# taz.de -- Justizsenator im Gespräch: "Kein Blankoscheck für die SPD" | |
> Thomas Heilmann (CDU) überrascht als Justizsenator mit Dialogbereitschaft | |
> und unkonventionellen Arbeitsmethoden. Doch wie sieht seine | |
> Zwischenbilanz tatsächlich aus? | |
Bild: Lässig, cool, Thomas Heilmann wie er sich gerne sieht | |
taz: Herr Heilmann, wohin geht’s im Urlaub? | |
Thomas Heilmann: Ich fahre mit der Familie nach Frankreich. | |
Und wenn Klaus Wowereit fünf Minuten vor der Abreise anruft und sagt, Herr | |
Heilmann oder Thomas – sind Sie per du oder per Sie? | |
Per Sie. | |
Wenn also Wowereit sagt, Herr Heilmann, Sie müssen für Berlin den Flughafen | |
retten, sagen Sie dann: „Klar, Superherausforderung!“ und verschieben die | |
Reise? | |
Da käme ich vielleicht in Gewissensnöte. Aber der wird nicht anrufen | |
müssen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. | |
Und wenn doch? | |
Ich hab während meines vorletzten Urlaubs als kurzfristig eingesetzter | |
Vermittler der Bundesregierung Karstadt zu retten versucht. Da war ich auch | |
in Südfrankreich wie jetzt, und mein Handy war wirklich tapfer und meine | |
Familie erst recht. | |
Wie hat Ihre Familie reagiert? | |
Meine Kinder haben immer gefragt, wer Nicolas Berggruen ist, weil der mit | |
seinen Anrufen in dem Urlaub jeden Tag mit vielen Stunden einigermaßen | |
präsent war. | |
Warum dieser Einsatz? Dachten Sie, das kann kein anderer? | |
Bei Karstadt war es so, dass das sicher auch andere gekonnt hätten. Aber in | |
der besonderen Konstellation, das Vertrauen von Berggruen, den Investoren | |
und der Bundesregierung zu haben, das kam eben nur in meiner Person | |
zusammen. Es war ja auch wahnsinnig eilig. Man sieht am Fall von Schlecker, | |
wenn man da was falsch macht, dann wird liquidiert. | |
Sie hätten Schlecker retten können? | |
Das kann ich von außen nicht beurteilen. Bei Karstadt waren ganz viele | |
notwendig, der Insolvenzverwalter, einige Anwälte, Nicolas Berggruen, | |
Ursula von der Leyen und Margret Raane von Ver.di. Ohne die gäbe es | |
Karstadt heute nicht mehr. In so einer Konstellation hätte man vielleicht | |
auch einen Kern von Schlecker erhalten können. | |
Vielleicht hätten Sie einen guten Wirtschaftssenator abgegeben. | |
Der Wirtschaftssenator ist nicht für die Rettung von Unternehmen da, das | |
muss ja meistens ein neutraler Vermittler sein. | |
Im Vorberuf waren Sie Unternehmer. Nun sind Sie bis 2016 Justizsenator, | |
wenn nichts dazwischenkommt. Glücksvorstellung oder Horrorvision? | |
Mir macht das große Freude, und bisher habe ich keinen Grund anzunehmen, | |
dass es nicht freudvoll bleibt. | |
Keine Klagen über eine unbewegliche Verwaltung, in der sich nichts stemmen | |
lässt? | |
Es ist eine völlig falsche Vorstellung, dass Sie als Chef eines großen | |
Unternehmens nur zu schnippen brauchen, damit die Dinge so laufen, wie Sie | |
wollen. Mein Lieblingsgegenbeispiel ist folgendes: Ich wollte in meinem | |
Unternehmen eine bestimmte Kaffeesorte durchsetzen, und das ist mir als | |
Vorstandsvorsitzendem und Gesellschafter in fast 20 Jahren nicht gelungen. | |
Ein Senator verdient etwa 11.000 Euro brutto. Sie sind vermögend und | |
könnten Ihre Zeit schöner verbringen. Warum tun Sie sich das an? | |
Erst mal ist es so, dass ich auch als Justiz- und Verbraucherschutzsenator | |
noch Freizeit habe, wie vorher auch. Zweitens: Etwas zu schaffen hat mich | |
