# taz.de -- „Roche & Böhmermann“ auf ZDFkultur: Kultur ist, wenn man trotz… | |
> Der junge TV-Sender ZDFkultur schärft erfolgreich sein Pop-Profil. | |
> Charlotte Roche, Jan Böhmermann und Marcus Kavka sollen die Zielgruppe | |
> zwischen 20 und 40 ranschaffen. | |
Bild: Brauchen für Flaschen keinen Öffner: Jorge Gonzalez (l-r), Charlotte Ro… | |
„Wir machen Kultur“, sagt Daniel Fiedler mit souveränem Unterton. Fiedler | |
hat in den letzten Monaten Selbstbewusstsein gesammelt. Er war viel | |
unterwegs, hat für seine Vorstellung von Kultur geworben – für seine Idee | |
von zeitgemäßem Kulturfernsehen. Für öffentlich-rechtlichen Pop. Daniel | |
Fiedler ist der Chef des zweitjüngsten der drei Digitalkanäle, die das ZDF | |
unterhält: ZDFkultur. | |
Seit Mai 2011 ist der Nachfolger des chronischen erfolglosen Theaterkanals | |
nun auf Sendung. Der Marktanteil liegt aktuell bei 0,1 Prozent. Fiedler | |
sagt, damit habe man die selbst gesetzte Vorgabe erreicht. Münzt man diese | |
verschwindend anmutende Zahl in Zuschauer um, kommt man auf 40.000 bis | |
100.000 im Schnitt. Pro Tag. Das Durchschnittsalter, sagen die ersten | |
Statistiken aus Mainz, liegt jenseits der 50 – im Namen steht eben noch das | |
ZDF vor der Kultur. Dennoch hat der per Eigendefinition | |
„Pop.Hoch.Netz.Digital.Kultursender“ an Profil gewonnen. | |
Bei einem mickrigen Etat von 18 Millionen Euro an reinen Produktionskosten, | |
letztes Jahr gab es noch 6 Millionen weniger, ist diese Entwicklung | |
durchaus bemerkenswert. Zuletzt gab es unter anderem für das tägliche | |
Infoformat „Marker“ eine Nominierung für den Grimme-Preis. Und für 2012 | |
setzt sich der Trend fort: Mit Charlotte Roche und Markus Kavka wurden zwei | |
Schwergewichte aus der untergegangenen Hochzeit des deutschen | |
Musikfernsehens verpflichtet und ins etatbedingt noch immer mit zahlreichen | |
Wiederholungen gespickte Programm eingebaut. | |
## Kölner Talkpremiere | |
Sie sollen ZDFkultur schnellstmöglich und vor allem nachhaltig eine | |
Zielgruppe zwischen 20 und 40 – popkulturaffin, studentisch geprägt, | |
festivalgestählt – bescheren. Bestsellerautorin Roche wird dabei ab diesem | |
Sonntag regelmäßig um 22 Uhr eine Talksendung moderieren, gemeinsam mit dem | |
Satiriker und Journalisten Jan Böhmermann – ein Format, das bei ZDFkultur | |
bisher fehlte. Die lose Vorgabe zur Sendung, die nun regelmäßig in Köln | |
aufgezeichnet wird – „eine unkonventionelle Talkshow für alle, die keine | |
Talkshows mögen“ –, dürfte den Moderatoren hervorragend liegen. | |
Man erinnert sich, Roche hat schon mal versucht, den seriösen | |
öffentlich-rechtlichen Gesprächsrunden ein Stück unverkrampfte Lebensnähe | |
einzuhauchen. Allerdings schlug der Versuch, sie 2009 als Co-Host neben | |
Giovanni di Lorenzo beim Radio-Bremen-Talk „3 nach 9“ zu etablieren, fehl. | |
Bei der Trennung nach fünf Sendungen hieß es, Redaktion und Moderatorin | |
hätten unterschiedliche „Auffassungen“ von Möglichkeiten und Profil des | |
fast 40 Jahre alten Klassikers gehabt. | |
Um den Job bei ZDFkultur hat sich Roche selbst bemüht. Sie sei auf die | |
Verantwortlichen zugegangen und war mit Kollege Böhmermann maßgeblich an | |
