# taz.de -- Musikshow „TV Noir“: Die Macht der Note | |
> Auch in der neuen Staffel von „TV Noir“ (Freitag, 23 Uhr, ZDFkultur) | |
> empfängt Tex Drieschner wieder mal mehr, mal weniger bekannte Musiker. | |
Bild: Gibt nur ungern was aus der Hand: „TV Noir“-Galionsfigur Tex Drieschn… | |
Als das „richtige“ Fernsehen anklopfte, sagte Tex Drieschner erst mal Nein. | |
„Man hatte uns auf YouTube gesehen und nach einer Show angefragt, ob wir | |
uns vorstellen könnten, unsere Sendung auch auf ZDFkultur zu zeigen“, sagt | |
der Moderator von „TV Noir“. | |
Drieschner lehnte ab – er wollte unabhängig bleiben mit seiner Show. 2008 | |
hatte Drieschner, Berliner Singer-Songwriter, Mathematiker und IT-Fachmann, | |
mit einer Handvoll Künstlerfreunden das Livemusik-trifft-Talk-Format ins | |
Leben gerufen. | |
Die monatlich neu entstehenden Folgen sind als [1][YouTube-Videos auf | |
tvnoir.de] zu sehen und liefen zunächst auf Alex, dem Offenen Kanal Berlin. | |
Bis Drieschner dann doch Ja sagte zum Sendeplatz auf dem Digitalkanal | |
ZDFkultur. „Weil man uns dort sagte: Genau das wollen wir, dass ihr einfach | |
euer Ding macht.“ | |
Nun zeigt ZDFkultur seit Mai 2011 jeden zweiten Freitagabend im Monat, wie | |
Drieschner mal bekanntere (Thees Uhlmann, Judith Holofernes, Travis), mal | |
unbekanntere MusikerInnen vor der Kulisse eines | |
70er-Jahre-Wohnzimmerensembles empfängt. | |
## Schwarz-weiß und live | |
Unterhaltsam ungekünstelt plaudert er mit seinen Gästen – in der kommenden | |
Folge sind die beiden Singer-Songwriter Alin Coen und Johannes Stankowski | |
zu Gast – über dies (kreative Blockaden, das kommende Album) und das | |
(Inspirationsschübe beim Teetrinken in England, die Geldnöte der | |
Kreativen). Zwischendurch machen die Gäste Livemusik zur Akustikgitarre | |
oder mit Klavierbegleitung. Das Ganze wird schwarz-weiß und live im | |
Heimathafen Neukölln aufgezeichnet. | |
Der Musiktalk im Retrolook ist äußerst erfolgreich: Die Shows sind | |
innerhalb weniger Stunden ausverkauft, auf Facebook hat die Sendung knapp | |
37.000 Fans. Eine Million Klicks bei YouTube zählt „TV Noir“ jeden Monat, | |
die meisten für die online gestellten Musiksequenzen aus den Shows. Dagegen | |
nehmen sich die 0,1 Prozent Marktanteil, die man auf ZDFkultur im Schnitt | |
erreicht, eher mager aus. | |
Damit ist ein Format wie „TV Noir“ dank YouTube und Facebook, was die | |
Reichweite und Akzeptanz bei den Zuschauern angeht, nicht mehr auf das | |
klassische Fernsehen angewiesen– andere Argumente sind freilich das Budget | |
und die Medienwirksamkeit, die ein Sender wie das ZDF ermöglichen. | |
Umgekehrt steht und fällt das Kreativitätspotenzial der digitalen | |
Spielwiesen ZDFkultur und ZDFneo mit Sendungen wie „TV Noir“, die wiederum | |
vor allem von der Interaktion – via Twitter und Facebook – mit einer stetig | |
wachsenden Nutzergemeinde im Netz leben. Social TV heißt das Schlagwort. | |
## Büro in einer Kreuzberger Fabriketage | |
Drieschner findet das Social TV derzeit oft noch etwas „bemüht“, etwa bei | |
der Fußball-EM: „Diese eingeblendeten Twitter-Beiträge!“ Für „TV Noir�… | |
die Interaktion mit den Nutzern zwar zentral, aber „eher in der Form, das | |
wir als Macher sichtbar werden“, sagt er. „Wir sind die, mit denen ihr euch | |
gestern noch auf Facebook über diese oder jene Band unterhalten habt.“ | |
Drieschner denkt und produziert „TV Noir“ selbst – mithilfe eines | |
„Kernteams“ von acht Leuten und einem fünfköpfig (plus Praktikanten) | |
besetzten Büro in einer Kreuzberger Fabriketage, die zugleich auch seine WG | |
ist. Das Experiment mit einer vom ZDF engagierten Produktionsfirma ging | |
schief, nun holt man sich wieder eigene Leute dafür heran. „Da ist so ein | |
Bauchgefühl, was ’TV Noir‘ ist und was nicht, das man nur schwer definieren | |
kann.“ Dieses Gefühl will er auf keinen Fall wieder aus der Hand geben. | |
Gefühlsentscheidungen und ein quotenbedachter Sender wie das ZDF – geht | |
das? „Wir haben Glück, dass da gerade viel Wert auf Ausprobieren und | |
Kreativität gelegt wird.“ Dass man Drieschner einfach mal machen lässt, hat | |
aber vielleicht auch noch einen ganz banalen Grund: „TV Noir“ ist einer der | |
Quotenbringer für ZDFkultur. | |
Drieschners Sendung laufe mindestens im Senderdurchschnitt von 0,1 Prozent | |
Marktanteil im Gesamtmarkt, man habe bei der wichtigen Zielgruppe der 14- | |
bis 49-Jährigen aber auch schon mal beachtliche 0,7 Prozent erreicht, teilt | |
der Sender mit – das seien bis zu 50.000 ZuschauerInnen. Dennoch: im | |
Vergleich zu den YouTube-Werten relativ bescheidene Zahlen. Allerdings: Wie | |
viele Nutzer den Musiktalk unabhängig vom linearen Fernsehprogramm on | |
demand in der ZDF-Mediathek abrufen, ermittelt ZDFkultur leider (noch) | |
nicht. Dabei wären diese Zahlen eigentlich die interessanteren, da man die | |
Zielgruppe von „TV Noir“ freitags um 23 Uhr kaum vor dem Fernseher | |
vermutet. | |
Mit der libertären Kreativitätsoffensive im digitalen Programm könnte es | |
ohnehin bald schon wieder vorbei sein: Im Juni forderte die von den Ländern | |
eingesetzte Arbeitsgruppe Beitragsstabilität unter dem sächsischen | |
Staatskanzleichef Johannes Beermann (CDU) angesichts gerade so messbarer | |
Marktanteile von 0,1 Prozent für die sechs öffentlich-rechtlichen | |
Digitalkanäle bei gleichzeitig rund 90 Millionen Euro Kosten im Jahr, die | |
Digitalkanäle wieder abzuschaffen. Um ein unverkrampft-authentisches | |
Talkformat wie „TV Noir“ wäre es schade im öffentlich-rechtlichen | |
Fernsehen. Aber zur Not gibt es ja YouTube. | |
13 Jul 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tvnoir.de | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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