immer interessiert. Wenn ich jetzt etwas daran arbeite, dass weniger | |
Strafgefangene rückfällig werden, dann ist das ein Ziel, mit dem ich mich | |
morgens gut im Spiegel sehen lassen kann. Und ganz persönlich liegt für | |
mich ein Reiz in der Frage: Kann ich auch in einem unterschiedlichen System | |
Erfolge produzieren? Erfolge, die sich nach ganz anderen Kriterien | |
definieren als in der Wirtschaft. | |
Ihnen unterstehen rund 11.000 Mitarbeiter. Welchen Führungsstil | |
praktizieren Sie? | |
Sehr dialogbasiert. Ich versuche über Ziele zu führen. | |
Wie halten Sie es mit der behördenüblichen Hierarchie? Rufen Sie direkt | |
beim Knastleiter an oder erst mal bei dessen Vorgesetzten, also dem | |
Abteilungsleiter für Strafvollzug in der Justizverwaltung? | |
Bei einer eiligen Frage würde ich dem Zuständigen eine E-Mail schreiben und | |
seinen Abteilungsleiter und den Staatssekretär in „CC“ setzen. Damit ist | |
allen gedient. Für mich ist das Spannende nicht, wer entscheidet – das | |
macht weiter der Chef –, sondern was vorher passiert. Der Prozess muss | |
transparent sein. Eigentlich dürfen meine Entscheidungen meine Verwaltung | |
nicht überraschen, sonst wäre das schlecht. | |
Sie wollen nicht überraschen? | |
Bei den Entscheidungen nicht, nein. Sonst schon. Als ich gerade im Amt war, | |
brauchte ich auf die Schnelle mehr Hintergrund zum Thema Mediation, das | |
zwei Tage später im Bundesrat anstand. Da wollte ich eine Telefonkonferenz | |
mit den Mediationsrichtern in Berlin. Und hörte: Das hat es ja noch nie | |
gegeben. Aber weil die Richter ja durchaus in der Lage sind, sich mit einem | |
Code einzuwählen, hat das dann doch gut geklappt, und ich konnte mit denen | |
persönlich diskutieren. | |
Unüblich ist auch, dass ein Justizsenator bei einem Knastbesuch | |
Gefangenenessen isst, wie Sie kürzlich in der Haftanstalt Tegel. Wie hat’s | |
geschmeckt? | |
Gut. | |
Was gab’s? | |
Vegetarische Taler mit Letschogemüse und noch was, Kartoffeln, glaub ich. | |
Was haben Sie als wesentlichen Eindruck aus dem Knast mitgenommen? | |
Wie schwierig es ist zu verstehen: Warum wird jemand unter welchen | |
Umständen eigentlich rückfällig? Die Kernaufgabe des Strafvollzugs ist, wie | |
es im Gesetz heißt, sie als resozialisierte Menschen zu entlassen. Das | |
gelingt ja nur zum kleineren Teil. Und da ist es egal, ob einer nur ein | |
paar Wochen im Arrest war oder 15 Jahre absitzen musste. | |
Der Strafvollzug ist ein Koloss und zudem ziemlich festgefahren. Glauben | |
Sie wirklich, dass Sie da etwas verändern können? | |
Ich weiß gar nicht, ob da was festgefahren ist. Ich habe vergangene Woche | |
die Redaktion vom Lichtblick besucht, der Gefangenenzeitung. Die haben | |
differenziert den Berliner Strafvollzug gelobt. Aber es gibt natürlich | |
nichts, was man nicht noch besser machen kann. | |
Hört sich gut an. Aber ein bisschen kommen Sie auch wie ein Blender daher. | |
Was meinen Sie denn mit Blender? | |
Sie profilieren sich als großer Kommunikator … | |
Das sagen vielleicht andere über mich, aber ich beschreibe mich nicht so. | |
Wer garantiert eigentlich, dass sich der angeblich so liberale Heilmann | |
nicht als reaktionäres Monster entpuppt? | |
Dieses reaktionäre Monster, wie Sie es nennen, habe ich noch nicht | |
entdeckt. Wenn es doch durchkäme, würden Sie es ja merken und schreiben. | |