der Entwicklung des neuen Formats beteiligt, heißt es beim ZDF. Bei einem | |
Blick ins abgedunkelte Studio wird man mit einem schlichten Setting | |
konfrontiert: Die Gäste hocken um einen schwarzen Tisch, Schulter an | |
Schulter, darüber schwebt ein runder Deckenleuchter. Vor jedem steht ein | |
stilechtes Retrotischmikro, das wahrscheinlich 30 Jahre im Mainzer | |
Kellerarchiv geschlummert hat. | |
## Selbstzensur bei Fäkalrhetorik | |
Mittig auf dem Konferenztisch klebt eine schwarze Türklingel – für die | |
Selbstzensur, falls mal jemand auf die Idee kommt, zwischen Fäkalrhetorik | |
und Wutausbruch zu changieren. Im Piloten zur Sendung wird dann bereits | |
munter gebuzzert. Die Frage ob „HipHop-Gott“ Samy Deluxe immer noch kifft, | |
versinkt genauso hinter dem Piep wie die Tatsache, dass dem grünen Tübinger | |
Bürgermeister Boris Palmer der von Jan Böhmermann angesprochene ewige | |
S-21-Protest – höchstwahrscheinlich, man hört ja nichts – langsam „auf … | |
Eier geht“. | |
Im Piloten dürfen auch noch MTV/Viva-Moderatorin Palina Rojinski, der | |
Atheismus-Aktivist Philipp Möller und 9Live-Abzocker Max Schradin | |
mitquatschen. Die Themenpalette ist vage in Blöcke gesplittet. Es geht um | |
die Bäume an Stuttgarts Dauerdiskursbahnhof, Brüste im Allgemeinen und | |
Atheismus. Das ist formal abwechslungsreich, vor allem aber unterhaltsam. | |
Die Dialoge funktionieren dementsprechend: Böhmermann stellt die | |
schwerwiegende Frage, ob Stuttgart überhaupt einen Bahnhof brauche („Wer | |
will denn dahin?“). „Also ich hab’ eine Patenschaft für einen Baum | |
übernommen“, quatscht der „Herr“ Deluxe dazwischen. Im Kontext bekennt | |
Palina Rojinski dann offenherzig, sich auch für Bäume und den WWF | |
einzusetzen. Da hakt Roche dann allerdings knallhart nach: „Du sammelst | |
aber nicht nur die Bilder bei Rewe.“ Nein, tut sie nicht. | |
Man bekommt schnell das Gefühl, einem postmodernen „Presseclub“ | |
beizuwohnen, durch den ein trashiger Nebel wabert, hinter dem aber trotz | |
der ironisch-lockeren Grundhaltung sehr wohl ernsthafte Konturen stecken – | |
und kein Schenkelklopfer-Klamauk. Gut, das mag auch daran liegen, dass | |
engagiert geraucht werden darf. Daneben werden ausschließlich Wasser und | |
Whiskey gereicht, Zettel zwischen den ModeratorInnen ausgetauscht und eine | |
gute alte Schimanskitradition wiederbelebt: Flaschenhälse dürfen im | |
öffentlich-rechtlichen Fernsehen endlich wieder per Feuerzeug entkorkt | |
werden. | |
## Kreative Freiheit | |
Hinter „Roche & Böhmermann“ steckt vor allem aber ein Konzept, das bei fast | |
allen ZDFkultur-Formaten durchschimmert: kreative Freiheit. Jan Böhmermann, | |
dessen Karriere vor sieben Jahren mit der beliebten Rubrik „Lukas’ | |
Tagebuch“ beim WDR-Radiosender 1Live begann, sagt zur neuen Sendung: „Das | |
erste Kriterium war und ist Unterhaltung. Wir hatten klare Vorstellungen | |
von der Sendung. Wir wollen Fernsehen machen, das wir selbst gern sehen | |
würden, und nicht den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag vor uns | |
hertragen.“ | |
Bestätigt findet man Böhmermanns Standpunkt auch in der Auswahl der kleinen | |
und innovativen Produktionsfirma Bildundtonfabrik. Dahinter stecken | |
