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# taz.de -- Fassbinder-Schauspielerin Caven: Eine Diseuse wird 70
> Rock n Roll, Weill, Schubert und die Beatles: Die
> Fassbinder-Schauspielerin und in Paris lebenden Diseuse Ingrid Caven
> feiert ihren 70. Geburtstag.
Bild: Von Ex-Ehemann Fassbinder spricht sie gern und ehrend: Ingrid Caven.
Zur Magie eines Stars gehört es, dass ein synthetisches Bild auftaucht,
sobald der Name fällt. Ingrid Caven, Schauspielerin und Diseuse, ist für
mich so etwa die Frau, die immer erst im Morgengrauen am Pariser Canal
St.-Martin in ihr Hotelzimmer zurückkehrt, einen Mantel schleift sie
gleichgültig provokant an der Rezeption vorbei Richtung Fahrstuhl wie ein
Schicksal, wie eine Sehnsucht. Die taubengrauen Zeichen der Nacht sind noch
um sie. Eine ascheschwere Filterzigarette der Marke "Petites Amoureuses"
klebt an der auberginenfarbenen Unterlippe. Ein Mann hat sie verlassen oder
wartet auf sie, oder aber sie hat ihn verlassen oder aber - es ist egal. Es
ist eine antinaturalistische Szene von der Klarheit des Film Noir, von
streng marxistisch schwelender Üppigkeit, die sich die Herren Regisseure
Fassbinder, Sirk, Brecht und Ophüls extra für ihre Heroine ausgedacht
haben, für ihr durch und durch betörend weibliches Universum des episch
delirierenden Simulakrums, in dem ein Baum nur deshalb existiert, um die
melodramatischen Initialen herzuzeigen, die vor 15 Jahren in sein Holz
geschnitzt worden waren.
Die Caven wird zwar immer recht hilflos mit Piaf oder Dietrich verglichen.
Tatsächlich aber ist sie ganz ihre eigene eklektische Schöpfung, in der
Tradition von Lotte Lenya, die sie mit einer kräftigen Dosis Camp-Ästhetik
modernisiert hat, und Brecht bildet, wie sie sagt, quasi ihre Arbeitsbasis.
Von Ex-Ehemann Fassbinder spricht sie gern und ehrend, und von ihm hat sie
gelernt, wie schwach die Möglichkeiten der Natur sind. Wenn Caven singt,
dann ist sie Stil pur und entschlackt, deshalb souverän, ironisch,
einfühlsam und porös und in diesem Sinne beinahe entmenschlicht. Das
Dumpfe, Kreatürliche könnte dies nicht leisten. Hier gibt es im
Kunst-Schönen eine Identität des Nichtidentischen, und Cavens Tränen rinnen
immer zuerst aus dem Verstand.
Bereits 1976 trat sie im Münchener Rationaltheater unter der Regie von
Werner Schroeter als Sängerin auf, aber ihre Karriere begann in Paris.
Impresario Pierre Bergé, der Partner von Yves Saint Laurent, lud sie ein,
ein Stück von Cocteau zu spielen. Dazu kam es nicht, aber Bergé bot ihr als
Ausgleich eine eigene Show an: Unter der Regie von Daniel Schmid, mit dem
sie einige Filme gemacht hatte, trat sie 1978 im Pariser Theater Pigalle
auf.
Nach ihrem Sensationserfolg 1992 in New York bestand die Hoffnung, dass
sich auch die deutsche Krankheit verflüchtigen möge, das hausgemachte Genie
nicht länger zu verkennen, aber dazu bräuchte es wohl eine Smith & Wesson
an der deutschen Schläfe.
Die New York Times bezeichnete sie als "simply spectacular", als "the real
thing", die Village Voice bejubelte Caven als "the Callas of the European
cabaret, a comet passing once in a hundred years", und für Le Monde ist sie
eh "die raffinierteste Chanteuse seit Jahrzehnten".
Bal musette, Rock n Roll, Weill, Schubert, Tingeltangel und die Beatles?
Caven reißt gewisse Grenzen nicht einmal nieder, sondern ignoriert sie
souverän. Sie ist zum Pathos begabt (das nach Nabokov aller wahren Kunst
eigen ist), und sie gehört zu den intellektuell überhöhenden
Darstellerinnen von der nervösen Art. Sie beeindruckt auch bei etwas
schrägen Liedern mit der schimmernden oder schmetternden Intelligenz ihrer
Stimme, der Kühlheit der Distanz, mit der sie sich behutsam ihren Texten
nähert und sie, der kubistischen und surrealistischen Methode folgend, neu
zusammensetzt. Sie "denkt" ihre Lieder, und ihr Gefühl, das reichlich
vorhanden ist, all das Erotische, das Komische, das Verzweifelte und
Lächerliche, das Grobe und das Zarte, bringt sie mit vollendeter
Schauspielerdiktion zu Gehör.
Und so warten wir auf einen weiteren Abend mit Ingrid Caven, auf das Date
um eine halbe Stunde vor Mitternacht, wenn das Licht verglimmt und unsere
Dame hochmotiviert und alert wie ein Zirkuspferdchen von rechts auf die
Bühne stakst, um uns zu empfangen. Na, dann wollen wir mal! Und was
bekommen wir da für unser Geld? Ingrid Caven lacht und zitiert einen Satz
der Lyrikerin Emily Dickinson: "Sag Wahrheit ganz, doch sag sie schief -
der Umweg bringt Gewinn."
2 Aug 2008
## AUTOREN
Egbert Hörmann
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