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# taz.de -- Neue Fans von „Liquid Feedback“: Von den Piraten lernen
> In Friesland wird „Liquid Feedback“ eingeführt und auch die CDU in NRW
> hat konkrete Pläne. Die Piraten als Vorbild für die etablierten Parteien
> – kann das funktionieren?
Bild: Auch „liquid“, aber anders: Brauerei in Jever im Kreis Friesland.
BERLIN taz | Armin Laschet verhehlt nicht, dass die Piraten ihn
inspirierten. Warum nicht deren Ideen aufgreifen, wenn sie gut sind? Schon
vor seiner Wahl zum CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen vor knapp zwei Wochen
hat er angekündigt, dass er ein Programm wie „Liquid Feedback" einsetzen
möchte. Jetzt konkretisiert er: Die Basis soll online an einem
Grundsatzprogramm der NRW-CDU mitarbeiten.
„Es gibt so viel Sachverstand unter unseren 150.000 Mitgliedern im
Landesverband, der sonst gar nicht richtig eingespeist werden kann“, sagt
Laschet der taz. Wie genau die parteiinterne Online-Beteiligung genau
aussehen soll, weiß er noch nicht.
Aber der Zeitplan stehe bereits: In der Sommerpause das Konzept entwickeln,
im Frühherbst die Software abstimmen, im Oktober oder November soll es dann
losgehen. Laschet kann sich auch vorstellen, online Meinungsbilder
abzufragen. Repräsentativ seien die aber nicht. Schließlich hätten gar
nicht alle Mitglieder - Altersschnitt um die 60 – überhaupt Zugang zum
Internet.
Mit der Software „Liquid Feedback" können Mitglieder der Piratenpartei
Anträge erarbeiten und diskutieren. Wer will, kann seine Stimme generell
oder für bestimmte Themenbereiche an andere delegieren. Eine Kombination
aus Basis- und repräsentativer Demokratie. Jederzeit änderbar, „flüssig".
Die Vision von Landrat Sven Ambrosy (SPD): „Liquid Friesland". Im Kreis
Friesland in Niedersachsen sollen Bürger online ihre Ideen einbringen
können. Etwa, wo ein neuer Radweg verlaufen soll. Am Mittwoch hat der
Kreistag das Projekt beschlossen. Beginn soll im November sein.
## Bereicherung, keine Revolution
Genutzt werden die Möglichkeiten, die die niedersächsische
Kommunalverfassung ohnehin vorsieht, erklärt der Projektverantwortliche
Sönke Klug: Anregungen, Beschwerden, Bürgerbefragung. Verbindlich sind die
„Liquid-Feedback"-Abstimmungen für die Kreistagsabgeordneten nicht – für
vieles sind sie gar nicht zuständig.
Der Trierer Politikwissenschaftler Markus Linden hält die Verfahren der
Online-Bürgerbeteiligung für überschätzt: „Sie können vielleicht die
Demokratie etwas bereichern, aber garantiert nicht revolutionieren." Online
seien die Beteiligungsraten ähnlich gering wie offline.
Diese Einschätzung stützt sich unter anderem auf sogenannte
Bürgerhaushalte. In mehr als 100 Städten können Bürger bereits
mitentscheiden, für was die Kommune Geld ausgibt und wo gespart werden
soll. Allein: Nur wenige machen mit. In Bonn etwa waren es in diesem Jahr
lediglich 1.780 Bürger angemeldet - von fast 220.000 wahlberechtigten
Einwohnern. Das sind weniger als ein Prozent. Die fünf Prozent, die in
Berlin-Lichtenberg beim Bürgerhaushalt mitmachen, sind schon ein
exzellenter Wert.
## „Jede Beteiligung ist gut“
Der Friesländer Sönke Klug argumentiert: Wenn es wirklich um alle Themen
geht und nicht nur um die sogenannten freiwilligen Leistungen im Haushalt,
über die die Bürger mitentscheiden dürfen, das sei etwas anderes. Und
ohnehin gehe es gar nicht um eine besonders hohe Beteiligungsquote: „Jede
Beteiligung ist gut für den politischen Prozess."
Damit die Mitmachschwelle sinkt, sollen die Bürger in Volkshochschulkursen
mit der Software vertraut gemacht werden. Klar ist: Für die flüssige
Demokratie braucht man Zeit. Etwas Zeit, um per Mausklick abzustimmen.
Viel, um sich detailliert einzuarbeiten und eigene Themen einzubringen.
Für den Einsatz in Parteien hält Politikwissenschaftler Linden die Software
für besser geeignet – die Mitglieder wollten sich ja engagieren. Stephan
Eisel, Projektleiter „Internet und Demokratie" bei der
Konrad-Adenauer-Stiftung, warnt aber vor Online-Abstimmungen, da seien
„Leute außerhalb des Internets benachteiligt".
Aber auch die Piraten führen online grundsätzlich keine bindenden
Abstimmungen durch, die Abgeordneten in den Landtagen richten sich aber in
der Regel nach dem „Liquid Feedback"-Ergebnis. Eine weitergehende Neuerung
wurde am Sonntag im Landesverband Mecklenburg-Vorpommern eingeführt. Dort
haben die Piraten am Sonntag eine „ständig tagende Mitgliederversammlung"
in die Satzung geschrieben. Sie können jetzt online zumindest
Positionspapiere beschließen.
## Liquid Feedback statt Parlamente?
Einigen Piraten schwebt vor, dass es irgendwann gar keine Parlamente mehr
braucht, weil die Bürger alles übers Internet regeln. Einige Landesverbände
setzen aber „Liquid Feedback" nicht einmal ein. Und noch haben die Piraten
selbst genügend Probleme mit der Software, seit Kurzem steht die neue
2.0-Version zur Verfügung, sie soll besser und komfortabler funktionieren.
Wann sie in der Piratenpartei eingesetzt wird, steht noch nicht fest. Und
grundsätzlich sind auch in der Piratenpartei die Beteiligungsquoten relativ
gering. Weniger als ein Drittel der Parteimitglieder ist überhaupt bei
„Liquid Feedback" angemeldet, an einzelnen Abstimmungen nehmen in der Regel
allenfalls einige hundert Piraten teil.
Die „Liquid-Feedback"-Entwickler selbst gehen auch gar nicht davon aus,
dass durch die Software in Zukunft eine Masse von Menschen aktiv wird.
Konkrete Vorschläge würden auch in Zukunft durch „vergleichsweise kleine
Teams und visionäre Einzelpersonen" erarbeitet.
Gut möglich, dass es in Zukunft mehr Möglichkeiten dafür gibt. Es hätten
sich schon weitere Kommunen und Parteien nach „Liquid Feedback" erkundigt,
sagt Axel Kistner, einer der Software-Entwickler.
11 Jul 2012
## AUTOREN
Sebastian Erb
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„Liquid Feedback“ ein. 100.000 Friesländer sollen über die Breite der
Radwege abstimmen können..
Kommentar: Online-Bürgerbeteiligung im Friesland: Lieber klein anfangen
Liquid Feedback im Friesland ist eine gute Idee. Wenn aber die Technik hakt
oder Vorschläge verpuffen kann es schell zu einer Anti-Werbung für
Bürgerbeteiligung im Netz werden. Ein Experiment im kleineren Rahmen wäre
daher besser.
Debatte LiquidFeedback: Die flüssige Demokratie
LiquidFeedback könnte für die Demokratie so wichtig sein, wie die Erfindung
der Druckerpresse. Doch bei einer Positionierung zu Rechtsextremismus hilft
die Technik nicht.
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