# taz.de -- Tanzen gehen: Starker Rhythmus, viel Bewegung | |
> Fast 100 Jahre nach seiner Entstehung ist der Swing in Europa wieder auf | |
> dem Vormarsch. Neben Berlin und Hamburg zählt Barcelona zu den Metropolen | |
> der neuen Tanzlust. | |
Bild: Swing-Maniacs in Aktion am Strand von Barcelona | |
Auf einmal ging alles ganz schnell: Die Passanten, die sich auf der | |
belebten Plaza Catalunya in Barcelona scheinbar zufällig trafen, stellten | |
sich in Reihen auf. Eine tragbare Musikanlage wurde eingeschaltet, und los | |
ging der Shim Sham, ein Stil des Swing, der in einer festgelegten | |
Choreografie getanzt wird. Die gut hundert Tänzer und Tänzerinnen hatten | |
sich vorher per Internet abgesprochen und zu einem „Swing Flash Mob“ | |
zusammengefunden. In den Swing-Tanzschulen der Stadt gab es zur | |
Vorbereitung kostenlose Workshops, denn die Choreografie dieses speziellen | |
Tanzes wird üblicherweise nicht so oft gelehrt. Swing ist, bald hundert | |
Jahre nach seiner Entstehung in den 20er Jahren in den USA, wieder stark im | |
Kommen. | |
Neben Berlin und Hamburg dürfte wohl Barcelona zu den großen | |
Swing-Metropolen Europas zählen. Ganze 14 Swing-Tanzschulen gibt es in der | |
katalonischen Hauptstadt mittlerweile, manche von ihnen stilecht in | |
Hinterzimmern von verrauchten Kneipen untergebracht. | |
Jorge, tagsüber beschäftigt als IT-Techniker, hat vor einem Jahr die | |
Tanzschule „Temple de Swing“ eröffnet, in der er jeden Abend zusammen mit | |
einer Partnerin zwei Swing-Kurse gibt. „Ich kann nicht anders“, antwortet | |
er, wenn er auf seine beiden Jobs angesprochen wird. | |
## Die Plätze und Parks der Stadt nutzen | |
Dank des Klimas müssen Tänzer sich in der Hauptstadt Kataloniens nicht nur | |
auf Ballsäle beschränken, sondern können auch die Plätze und Parks der | |
Stadt nutzen. Regelmäßig am Sonntag karren die Mitglieder der „Associació | |
de Swing de Barcelona“ ihre Musikanlage auf lauschige Plätze, bevorzugt im | |
alternativen Stadtteil Gracia, um den Tänzern und Tänzerinnen mit Stücken | |
von Teddy Wilson, Count Basie, Benny Carter oder Coleman Hawkins | |
einzuheizen. Im Sommer auch an der Barceloneta, dem Stadtstrand von | |
Barcelona. | |
Ganz legal ist das nicht, aber die Polizisten, die ab und an vorbeischauen, | |
kneifen beide Augen zu und machen den Eindruck, als ob die Lebensfreude, | |
die die wirbelnden Tanzpaare verbreiten, ansteckend ist. Obwohl Tänzer aus | |
dem studentischen Milieu die Mehrheit innehaben, kommen regelmäßig auch | |
Tanzpaare im Rentenalter vorbei, die sich vielleicht an die Vergnügen ihrer | |
Jugend erinnern. Und bei vielen Veranstaltungen spielen sogar Livebands, | |
zum Teil mit Sängern und Sängerinnen. | |
Der Swing entwickelt sich nach der großen Weltwirtschaftskrise vom Oktober | |
1929 mit der neuen Form der Bigband. Vielen kleineren Formationen mangelte | |
es an Aufträgen, und die Musiker kamen in größeren Formationen zusammen, | |
den Bigbands. Die Urvariante des Swing entstand im legendären New Yorker | |
Tanztempel, dem Savoy Ballroom im Savoy Hotel. Der Savoy Ballroom war, im | |
Gegensatz zu anderen Tanzsälen, für alle Hautfarben offen und dadurch ein | |
Schmelztiegel verschiedener Tanzkulturen. Die New Yorker High Society kam | |
extra von Manhattan nach Harlem, um diesen famosen Tanz, den Savoy-Style | |
Swing, in Augenschein zu nehmen. Er leitete sich musikalisch vom Charleston | |
und dem Hot Jazz ab. | |
Tanzbeschreibung anno 1925: „Der Torso zittert, dazu die Bewegungen der | |
Hüften, Schenkel und Hinterbacken. Auch die Hände sind aktiv, sie berühren | |
alle Teile des Körpers wie in Ekstase. Dazu kommen die abwechselnden O- und | |
X-Beine, damit verbunden die nach außen und innen gedrehten Knie und Füße. | |
