# taz.de -- Kommentar Verena Becker: Ein Prozess und eine vertane Chance | |
> Das Urteil gegen Verena Becker lässt Ratlosigkeit zurück. Den | |
> Ex-Mitgliedern der RAF mangelt es wie dem Staat an einer | |
> Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. | |
Vier Jahre Haft, von denen zweieinhalb als verbüßt gelten – das Urteil über | |
Verena Becker lässt Ratlosigkeit zurück. Nicht wegen juristischer Details, | |
des Werts von Beweisen oder wegen des Strafmaßes. Unbehagen stellt sich | |
vielmehr ein, weil sich im Umfeld dieses Verfahrens 35 Jahre nach dem Mord | |
an Generalbundesanwalt Siegfried Buback zeigte, woran es fehlt: an einer | |
wirklichen Aufarbeitung des Deutschen Herbstes. | |
Das liegt einerseits an den früheren Mitgliedern der RAF. Nach dem zu | |
späten Eingeständnis ihres politischen Scheiterns haben sie den nächsten | |
Schritt bis heute nicht gewagt – nämlich auch jenes Detailwissen | |
preiszugeben, das den Angehörigen der Opfer bei der Bewältigung ihrer | |
Trauer eine späte Hilfe hätte sein können. | |
Dies den angeklagten Exmitgliedern der RAF verächtlich vorzuhalten | |
(„Omertà!“), ist jedoch billig. Denn erstens haben sie das Recht, zu | |
schweigen. Dass sie sich auf diese Weise schützen wollen, ist für die | |
Aufarbeitung ein Dilemma. Aber zweitens mangelt es auch dem Staat und | |
seinen Lautsprechern in den Medien an Bereitschaft, sich mit ihrer Rolle in | |
der Eskalation auseinanderzusetzen. | |
Dabei geht es nicht nur um den möglichen Beitrag von Geheimdiensten, die im | |
Prozess gegen Becker eine Rolle spielten. Es geht um mehr: Die Regierung | |
hat Sondergesetze erlassen, das Land mit Polizeimaßnahmen überzogen, die, | |
begleitet von medialer Mobilmachung, auch Opfer forderten; sie hat | |
Sonderhaftbedingungen durchgesetzt und mit dem Paragrafen 129a ein | |
Instrument geschaffen, das bis heute zur Ausforschung von Linken genutzt | |
wird. | |
Damals, in den 1970ern, nannte man das eine „maßgeschneiderte Antwort auf | |
den Terrorismus“. Die Politik freilich wurde mit ihrem „Kampf“ dem Bild, | |
das die RAF von ihr malte, nur ähnlicher. Dass sich Regierungen und | |
Sicherheitsbehörden dies bis heute nicht eingestehen wollen, blockiert die | |
Aufarbeitung mindestens ebenso wie das Schweigen der RAFler. | |
Was nötig wäre? Mut, Selbstkritik und, ja auch das: wenigstens ein Gramm | |
Verständnis für die andere Seite. Denn Aufarbeitung braucht die Geste des | |
Stärkeren, zu dem dieser erst durch sein Nachgeben wird. Ein Prozess wie | |
jener gegen Becker mag dafür nicht der Ort sein – aber er hätte den Anlass | |
dazu bieten können. Hätte. Der Staat, die Medien und das, was von der RAF | |
übrig geblieben ist – sie haben eine Chance vertan. | |
6 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Tom Strohschneider | |
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