# taz.de -- Ingrid Caven über Gesang und Geschlechter: „Man muss auch heute … | |
> Die Schauspielerin und Sängerin Ingrid Caven über Schönbergs | |
> Kompositionen, Rainer Werner Fassbinder und den Bruch, der durch jeden | |
> Menschen geht. | |
Bild: „Es entsteht die Gefahr, dass ich dann selbst immer nur rumlaufe als Fr… | |
Im Münchner Luxushotel Bayerischer Hof sind nicht nur die prominenten Gäste | |
des Münchner Filmfests untergebracht – hier werden auch die Interviews mit | |
den Stars geführt. Während in der Lobby noch das hoteltypische Kommen und | |
Gehen zu beobachten ist, herrscht im eleganten Salon im ersten Stock | |
absolute Ruhe. Ingrid Caven, einer der Rainer-Werner-Fassbinder-Stars und | |
zeitweilig Ehefrau des Filmemachers, den das Filmfest dieses Jahr, dreißig | |
Jahre nach seinem Tod geehrt hat, betritt den Raum. | |
Sie ist schwarz gekleidet und trägt eine leicht getönte Brille. „Schon | |
wieder Fotos?“ Professionell stellt sie sich der Fotografin, zwei Minuten | |
lang. Dann begibt sie sich zum Sofa und beginnt von sich aus das Gespräch. | |
Sie erzählt von ihrer Beziehung zum „Rainer“. Ich will nichts Privates | |
wissen. Erst nach einiger Zeit gelingt es mir, die erste Frage zu stellen. | |
Freundlich gießt sie mir und der Fotografin Mineralwasser ein. Sie | |
antwortet fast ohne Luft zu holen, mal verschlungen, mal direkt, immer | |
höflich. | |
taz: Frau Caven, die Hamburger Band Tocotronic ehrt Sie unter anderem mit | |
dem Video „Im Zweifel für den Zweifel“, in dem Sie die Hauptrolle spielen. | |
Eine Zeile des Lieds lautet: „Im Zweifel fürs Zerreißen der eigenen | |
Uniform“. Aus welchen Uniformen haben Sie sich in Ihrem Leben schon | |
befreit? Aus der Fassbinder-Uniform? | |
Ingrid Caven: Ich habe glücklicherweise gleich gespürt, dass ich aufpassen | |
musste, nicht nur eine Fassbinder-Figur zu werden. Und deshalb habe ich | |
immer meinen Gesang weiterentwickelt. Es gibt dann die seltsame Uniform der | |
Bilder aus Filmen und Fotografien. Es entsteht die Gefahr, dass ich dann | |
selbst immer nur rumlaufe als Frau Caven der Bilderwelten und nicht als | |
jemand, der lebendig ist. Und diese Bilder muss ich immer wieder zerreißen. | |
Kein Bild von Gott und kein Bild von uns. | |
Dem Gesang verdanken Sie also viel. | |
Eine wichtige Beziehung in musikalischen Dingen war die zu Peer Raben, der | |
viele meiner Lieder geschrieben hat. Ich wollte etwas machen, das modern | |
war, die Art der Stimme hat mich fasziniert. Dem Stimmmaterial gilt seit | |
jeher mein Interesse. Schon als kleines Kind wollte ich immer die zweite | |
oder dritte Stimme singen, die erste hat mich gelangweilt. Später hat es | |
mir auch nicht gereicht, einfach so zu singen. Bis heute geht es mir darum, | |
etwas auszuprobieren, bis hin zu Schönberg. | |
Sie singen Schönberg-Stücke? | |
Ich mache den „Pierrot Lunaire“ dieses Jahr anlässlich seiner | |
hundertjährigen Uraufführung. Den habe ich im Pariser Théâtre du Châtelet | |
gesungen. Der „Pierrot Lunaire“ ist ein Meilenstein der Musikgeschichte, | |
weil Schönberg da etwas versucht hat, nämlich die Sprechstimme auf ein | |
neues Niveau zu heben, jenseits der Singstimme. Sie geht hier in die | |
musikalische Welt als etwas Eigenständiges ein. Die Sprechstimme wird in | |
dem Stück geadelt. | |
Was reizt Sie daran? | |
Damals durfte die Stimme nur rein sein. Ich mache das anders. Schönberg | |
ging es um den „animalischen Ausdruck seelischer Bewegungen“, wie er einmal | |
schrieb. Das ist eine wunderbar moderne Sache. Meine Interpretation kommt | |
dem sehr nahe. | |
Wie bewegen Sie sich zwischen der deutschen und der französischen Sprache? | |
In Paris spreche ich immer en français. Ich träume auch oft in Französisch. | |
Für mich ist es interessant, zwischen den Sprachen hin und her zu wandern. | |
Manche meiner Lieder singe ich auf Deutsch, manche auf Französisch. Für | |
