zum Erbrechen zu disputieren – es aber | |
schulterzuckend zur Kenntnis zu nehmen, dass die Zahl der Kinder ständig | |
steigt, die nie eine andere als die Sonderschule besuchen. Was soll’s! | |
Nein, bildungsferne Schichten sind kein Naturgesetz. Sie werden von | |
unfähigen Kultusbürokratien und abitursüchtigen Politikern gemacht. | |
Solchen, die zulassen, dass viele unserer Schulen in Wahrheit | |
Unterschichtsfabriken sind. Politikern, die es im 21. Jahrhundert nicht | |
stoppen können, dass zehnjährige Kinder nach ihrer sozialen Herkunft | |
aussortiert werden. Und das in einem Land, in dem die Hochqualifizierten im | |
Minutentakt in Rente gehen. | |
Wir wissen heute, wie Bildungsarmut zu bekämpfen ist: Konzentration der | |
Ressourcen, des neuen Lernens, der Sozial- und Sonderpädagogen auf die | |
tausende von Brennpunktschulen. Dazu brauchen wir keinen Bericht, sondern | |
eine wirklich demokratische Bildungspolitik. Es wird Zeit. | |
22 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Füller | |
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