# taz.de -- Kommentar Smartphones: Das Ding für alle Gelegenheiten | |
> Dieses Gerät, das wir „Smartphone“ nennen, ist kein Telefon. Es wird auch | |
> immer weniger zum Telefonieren benutzt. Höchste Zeit, ihm einen neuen | |
> Namen zu geben. | |
Bild: Mehr Menschen benutzen ihren tragbaren Rechner als Kamera denn als Telefo… | |
Keine Ahnung, warum das Ding eigentlich Smartphone heißt. Wer sich das | |
damals ausgedacht hat, muss sich völlig im Unklaren darüber gewesen sein, | |
was genau da entwickelt wurde. Und was die Leute damit anfangen werden. Das | |
ist inzwischen – Marktforschung sei Dank – anders, es gibt wöchentlich | |
irgendeine Studie zu Verbreitung, Nutzerverhalten, Nutzungsumgebung, | |
Nutzungszeitraum, Nutzungsurzeit, Nützlichkeit und psychischen | |
Abnutzungserscheinungen. Smartphonebesitzer sind die am besten erforschte | |
Spezies des Planeten, man müsste Tierdokus über sie drehen. | |
Und alle Studien sagen ungefähr das gleiche. Zum Beispiel die, [1][die O2 | |
neulich gemacht hat]. Smartphonenutzer bewegen mithilfe ihres Werk- oder | |
Spielzeugs (seit Tooltime gibt es da keinen Unterschied mehr) ungefähr zwei | |
Stunden am Tag im Netz. Davon surfen sie 25 Minuten, sind 17 Minuten in | |
sozialen Netzwerken, hören 15 Minuten Musik und spielen 14 Minuten Spiele. | |
Dann erst, Punkt fünf, kommt das Telefon als Telefon zum Einsatz (12 | |
Minuten). | |
Auf den weiteren Plätzen: Mails schreiben, chatten, Filme sehen, Bücher | |
lesen und Fotos machen (Füße, Essen, Katze). Dreieinhalb Minuten nimmt sich | |
ein Smartphone-Nutzer am Tag, um Fotos zu machen, und auch wenn bei vielen | |
Bildern man sagen muss: fünf oder vielleicht zehn Minuten wären besser, ist | |
das doch eine erstaunlich lange Zeit. Noch erstaunlicher: Unter den | |
Befragten nutzen mehr Leute ihr Smartphone als Kamera (74%) denn als | |
Telefon (71%). | |
Wer sich ein Smartphone anschafft, verabschiedet meistens nach und nach von | |
MP3-Player, Wecker, Uhr, manchmal sogar die Kamera, und irgendwann in der | |
Zukunft dann Kreditkarten und Bargeld. | |
Das ist kein Telefon, das ist ein Rechner, ein Taschenrechner. Passt viel | |
besser als Wort, und zu dem, was heute Taschenrechner heißt, kann man auf | |
Deutsch wie in allen anderen relevanten Sprachen auch eben Kalkulator | |
sagen, klingt eh viel besser, als wäre das ein Transformer. Wie viel besser | |
wäre die Stimmung in den Klassenzimmern, wenn die Lehrerin Montagmorgen | |
sagt: „Kinder, holt euren Kalkulator raus!“ | |
Bloß da die Deutschen ohnehin zum Sprachkonservatismus neigen, wird das | |
wohl ein frommer Wunsch bleiben. Vielleicht kann man es trotzdem | |
deanglifizieren und ab sofort (analog zu Flugzeug) Kommunikationsgedöns | |
nennen. Oder vielleicht Netzklinke. Wenn man die drückt, kommt man ins | |
Internet. | |
Übrigens lustig zu sehen, wie schnell sich das Smartphone durchgesetzt hat. | |
Es gibt auf Youtube dieses sagenhafte Interview mit Steve Ballmer, da macht | |
er sich über das iPhone lustig. Allein bei dem Wort iPhone fängt er das | |
Grinsen an und fast scheint es, als würde er amüsiert links an der Kamera | |
in die Zukunft linsen. Dann fängt sein Kopf an zu wackeln und aus seinem | |
Mund fällt – wie wir heute wissen – einiges an Unsinn. Zu teuer, nicht | |
handlebar genug und so weiter. | |
Täuscht es mich oder hat Ballmer seither ein paar Kilo zugenommen? | |
Was er da sagt, wirkt heute wie ein Zeitdokument, dabei ist es kaum fünf | |
Jahre alt. Fünf Jahre, das ist auch ungefähr der Abstand, den Ilse Aigner | |
zum Heute hat. Die fordert immer wieder einen Rückbau der Smartphones auf | |
das Niveau eines stationären Rechners, ein Smartphone als Insellösung. Als | |
ob so eine Netzklinke nicht völlig uninteressant wäre, wenn nach der Tür | |
eine Mauer kommt. | |
12 Jul 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://news.o2.co.uk/Press-Releases/Making-calls-has-become-fifth-most-freq… | |
## AUTOREN | |
Frédéric Valin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Video-App nicht länger Standard: Apple schmeißt Youtube raus | |
Bisher war die Youtube-App im iPhone vorinstalliert. Das wird sich nun | |
ändern. Damit will der US-Konzern Druck auf Konkurrent Google ausüben, zu | |
dem das Videoportal gehört. | |
Umstrittene Diagnose Onlinesucht: Verschollen im Cyberspace | |
Machen Onlinespiele, soziale Netzwerke und Pornoseiten süchtig? Psychologen | |
und Ärzte streiten sich, ob ständiges Online-sein abhängig macht. | |
Die unerträgliche Erreichbarkeit des Seins: Ich bin dann mal dran | |
Abends noch Mails checken? Arbeiten in der Supermarktschlange? Handyverbot | |
beim Essen? Wie Berufsonliner mit der ständigen Erreichbarkeit umgehen. | |
Vier Protokolle. | |
Studie zur digitalen Gesellschaft: Darum poked die Oma nicht | |
Hedonisten, Performer, Skeptiker: Das renommierte Sinus-Institut hat die | |
digitale Gesellschaft erstmals in soziale Milieus eingeteilt. Es geht um | |
Außenseiter, Immigranten und Eingeborene. |