# taz.de -- Bürgerkriegsfotografin in Peru: Dämonin der Wahrheit | |
> Vera Lentz, wurde in Lima geboren und an der Odenwaldschule in | |
> Deutschland ausgebildet. Heute ist sie die bekannteste Fotografin des | |
> peruanischen Bürgerkriegs. | |
Bild: Auch bald 30 Jahre alte Greuel des Bürgerkriegs sind präsent: Demonstra… | |
LIMA taz | Erdige, kräftige Hände, die Linke liegt auf der Rechten, ganz | |
vorne in der offenen Handfläche ruht das Passfoto eines Mannes im Profil. | |
Die Szene, aufgenommen im peruanischen Bürgerkrieg in den Anden der 1980er | |
Jahre, ist so einfach wie ergreifend. | |
Ohne die Geschichte der Person zu diesen Händen zu kennen, begreifen | |
Betrachter intuitiv, dass dieses kleine Passfoto bedeutend ist. Vera Lentz’ | |
Foto von den bäuerlichen Händen mit dem Passbild des Mannes ist zum Symbol | |
für die Zeiten des Terrors im Hochland der peruanischen Anden geworden. | |
Dieses Foto steht für 70.000 Tote, die den Grausamkeiten im Krieg zwischen | |
der Terrororganisation Leuchtender Pfad und dem peruanischen Militär zum | |
Opfer fielen. Die peruanische Wahrheitskommission hat 2003 das Foto als | |
Deckblatt für ihren Abschlussbericht gewählt, in diesem Sommer war das Foto | |
der deutsch-peruanischen Fotografin Vera Lentz in ihrer Ausstellung „No se | |
puede mirar“ auf der Biennale in Lima zu sehen. | |
„Ich wollte, dass man den Verschwundenen besser sieht“, sagt Vera Lentz, | |
die das Foto 1984 in der peruanischen Provinzhauptstadt Ayacucho | |
aufgenommen hat. Üblicherweise hielten die Hinterbliebenen die Fotos ihrer | |
verschwundenen Väter, Brüder, Ehemänner oder Söhne auf Höhe des eigenen | |
Gesichts. „Doch dann sieht man ja nicht, wer auf diesen kleinen Fotos ist“, | |
sagt Lentz. Sie klingt heute noch ebenso emotional engagiert, wie sie es | |
wohl auch 1984 war. | |
## Fotoatelier Jeannette | |
Damals war sie 34 Jahre alt und kurz zuvor vom Fotografiestudium aus den | |
USA in ihre Geburtsstadt Lima zurückgekehrt. In New York hatte sie vor dem | |
Studium einige Jahre mit dem Mode- und Porträtfotografen Irving Penn | |
gearbeitet, dessen klare Ästhetik sie schon als Kind in seinen | |
Schwarz-Weiß-Porträts der indigen-andinen Bauern aus Cusco bewundert hatte. | |
Die Penn-Fotos hingen im Haus ihrer Mutter Hannerose Herrigle de Lentz, die | |
in München Fotografie studiert hatte, dann nach Peru ausgewandert war und | |
in Lima das Fotoatelier Jeannette betrieb. | |
Señora Herrigle schickte Vera 1964 nach Deutschland, damit sie in der | |
Odenwaldschule eine „ordentliche“ Ausbildung erhielt. Vera Lentz erinnert | |
sich, dass sie es dort „scheußlich“ fand, heimlich geraucht hat und der | |
ältere Vertrauensschüler Daniel Cohn-Bendit ihr deshalb sehr nett zugeredet | |
hat. | |
Sie hielt es dann doch vier Jahre in der Odenwaldschule aus. Beeindruckt | |
hat sie damals ein jüdisch-polnischer Geschichtslehrer, der im Widerstand | |
gegen die Nazis gewesen und dennoch nach Deutschland gekommen war, um zu | |
unterrichten. „So eine humanistische Geste hat mir imponiert“, sagt Vera | |
Lentz, die im Gespräch oft ins Englische fällt – und ihre Arme weit | |
ausbreitet, um die Tragweite des Gesagten zu verdeutlichen. | |
## Warum wir gewaltätig sind | |
Als Vera Lentz 1982 nach elf Jahren in den USA zurück nach Peru kam, wusste | |
sie, dass sie „zwei Reisen machen würde, eine physische in die Gegenden des | |
Krieges und eine intellektuelle, um die Gründe für die Gewalt zu finden“. | |
Denn seit ihrer Begegnung mit dem jüdischen Geschichtslehrer beschäftigte | |
