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# taz.de -- Neukölln: Zeigen Sie einfach auf die Karte
> Sezer Yigitoglu hat ein Café in Neukölln eröffnet. Eigentlich nichts
> Besonderes - aber Yigitoglu ist von Geburt an gehörlos.
Bild: Wer einen Kaffee möchte, muss das auf einen Zettel schreiben. Oder auf d…
Drinnen scheppert es. „Man merkt die Aufregung“, sagt Spunk Seipel und
lacht. Er sitzt auf einem der leuchtend gelben Stühle vor dem Café Ole in
der Neuköllner Boddinstraße. Café-Betreiber Sezer Yigitoglu kommt aus der
Tür geeilt und platziert einen Milchkaffee sorgfältig auf dem Tisch vor
seinem Freund und Assistenten Seipel. Dann zeigt er ihm seinen Zeigefinger
und formt langsam die Worte „Wespe gestochen“. – „Mach mal Pause“, sa…
Seipel – mit Worten und gleichzeitig mit Gebärden.
Anfang Juli hat Sezer Yigitoglu das Café für hörende und gehörlose Menschen
eröffnet. Er selbst ist von Geburt an gehörlos. Wer im Café Ole ein selbst
gebackenes Stück Kuchen, eine Quiche oder ein Heißgetränk bestellen möchte,
kann den Wunsch deshalb entweder auf einen Zettel schreiben oder auf der
Karte zeigen. Zwar hat Yigitoglu schon im Kindergarten gelernt,
Lippenbewegungen zu lesen und mit Gebärden zu sprechen, die Ausbildung sei
in den 80er Jahren aber noch recht dürftig gewesen, deshalb habe Yigitoglu
heute keine Muttersprache, die er vollends beherrsche, sagt Seipel, der den
frischgebackenen Wirt seit vier Jahren kennt und ihm heute seine Stimme
leiht.
## Einer, der ihn versteht
Benannt hat Seipels Freund das Café nach seinem Hund Ole. Seit er als Kind
Filme wie „Lassie“ und „Ein Hund namens Beethoven“ gesehen habe, wollte
Yigitoglu immer einen Hund haben, erzählt Seipel. Einen treuen Freund an
seiner Seite, der ihn versteht. Ohne große Worte. Doch weil seine Eltern
einen Hund als Haustier ablehnten, konnte sich Yigitoglu seinen Wunsch erst
vor zwei Jahren in der eigenen Wohnung erfüllen. Mittlerweile habe sich die
Familie aber an das Tier gewöhnt, sagt Seipel. Auch die Kaffee trinkenden
Gäste erfreuen sich am herumtollenden Ole.
Von denen gibt es einige. „Ich dachte ja, dass am ersten Tag überhaupt
niemand kommt“, sagt Seipel. Stattdessen erscheint an diesem Vormittag um
halb elf, eine halbe Stunde nach Öffnung, schon der fünfte Gast. Das Café
Ole profitiert von der morgendlichen Laufkundschaft. In der Boddinstraße
gibt es einige Cafés und Kneipen, die öffnen aber frühestens am Nachmittag.
Der Nordneuköllner Kiez ist Yigitoglus Heimat. Der 30-Jährige hat schon
immer hier gewohnt. Kurz vor seiner Geburt zogen seine Eltern aus dem
türkischen Çorum in die Hobrechtstraße. FreundInnen und Familie wohnen auch
heute noch in der Nachbarschaft. So sind sie gleich zur Stelle, wenn
Yigitoglu im Café mal Hilfe braucht. In den ersten Wochen wird er von
seiner zehn Jahre jüngeren Schwester Buket hinter dem Tresen unterstützt.
Besonders wie man diese schön getrennten Schichten in einem Latte macchiato
hinbekommt, könne sich Yigitoglu einfach nicht merken, sagt Seipel.
Langfristig solle sein Freund den Laden aber allein schmeißen.
