| # taz.de -- Filmstarts Julie Delpy: Ein chaotisches Idyll | |
| > Mit Witz und Mut zur Antiprüderie widmet sich Julie Delpy gleich in zwei | |
| > neuen Filmen dem Familientreffen. Beide tragen autobiografische Züge. | |
| Bild: Mehr Chaos als Idyll: Filmstill aus „2 Tage in New York“ | |
| Was erwartet der Durchschnittsamerikaner, wenn die französische | |
| Verwandtschaft der Frau in New York aufkreuzt? Erlebnisse wie diese: | |
| Monsieur Schwiegerpapa hat versucht, kiloweise Käse und Wurst einzuführen, | |
| riecht entsprechend, aber weigert sich zu duschen. | |
| Die schöne Schwägerin dagegen zieht sich sofort aus und paradiert ungeniert | |
| den nackten Hintern in der Wohnung herum, selbst, als die Nachbarn | |
| klingeln. Ihr Freund gibt in schlechtem Englisch unanständige Komplimente | |
| von sich, verfügt aber über genügend Sprachkenntnisse, um sich einen | |
| Marihuana-Dealer an die Tür zu bestellen. | |
| Das Familientreffen bildet ein eigenes Subgenre im Genre der Komödien – | |
| zumindest wenn man unter Genre einen Film versteht, dessen Szenen man sich | |
| ungefähr schon im Vorhinein ausmalen kann. Der Gegensatz von öffentlich | |
| gefeierter Intimität und heimlich empfundenem Befremden bildet die | |
| Standardsituation solcher Komödien. | |
| Wie variantenreich man damit umgehen kann, belegt die französische | |
| Schauspielerin, Regisseurin und Sängerin Julie Delpy mit gleich zwei | |
| Filmen, die bei uns in kurzem zeitlichem Abstand ins Kino kommen; „2 Tage | |
| New York“ und „Familientreffen mit Hindernissen“. Da es sich bei „2 Tage | |
| New York“ um ein Sequel von Delpys Überraschungshit „2 Tage Paris“ (von | |
| 2007) handelt, ist es genau genommen ihr dritter Film zum Thema. | |
| ## Neurotisch, aber gutwillig | |
| Einen Teil des Personals in „2 Tage New York“ kennt man also schon: Albert | |
| Delpy gibt erneut den Vater Jeannot, der seine linken Leidenschaften im | |
| diskreten Zerkratzen von Luxusautos auslebt. Alexia Landeau verkörpert die | |
| nervende Schwester Rose, Julie Delpy selbst spielt ihr in vielen Zügen an | |
| Woody Allens „Stadtneurotiker“ angelehntes Alter Ego Marion, eine Frau mit | |
| Brille, neurotisch, aber gutwillig, immer am Rand des Nervenzusammenbruchs, | |
| vor dem sie der scharfe Witz gerade noch einmal bewahrt. | |
| Wo Allen seine jüdische Identität einsetzt, nutzt Delpy ihren Status als | |
| Französin in New York, um die gewohnheitsmäßige existenzielle Entfremdung | |
| von der Umwelt zu illustrieren. Am Telefon buchstabiert sie ihren Nachnamen | |
| Dupre mit: „D wie Dick, U wie Uterus, P wie Penis – nein ich bin nicht | |
| ausfällig, ich buchstabiere meinen Namen!“ | |
| Marion also hat sich von ihrem amerikanischen Freund Jack inzwischen | |
| getrennt und lebt nun mit Mingus (Chris Rock) und den jeweiligen | |
| Sprösslingen aus früheren Beziehungen zusammen. Es ist ein chaotisches | |
| Idyll, das vom Einfall der französischen Verwandtschaft für die Dauer des | |
| Films natürlich auf eine heftige Probe gestellt wird. | |
| ## Köstlich genau beobachtet | |
| Als Gesamtes gesehen überzeugt „2 Tage New York“ dabei weniger als in | |
| seinen Einzelstücken. Im allzu konventionellen Bogen von Culture Clash, | |
| Krise und Versöhnung nämlich finden sich immer wieder Szenen, die köstlich | |
| genau beobachtet und gespielt sind. | |
| Etwa wenn sich zwei erwachsene Frauen plötzlich an den Haaren ziehen und | |
| binnen Sekunden zu eifersüchtigen kleinen Schwestern mutieren. Oder wenn | |
| Chris Rock Zwiegespräche mit einer Obama-Aufstellpuppe hält: „Okay, das | |
| nächste Mal reden wir über dich und Michelle!“ Oder auch Julie Delpys große | |
| Szene mit einem teuflischen Vincent Gallo, dem sie ihre Seele verkauft – es | |
| sollte „nur“ ein Kunstexperiment sein. | |
| Ähnliches gilt auch für „Familientreffen mit Hindernissen“, der als offene | |
| autobiografische Variante zum Thema daherkommt. Delpy schildert darin die | |
| Zusammenkunft einer Großfamilie im Sommer 1979. Ihr Alter Ego heißt hier | |
| Albertine (Lou Alvarez) und ist zwar erst elf, dafür aber nicht weniger | |
| woodyallenesk: genauso bebrillt, im Geiste schon sehr reif, im Physischen | |
| aber noch sehr erfahrungsarm. | |
| ## Sex ernst nehmen | |
| Albertine also reist mit ihren Eltern (die Mutter spielt wieder Delpy | |
| selbst) zur Großmutter in der Bretagne, wo mit Cousins und Cousinen, Onkeln | |
| und Tanten, Großmüttern und Großonkeln die verschiedensten Lebenshaltungen | |
| und -geschichten aufeinandertreffen: Libertinage auf alte | |
| Soldatensehnsucht, Kolonialnostalgie auf Emanzipation, Kunst auf | |
| Spießertum. Albertines Vater (Eric Elmosnino) gibt damit an, dass er seine | |
| Tochter zum Festival nach Cannes mitgenommen hat, wo sie unter anderem „Die | |
| Blechtrommel“ gesehen haben. „Ist das ein Musical?“, fragt jemand am | |
| Familientisch. | |
| Der Film folgt in seiner Struktur der mahlzeitdiktierten Abfolge eines | |
| Familienfests mit seiner scheinbaren Ordnung bei ständig drohendem | |
| Zerwürfnissen. Wieder sind es die Einzelgags, die mehr überzeugen als das | |
| Gesamtbild. Und doch ergibt sich am Ende eine Haltung, die man an Delpy als | |
| Regisseurin durchgehend bewundern muss: Es ist ihr Mut zur Antiprüderie. | |
| Die Kinder dürfen hier ebenso obszön sein wie die Erwachsenen, wobei Sex | |
| auf ganz andere Weise ernst genommen wird als in den auf ihre Vulgarität so | |
| stolzen amerikanischen Komödien wie „Hangover“. Ein Vergleich, der Delpys | |
| Filme ungeheuer erfrischend erscheinen lässt. | |
| „2 Tage New York“. Regie: Julie Delpy. Mit Chris Rock, Julie Delpy u. a. | |
| Frankreich/Deutschland 2011, 91 Min. | |
| „Familientreffen mit Hindernissen“. Regie: Julie Delpy. Mit Lou Alvarez, | |
| Julie Delpy u. a. Frankreich 2011, 113 Min., Start 9. August | |
| 5 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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