Ich habe eine sehr nüchterne Art, Dinge zu betrachten. Ich versuche, stets | |
vorurteilsfrei heranzugehen. Damit war ich in meinem früheren Berufsleben | |
sehr erfolgreich, warum sollte ich daran etwas ändern? | |
Sind Sie auch so nüchtern in die von Ihnen initiierte Anhörung über | |
Cannabis und die Herabsetzung der straffreien Eigenbedarfsgrenze gegangen? | |
Da ich noch nie in meinem Leben Cannabis konsumiert habe … | |
Noch nie? Wie geht das denn? | |
Mangels Gelegenheit – ich bin völlig versuchungsfrei geblieben. In meiner | |
Schule gab’s das nicht. Und warum soll ich das nehmen? Vorurteilsbeladen | |
erscheinen mir da eher all jene, die schon vor jeder Prüfung genau wussten, | |
dass sich die bisherige Regelung im Umgang mit Cannabis bewährt hat. Für | |
mich ist wichtig, was tatsächlich geschieht, und weniger, was jemand meint. | |
Bei der Sache mit den Schrottimmobilien hatten Sie den Mund ganz schön | |
vollgenommen. Im Januar haben Sie fünf Punkte vorgestellt, mit denen die | |
Käufer besser geschützt werden sollten. Bei der Justizministerkonferenz der | |
Länder ist davon nicht viel übrig geblieben. | |
Das stimmt doch gar nicht. Ich habe damals gesagt, wir brauchen eine | |
gesetzliche Regelung, die den Schrottimmobilienhandel nahezu unmöglich | |
macht. Es waren doch fünf konkrete Punkte. Ich habe fünf Alternativen | |
vorgestellt, zwei kamen noch von den Grünen hinzu. Und die Lösung, die ich | |
heute favorisiere, ist keine davon, sondern eine aus meiner Verwaltung. Sie | |
scheint mir das zu sein, was am wirkungsvollsten mit dem geringsten Aufwand | |
diese Betrügereien lahmlegt. Es geht doch nicht darum, mit möglichst vielen | |
Kanonen zu schießen, sondern ein passgenaues Mittel zu finden. | |
Ihr Vorgänger, Michael Braun, im Dezember unter Druck wegen angeblicher | |
Verstrickungen in diese Schrottimmobilien zurückgetreten, hat im Mai vom | |
Landgericht eine weiße Weste bescheinigt bekommen. Für die CDU ist er nun | |
„endgültig rehabilitiert“. Ist er zu früh gegangen, hätte er die Aufklä… | |
abwarten sollen? | |
Ich glaube, der politische Druck war zu hoch. Ich hätte ihm auch nicht | |
standgehalten. Aber der Fall ist schon extrem bedauerlich für Michael | |
Braun, weil er als Notar in eine Gesamthaftung für Fälle genommen wurde, | |
mit denen er selbst nichts zu tun hatte. | |
Haben Sie Mitleid mit ihm? | |
Ja. | |
Der Streit in der SPD hat den Rücktritt Brauns längst verdrängt. | |
Beeinträchtigt dieser Streit die Arbeit im rot-schwarzen Senat? | |
Bisher kann ich noch gar keine Auswirkungen feststellen. Insofern ist das | |
eine SPD-interne Entwicklung. Die Koalition ist stabil, und es gibt Grund | |
zu der Annahme, dass das so bleibt. Aber in der Politik ist so was nicht | |
sicher. | |
Hängt die Koalition für die CDU unabdingbar davon ab, dass Klaus Wowereit | |
Regierender Bürgermeister bleibt? | |
Nein, das steht ja auch nicht so im Koalitionsvertrag. Ihre Frage ist ja | |
eigentlich: Gibt es einen Blankoscheck für einen anderen Regierungschef von | |
der SPD? Da ist die Antwort: Nein! Nun stellt sich die Frage nicht. Wenn | |
sich da jemals etwas ändern sollte, wird man sehen müssen. Das ist ja in | |
anderen Koalitionen auch schon vorgekommen. | |
28 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Plutonia Plarre | |
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