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# taz.de -- Produktfetisch im Netz: Ich will dich nackt sehen!
> Der Youtube-Trend „Unboxing“ feiert Verpackungsdesign und Enthüllung. Es
> ist das vielleicht Sinnlichste, das Technik-Geeks im Netz mit uns teilen.
Bild: Glitzern ist schon mal gut fürs Unboxing.
Ungewöhnlich oder superneu muss es sein. Am besten heiß erwartet, bei
Markteinführung von Warteschlangen flankiert. Oder das Spezialinteresse des
Technik-Nerds bedienen. Die Community holt seit rund sechs Jahren
leidenschaftlich aus der Verpackung, was endlich Besitz ist. Und zeigt sich
dabei.
Beim Unboxing, also Auspacken, geht es scheinbar ganz sachlich zu. Anders
als in vielen Videos gibt es hier keinen Personenkult. Ein Karton wird
geöffnet, eine zumeist glänzende Schachtel entnommen. Der Blogger
kommentiert, ob die Kartonagen sich leicht öffnen lassen und hält alles
Enthaltene vor die Kamera. Folien, Aufschriften und schimmernde Oberflächen
finden Erwähnung. Jedes Kabel und jede beigelegte Betriebsanleitung wird
sorgsam aus der Plastikhülle gezogen, alles ordentlich nebeneinander
gelegt. Der Beitrag endet spätestens, sobald das ausgepackte Gerät
eingeschaltet ist.
Die meisten dieser Videos widmen sich neuen technischen Gadgets wie Tablet
PCs oder Smartphones. Da verwundert es wenig, dass es sich bei den Machern
typischerweise um technikaffine Männer handelt. „Die Ursprungsidee kommt
aus der Ecke der Technik-Nerds, die ihrem Spezialinteresse nachgehen und
sich unter Gleichgesinnten austauschen wollen“, sagt Internetsoziologe Dr.
Stephan Humer von der Universität der Künste Berlin.
Wie geeky ist das denn?
„Von einem Herrschaftswissen der Nerds kann man in Zeiten des
demokratischen Internets allerdings nicht sprechen. Wie bei vielen
YouTube-Trends kam es längst zu einer Verwässerung des Phänomens“, so Humer
weiter. Auch Nicht-Technikfreaks können heute mit ihrer Webcam oder ihrem
Smartphone ein Unboxing-Video ins Netz stellen und – die Aktualität des
Objekts vorausgesetzt – hohe Klickzahlen erreichen. Warum auch nicht, die
Freude am Enthüllen, der Besitzerstolz oder einfach die Lust, sich im Netz
zu äußern reichen aus, als Unboxer aktiv zu werden. Intellektuell
überfordernd ist es auch nicht. Ob sich jedoch aus der Laiensphäre heraus
einfach nachahmen lässt, was den Nerd glücklich macht, bleibt fraglich.
## Sexuelle Konnotation
Wem sich bei der Betrachtung eines Unboxing-Videos der Gedanke an eine
sexuelle Konnotation aufdrängt, der liegt richtig. Denn was sachlich
klingt, ist das vielleicht Sinnlichste, das Tech-Blogger und Geeks im Netz
teilen. Der Spaß an technischen Details eint diese Gruppe, die Unboxing
auch als „Geek-Porn“ bezeichnet. Deutliche Worte findet auch der
Youtube-Kanal „[1][Unboxing Porn]“. Er ist untertitelt mit „we make things
naked“.
Die Assoziation zum Ausziehen mag ironisch gemeint sein, aber eine gewisse
Erregung über das Freilegen des Inneren ist den meisten
Kommentatorenstimmen deutlich anzuhören.
Gern können Hersteller ihre Produkte an die Macher von „Unboxing Porn“
senden, um mit einem Softcore-Streifen auf ihr Verpackungsdesign aufmerksam
zu machen. Und das tun sie offenbar. Die Relevanz von Brand Communities,
also Anhängern einer Marke, die sich über verschiedene Medien austauschen
und mitunter werbewirksame Inhalte erschaffen, ist vielen Unternehmen klar.
Unboxing-Videos als Teil solcher Brand Community-Aktivitäten sind also auch
für Hersteller attraktiv. Wie netzdemokratisch ist das?
Auffällig ist die Zugänglichkeit dieser Videos: Anders als Fachartikel oder
ambitionierte Reviews neuer Produkte, die manchen Laien verständnislos
zurücklassen, ist hier der Inhalt klar. Doch noch mehr macht diese Videos
interessant. „Ein wichtiger Aspekt ist der Stellvertreter-Effekt“, sagt Dr.
Stephan Humer. Der interessierte Betrachter erlebt seine Neugier und
Aufregung vor dem Bildschirm, ohne die haptische Sensation. Man kann sich
einen Eindruck vom Produkt verschaffen, manchmal vielleicht sogar den
Konsumreiz stillen.
## Auspacken ist pure Lust
Jeanne-Claude und Christo wussten es schon lange, Kinder unterm
Weihnachtsbaum wissen es sowieso: Auspacken ist pure Lust und die eint uns
alle. Verpackungsdesigner nutzen unsere kindliche Freude für ihre Zwecke
und sprechen vom Genuss der verzögerten Inbesitznahme. Je hochwertiger ein
Produkt wirken soll, desto aufwändiger gestaltet ist dessen Umhüllung. Und
desto länger zieht sich die Zeremonie des Öffnens hin. Es ist ein Akt der
Aneignung.
Aber letztlich geht es doch um den Kern, das Produkt selbst. Nur ist hier
die Dichotomie von Innen und Außen nicht mehr so gegeben, wie man es als
Nicht-Nerd annehmen möchte: Verpackungsdesign und Produktdesign gehören
zusammen. Folglich schlägt sich eine negative Bewertung der Verpackung auf
das enthaltene Produkt nieder.
Googles Tablet Nexus 7 etwa hat die Unboxing-Community nicht glücklich
gemacht. Allein die von Nutzer Jean-Louis Nguyen auf YouTube hochgeladene
Videomontage erreichte innerhalb einer Woche fast 1,5 Millionen Views. Sie
zeigt die Frustration mehrerer Unboxer beim Auspacken. User dmonkey98
schreibt daraufhin, er habe nicht gewusst, dass Klebeband klüger als
Menschen sein könne.
## Platz für alle
Schlechte Presse für Google. Konkurrent Apple hingegen hat sich durch das
Design seiner Produkte vom Nischenanbieter zum Branchenprimus entwickelt.
Die Verpackung bringt Nutzer regelrecht ins Schwärmen. „Haste mal ein
Macbook ausgepackt? Dass die keinen roten Teppich ausrollen ist alles”,
kommentiert Nutzer MaikRobbe. Es geht aber auch kritischer: “Die Verpackung
ist besser verarbeitet als das Produkt”, schreibt smaltmoto.
Bleibt die Frage, was uns Unboxing-Videos bringen. Wer kommentiert, dass
jeder wisse, wie man einen Karton öffnet, hat die Begeisterung über
Verpackungsdesign nicht verstanden. Muss er ja auch nicht.
Wer sich also von diesem Trend nicht mitreißen lassen will, dem sei die
genervte Persiflage “Let´s End Unboxing Videos” mit auf den Weg gegeben.
Die Sinnlichkeit des Nerds ist eben nicht für jeden etwas.
26 Jul 2012
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/user/unboxingporn
## AUTOREN
Donata Kindesperk
## TAGS
Französische Literatur
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