Einfach war es für den gelernten Bäcker Yigitoglu nicht, einen passenden
Laden zu finden. Nicht nur, weil es im neu-hippen Neukölln um jede freie
Wohnung ein Gerangel gibt, sondern auch, weil die Bewilligung eines
zinslosen Existenzgründer-Darlehens vom „Amt für die Sicherung der
Integration schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben“ – kurz:
Integrationsamt – einige Monate auf sich warten ließ. Bis dahin musste er
das Geld für die Kaution, die erste Miete und die Einrichtung bei seinen
FreundInnen zusammenkratzen.
Die Liste unliebsamer Erfahrungen, die Yigitoglu mit Behörden gemacht hat,
ist lang. „Wenn es um die Bedürfnisse von Gehörlosen geht, sind die völlig
ignorant“, berichtet Seipel. Bis zu drei Monate müsse Yigitoglu auf einen
Gebärdensprach-Dolmetscher warten, auch wenn das Anliegen dringend ist.
Denn der Bedarf an Dolmetschern übersteigt die Zahl der Fachkräfte, die zur
Verfügung stehen, bei Weitem.
Dennoch: „Wenn Sezer etwas wirklich wichtig ist, setzt er es auch durch“,
sagt Seipel. Ohne sein Wissen sei Yigitoglu zu mehreren Gebrauchtwarenläden
gegangen und habe sich Kostenvoranschläge für die Ausstattung machen
lassen. Seipel habe die Möbel am Ende nur geholt. „Wer solche Verhandlungen
allein mithilfe von Zetteln führt, hat eigentlich keinen Grund, jetzt
aufgeregt zu sein“, findet Seipel.
## Stühle wie Fenerbahce
Nur bei der Farbe ließ sich Yigitoglu eines Besseren belehren. Statt in
Neongrün ist die Inneneinrichtung in zurückhaltendem Schwarzweiß gehalten.
Seipel ist Künstler und betreibt selbst die Bar Sofia in der Wrangelstraße.
„Der Farbgeschmack hängt stark von kulturellen Einflüssen ab“, doziert er.
Über die gelb-blauen Stühle und Tische etwa, die vor dem Café Ole stehen,
habe sich Yigitoglus Familie sehr gefreut. „Oh, Fenerbahce Istanbul“,
sollen sie gerufen haben.
Dass auch Gehörlose viele Möglichkeiten haben, habe Yigitoglu von dem
mittlerweile verstorbenen Gunter Trube gelernt, sagt Seipel. Der gehörlose
Trube war Barkeeper im Kumpelnest 3000 in Tiergarten, das Ende der 80er
nicht nur als eine der ersten queeren Nachtbars bekannt wurde, sondern auch
Treffpunkt der internationalen Gehörlosenszene ist. Wie das Kumpelnest soll
auch das Ole ein Ort mit einer bunten Mischung aus hörenden und gehörlosen
Menschen werden, sagt Seipel. Denn nur unter Gehörlosen habe sich Yigitoglu
immer wie in einer abgeschotteten Welt gefühlt.
Aber auch mit den Hörenden macht Yigitoglu immer wieder schlechte
Erfahrungen. Sprüche wie „Schon wieder ein Türke, der kein Deutsch kann!“
sind laut Seipel keine Seltenheit für seinen Freund. Andere würden sich
erst gar keine Mühe geben, langsam und deutlich zu sprechen, damit
Yigitoglu von den Lippen lesen kann. „Die Vorstellung, dass jemand gar
nicht hören kann, ist einfach zu weit weg.“
Das soll sich jetzt bei Kaffee und Kuchen ändern. Ab September wird es im
Café Ole auch Konzerte und Ausstellungen befreundeter KünstlerInnen geben.
Bis dahin hat sich hoffentlich auch die Nervosität gelegt, sagt Seipel, und
wendet sich grinsend an seinen hibbeligen Freund, der gerade an einer Tasse
nippt: „Trink lieber ein bisschen weniger Kaffee!“
24 Jul 2012
## AUTOREN
Kerstin Dembsky
## TAGS
Starbucks
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