Der Tänzer kann seinen Rücken beugen oder gar in Hockstellung gehen.“ Dies | |
alles, wohlgemerkt, in einer affenartigen Geschwindigkeit von bis zu 148 | |
Rhythmen pro Minute (zum Vergleich: ein normaler Tanzschritt hat rund 80 | |
Rhythmen pro Minute). Mit den rudernden Armbewegungen, ebenfalls typisch | |
für den Charleston, wirkten die Tänzer wie Wettläufer im Meer. Natürlich | |
gibt es auch im Internet einige Seiten, die sich ausführlich mit dem Thema | |
befassen. Allein die Seite Swing Dancing auf Facebook hat mehr als 54.000 | |
Fans. | |
Auftrieb bekam die Musik jüngst durch Robbie Williams, der 2001 auf seinem | |
fünften Album vornehmlich Swing-Titel produzierte, wie „Swing when you are | |
winning“ – und mehr als sieben Millionen CDs verkaufte. Doch auch Roger | |
Cicero, Tom Gaebel und Thomas Anders konnten mit ihren Swing-Stücken | |
massenweise Fans mobilisieren, wobei Cicero sich an den Stil der 40er Jahre | |
anlehnte und ihn mit deutschen Texten versah. | |
Mehr und mehr Tanzschulen in Deutschland bieten Swing-Workshops an, und in | |
Großstädten gibt es spezialisierte Swing-Tanzschulen. Man ist offen für | |
jeden: Vor Tanzveranstaltungen werden die wichtigsten Schritte in einem | |
Schnupperkurs gelehrt. Für die Führenden, also meist die Herren, ist Swing, | |
wie auch alle anderen Tänze, schwieriger als für die Damen, denn Paartanz | |
nötigt den Herren eindeutige Führungsqualitäten ab. Gezählt wird nicht, wie | |
bei Salontänzen üblich, bis drei oder vier, sondern bis acht. „Das Ganze | |
muss locker aussehen, der Po nach hinten gestreckt und der Oberkörper eher | |
nach vorne gelehnt“, so beschreiben es Tanzlehrer gerne ihren Schülern. | |
Wichtig ist dabei immer die Grundspannung, denn die Bewegungsabläufe müssen | |
synchron erfolgen, und gleichzeitig muss das Ganze lässig und „cool“ | |
aussehen. | |
## Improvisation ist das A und O des Swing | |
Dass Swingtanzen in Wirklichkeit schwere Arbeit ist, merkt man an den | |
verschwitzten Körpern, und nicht von ungefähr tragen professionelle | |
Swing-Tänzer immer ein kleines Handtuch mit sich. Zwar gibt es eine Reihe | |
von Figuren und verschiedenen Stilen, doch Improvisation ist das A und O | |
des Tanzes, und die fortgeschrittenen Tänzer erfreuen sich bei jeder Party | |
an neuen Kombinationen. | |
Einige nannten die Anfänge des Swings, den Savoy-Style auch Lindy Hop, | |
angeblich nach dem ersten Überquerer des Atlantiks, Charles Lindbergh. Es | |
ist eine der vielen Geschichten, die sich die Swing-Gemeinde immer wieder | |
gerne erzählt und die auch Tanzschüler in Tanzkursen zu hören bekommen. New | |
Yorker Zeitungen titelten an jenem denkwürdigen Abend „Lucky Lindy hops the | |
Atlantic“. Und einer der Tänzer im Savoy Ballroom, George Snowden, genannt | |
„Shorty George“, war so berauscht von dem Ereignis, dass er das geflügelte | |
Wort „I am doing the hop … the Lindy Hop …“ prägte. | |
Lindy Hop entstammt unverkennbar der afroamerikanischen Kultur und wurde | |
anfangs fast nur von Schwarzen getanzt. Die Erdverbundenheit afrikanischer | |
Tänze drückt sich unter anderem darin aus, dass man sich „affenähnlich“ | |
bewegt. Fließende, horizontale Bewegungen, schnelle Beinbewegungen, Kicks | |
und kleine Sprünge sind das Typische dieses Tanzstils, der sich stark von | |
europäischen Salontänzen wie dem Foxtrott oder dem Cha-Cha-Cha | |
unterscheidet. Manche wollen gar Ähnlichkeiten mit dem Schuhplattler | |
erkennen: die offene Paarhaltung, bei der der Herr die Dame von der Seite | |
an der Taille umfasst, das Drehen unter dem Arm des Partners. | |
Ein anderer großer Name aus New York, der fast immer fällt, wenn von | |
Swingtanz die Rede ist, ist Frankie Manning. Manning war lange Zeit der | |