sie die „brennende Frage, warum wir gewalttätig sind“. | |
Sie bricht auf und reist zwischen 1982 und 1993 rund 17-mal von Lima in das | |
520 Kilometer entfernte Ayacucho in den Anden und befragt die aus dem | |
Hochland in die Stadt geflüchteten Menschen, was in den Bergen vor sich | |
geht. Lentz hört von Lynchmorden, Massakern wie dem an einer | |
Hochzeitsgesellschaft in Socos. Als Vera Lentz im Dorf Socos ankommt, | |
organisiert die Braut gerade die Beerdigung ihrer Familie und die ihres | |
Bräutigams. Sie war die einzige Überlebende des Massakers am Tag zuvor, | |
verübt vom Militär, wie die Wahrheitskommission später herausfand. | |
Der Krieg in den Anden lässt Vera Lentz nicht los. Sie dokumentiert die | |
Opfer: Kriegswaisen in Lima, hungernde Alte in verlassenen Dörfern, | |
verkrüppelte Soldaten, die Frauenbrigade des Leuchtenden Pfads im | |
Gefängnis. | |
Lentz fährt per Lastwagen in den Dschungel, fliegt mit einem | |
Militärhubschrauber und einer Asháninka-Indianer-Gruppe in den Regenwald | |
und fotografiert, wie die Asháninka in gestreiften Baumwollkleidern ihre | |
versklavten Stammesmitglieder aus einem Camp des Leuchtenden Pfads | |
befreien. | |
## Es war zum Kotzen | |
„Es war wirklich zum Kotzen: Keiner wollte die Geschichte der Asháninka.“ | |
Zu Beginn ihrer Reisen ist Vera Lentz für das peruanische Magazin Caretas | |
unterwegs, doch sie will frei berichten, denn immer wieder stellt sie fest, | |
dass ihre Berichte von den Grausamkeiten, die an indigenen Bauern begangen | |
wurden, „in Lima keinen Eindruck machen“. | |
„Das Desinteresse der Leute hier war eigentlich das Schlimmste“, sagt Lentz | |
heute. „Aber solche Brutalität kann man als Mensch doch nicht dulden.“ Also | |
fährt sie auf eigene Faust in die Anden, arbeitet schließlich für die New | |
Yorker Agenturen Visions und Black Star. Ihre Fotos erscheinen in Newsweek, | |
Time, Spiegel, Stern und anderen Magazinen und Zeitungen in Europa und den | |
USA. | |
250 ihrer Fotos von Massakern und Überlebenden, Massengräbern, zerstörten | |
Dörfern und Flüchtlingen wird die Kommission für Wahrheit und Versöhnung | |
später zur Aufarbeitung des 15 Jahre währenden Terrors nutzen. | |
70.000 Menschen wurden im Krieg in den Anden getötet, die meisten von ihnen | |
quechuahablantes, also Indigene. Für die Mehrheit der Toten werden die | |
maoistische Gruppe Leuchtender Pfad und ihr Anführer Abimael Guzmán | |
verantwortlich gemacht. „Ich wollte die Geschichte von beiden Seiten | |
erzählen“, sagt Lentz. „Ich hatte keinen politischen Antrieb, nur einen | |
humanistischen.“ | |
Da sie die Taten der maoistischen Terroristen ebenso dokumentiert wie | |
Verbrechen des Militärs und der Polizei, saß sie bald zwischen allen | |
Stühlen, von allen Seiten bedroht. Die einen hielten die Gringa mit den | |
blonden Haaren und den blauen Augen für eine Agentin des CIA, die anderen | |
für eine Spionin, die indigenen Bauern schließlich sahen in Lentz bisweilen | |
einen pistaco, einen Dämon. „Manchmal hatte ich Angst“, sagt sie. | |
Vera Lentz arbeitet noch immer als Fotografin in Peru. Ihre Fotos über den | |
Krieg in den Anden und die für sie noch immer unbeantwortete Frage nach den | |
Ursachen der verübten Grausamkeiten wird sie demnächst in einem Buch | |
verarbeiten, das nächstes Jahr erscheinen soll. | |
14 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Fokken | |
## TAGS | |
Peru | |
Magazin | |
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