eine Sängerin ist es wichtig, zu sehen, wie der Rhythmus der einen Sprache | |
die andere beeinflussen kann. Das gibt eine neue erotische Beziehung zu den | |
Sachen. Das gefällt mir, immer wieder Dinge auszuprobieren. | |
Auf dem Münchner Filmfest haben Sie drei Filme von Rainer Werner Fassbinder | |
vorgestellt: „Schatten der Engel“, „Mutter Küsters’ Fahrt zum Himmel�… | |
„In einem Jahr mit dreizehn Monden“. Zwei eher politische Filme und ein | |
sehr persönliches Werk, nicht wahr? | |
Da muss ich mit Rainer antworten: Alles ist politisch. Das war unsere | |
Einstellung. Je mehr man in einen subjektiven, intimen Bereich geht und | |
eine Sprache dafür findet, umso mehr hat es zu tun mit dem Anderen und mit | |
der Welt. Unser Bestreben war doch, von diesen Klischees loszukommen, von | |
dem, was einem so alles aufgezwängt wird als Wahrheit und als Realität. Wir | |
wollten das infrage stellen. Nein, ich glaube nicht all das, was ihr da | |
glaubt, was ihr mir da vormacht. Das war unsere Arbeitsbasis. | |
Und heute? | |
Heute soll man doch immer höflich und nett und freundlich sein. Das hält | |
doch kein Mensch aus. Das ist verlogen. Das schafft kein Mensch. Sehen Sie, | |
die Frauen sind so stark geworden wie die Männer. Sie sehen aber vielleicht | |
nicht, dass auch ihre möglichen Ängste und ihre Unsicherheiten eine Form | |
von Stärke darstellen. Wieso muss man immer die Stärkste, Dollste, | |
Erfolgreichste und Schönste sein? Wer sagt denn das? In meinem Beruf ist es | |
einfacher, so zu denken. In anderen Berufen muss man meistens einfach | |
funktionieren. Wenn ich als Künstlerin es mir nicht leisten kann, hier ein | |
bisschen als Störfaktor aufzutreten, wer soll denn das sonst machen? | |
Wie sah das bei Fassbinder aus? | |
Wenn Rainer Kraft und Stärke von Frauen zeigte, dann endete das meistens | |
ziemlich mies. Die Männer hat er mehr in Ruhe gelassen, die durften ihre | |
Schwächen oder ihre Zartheiten eher zeigen, außer in dem hervorragenden | |
Film „In einem Jahr mit dreizehn Monden“. | |
Den er nach dem Selbstmord seines langjährigen Lebensgefährten gefilmt hat. | |
Da ist das ganze Mann-Frau-Thema nicht mehr dominant. Zentral ist hier der | |
Bruch, der durch jeden Mann und durch jede Frau geht. Da wird die erotische | |
und poetische Kraft der Möglichkeit unterstützt, eine Stärke infrage zu | |
stellen und eine Schwäche zu zeigen, damit spielerisch umzugehen. Es geht | |
um die Brechung von Klischees, es geht auch um das Verfangensein in der | |
Gesellschaft, aus der keiner rauskommt, auch nicht der Außenseiter. Ganz | |
egal, wie stark man gegen etwas ist, man bleibt immer Teil der | |
Gesellschaft. Immer. | |
Sie haben einmal gesagt: „Ich komme aus einer Generation, die mit nichts | |
und niemals zufrieden ist.“ Wie zufrieden sind Sie heute? | |
Das kann man doch verstehen, was ich damals gesagt habe über die | |
Kriegskindergeneration. Wir wollten aufgrund der Erfahrungen mit dem | |
Zweiten Weltkrieg und mit dessen Umgang eine neue Identität entwickeln. | |
Zufrieden? Man muss auch heute zweifeln, das Gehirn darf sich nicht | |
langweilen, sonst wird man traurig und depressiv. Man muss den Gedanken | |
freien Lauf lassen. Das hat auch etwas Zufriedenstellendes für den ganzen | |
Körper. Es gibt da so ein Kinderlied, „Die Gedanken sind frei“. Das habe | |
ich als Kind gesungen, es gefiel mir, obwohl ich zunächst noch nicht genau | |
wusste, was damit gemeint war. Letztlich ist die Gedankenfreiheit doch nur | |
eine Illusion, man ist doch immer schon irgendwie geprägt. Aber ohne | |
Illusionen kann man nicht leben. Hab ich geantwortet, wie Sie das wollen? | |
Sie haben geantwortet, wie Sie das wollen. | |
D’accord. | |
12 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
K. Erik Franzen | |
## TAGS | |
Hanna Schygulla | |
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