Kunststudenten aus Köln, mit denen der Moderator bereits für die „Harald | |
Schmidt Show“ zusammen gearbeitet hat. „Mit einem großen etablierten | |
Partner wäre unsere konsequente Umsetzung wahrscheinlich nicht möglich | |
gewesen. Du brauchst hungrige Kreative, um ein solches Projekt zu | |
realisieren“, sagt Böhmermann. | |
Auch beim zum Senderstart eingekauften Indieformat „TV Noir“ am | |
Freitagabend – einer Mischung aus Akustikkonzert und Musikergespräch auf | |
dem Sofa – scheint man den Verantwortlichen um Moderator Tex Drieschner | |
redaktionell alle Freiheiten gelassen zu haben. Die im Berliner | |
Regionalfernsehen und im Internet gestartete Sendung hat sich nicht | |
verändert, bis hin zur eigenen Webpräsenz. | |
Spricht man mit Mitgliedern des 200-köpfigen Mitarbeiterstamms von | |
ZDFkultur, berichten RedakteurInnen von einer „offenen, neugierigen und | |
begeisterten Stimmung“. Daniel Fiedler kann sich nach eigenen Angaben vor | |
„Bewerbungen aus dem Haus kaum retten“. So erzählt MTV-Allstar Markus Kavka | |
Ende Februar bei der Programmvorstellung für 2012, er selbst habe sich | |
darum bemüht, seine trotz durchweg guter Kritiken im Privatfernsehen | |
abgesetzte Interviewporträtsendung „Number One“ (unter anderem mit Bono und | |
Robbie Williams) bei Fiedler unterzubringen. Mit Erfolg, die Reihe wird ab | |
September auf ZDFkultur fortgesetzt. | |
## Klare Vorstellungen | |
Abgerundet wird dieses Bild auch durch eine ausgewogene internationale | |
Festivalberichterstattung. 2012 tauchen beispielsweise neben den Standards | |
Melt, Pinkpop (Holland), Loolapalooza (USA) und Wacken auch kleine, aber | |
trendfähige Spots wie Omas Teich im ostfriesischen Großefehn auf der | |
Setliste auf. Überhaupt gewinnt man im Gespräch mit Programmchef Fiedler | |
den Eindruck, dass der studierte Theaterwissenschaftler eine sehr klare | |
Vorstellung von modernem und vor allem konkurrenzfähigem | |
öffentlich-rechtlichen Fernsehen für eine jüngere Zielgruppe hat. Denn die, | |
das weiß auch Fiedler, hat das ZDF bitter nötig. Auch genießt er im | |
Vergleich zu den Digital-Kollegen von ZDFinfo und ZDFneo – die beide enger | |
ans Hauptprogramm beziehungsweise an die Nachrichtenredaktion angebunden | |
sind – mehr Freiheiten. | |
Die Tatsache, dass Fiedler weiterhin als Koordinator 3sat an einer für das | |
konzeptionelle Zusammenspiel innerhalb des ZDF-Verbunds strategischen | |
Stelle sitzt, dürfte für den kleinen Digitalkanal ebenfalls von Vorteil | |
sein. Das Arbeitsverhältnis über die kreativen Produktionsteams der Formate | |
bei ZDFkultur beschreibt er unaufgeregt: „Wenn ich das Vertrauen habe, lass | |
ich die laufen.“ | |
Im Trailer von „Roche & Böhmermann“ heißt es dementsprechend: „Wir sind… | |
Fernsehen und haben vom real-sein eh keine Ahnung.“ Keine schlechte Idee, | |
wenn man nachhaltig Kultur machen will. | |
„Roche & Böhmermann“, Sonntag, 4. März, 22 Uhr, ZDFkultur; Gäste: Sido, | |
Marina Weisband, Britt Hagedorn, Sven Marquardt, Jorge Gonzalez | |
3 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Jan Scheper | |
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Lollapalooza | |
Charlotte Roche | |
Nürtingen | |
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