tänzerische Kopf der Whitey's Lindy Hoppers, und diese Tanztruppe brachte | |
den Swing auf Bühnen und auf Kinoleinwände. Manning war es auch, der die | |
berühmten „Aerials“ entwickelte, atemberaubende Hebefiguren wie Luftsaltos | |
und Paar-Robben, immer mit der Musik synchronisiert. Einen ihrer großen | |
Auftritte hatten Whitey's Lindy Hoppers im Musical „Hellzapoppin' „, wo sie | |
unter dem Namen „Harlem Congeroo Dancers“ auftraten. In Deutschland bekam | |
der Film den Titel „In der Hölle ist der Teufel los“, und er enthält alle | |
Zutaten eines Hollywood-Revuefilms: Wortwitz, visuelle Gags und skurrilen | |
Blödsinn. | |
Es dauerte nicht allzu lange, da schwappte die Begeisterung des Swing in | |
den 30er Jahren auch ins nationalsozialistisch regierte Deutschland über. | |
Vor allem in Hamburg bildete sich bald die „Swing-Jugend“, die sich aus dem | |
Bildungsbürgertum rekrutierte und sich statt mit „Sieg Heil“ mit „Swing | |
Heil“ begrüßte. | |
## Die Nazis verfolgten die Swing Kids | |
Beflissen achtete man auf ein andersartiges Äußeres: die Swing Kids fielen | |
auf mit ihren englischen Mänteln und Hüten, mit langen Haaren, karierten | |
Sakkos, dem unvermeidbaren Hut und vielleicht einem Regenschirm. Das | |
muntere Treiben blieb der allgegenwärtigen Gestapo und dem | |
Hitlerjugend-Streifendienst nicht lange verborgen, und die Verfolgung | |
begann. Dass jedoch in allen Gaststätten Schilder mit „Swing tanzen | |
verboten“ aufgehängt wurden, kann getrost als moderne Sage bezeichnet | |
werden. Vielmehr wurden in den Endjahren des Krieges sämtliche | |
Tanzveranstaltungen verboten. | |
Neben dem weit verbreiteten Lindy Hop existiert eine Vielzahl von Stilen. | |
Da ist der „West Coast Swing“, der sich in Kaliforniens Nightclubs in den | |
30er und 40er Jahren entwickelte und der die Betonung besonders auf flinker | |
Fußarbeit hat. In Dallas, Texas, entwickelte sich der „Push“, der Figuren | |
des Rock ‚n‘ Roll in den Lindy Hop einstreut. Der „East Coast Swing“ | |
wiederum zählt nur 6 Schläge, während der Country Western Swing zu | |
Countrymusik im Stil des Jitterbug getanzt wird. Der „Balboa“ ist gut | |
geeignet für volle Tanzflächen und schnelle Musik, da er in sehr enger | |
Tanzhaltung getanzt wird. Die Basis sämtlicher Stile ist der Charleston, | |
der – was die wenigsten wissen – auf eine Jazz-Melodie aus dem | |
Broadway-Negromusical „Running Wild“ zurückgeht. Durch geschickte | |
Vermarktung wurde der Plattenverkauf damals weltweit angekurbelt. | |
Über das stilechte Outfit bei Swing machen sich übrigens die wenigsten | |
Gedanken, man sieht höchstens einmal Riemchensandalen oder Hosenträger. | |
Ganz anders als bei der Berliner Partyreihe „Bohème Sauvage“, wo Dresscode | |
im Stil der 20er Jahre Pflicht ist. „Normal“ gekleidete Ballgäste werden | |
auf diese Tanzveranstaltung erst gar nicht eingelassen. | |
## Beste Chancen für wagemutige Männer | |
Natürlich ist beim Swing, wie praktisch bei allen Tänzen, das männliche | |
Geschlecht eher schwach vertreten. Dabei vergeben sich Männer einige | |
Chancen! Denn Frauen mögen Männer, die sich vielseitig, kontrolliert, | |
natürlich und vor allem rhythmisch bewegen können, das zeigt jede Studie | |
zum Thema. Außerdem gilt, wer Swing tanzen kann, als lässig und cool. Und | |
genau solche mutigen Männer suchen die Frauen, die heute auch nicht mehr | |
aufgefordert werden müssen. Und Abwechslung ist ebenfalls garantiert: | |
Welcher Mann hat schon an einem Abend zwanzig oder dreißig Frauen im Arm? | |
9 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Dirk Engelhardt | |
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Berliner Szenen | |
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