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# taz.de -- Migranten in Marzahn: "Ich dachte, ich gehe kaputt"
> Ali D. betreibt in Marzahn eine Eisdiele. Doch wohnen will er in dem
> Viertel nicht. Dazu wird er noch immer zu oft angemacht.
Bild: "Die Leute sind hier schlecht drauf", sagt der Eisdielenbetreiber.
taz: Herr D., wie gefällt es Ihnen hier in Marzahn?
Ali D.: Ich bin mit 14 nach Deutschland gekommen, dann habe ich 13 Jahre in
Lichtenberg gewohnt. Da hat es mit gut gefallen. Die Leute waren nett. Vor
sieben Jahren bin ich dann mit meiner deutschen Freundin in eine
Neubausiedlung in der Nähe gezogen. Meine Freundin ist Marzahnerin. Aber
ich würde nicht nach Marzahn ziehen.
Warum nicht?
Die Leute sind hier schlecht drauf. Viele sind arbeitslos. Sie sitzen am
liebsten abends vorm Fernseher und trinken Bier. Sie sind neidisch, wenn
man es zu etwas bringt. Sie sind vor 30 Jahren nach Marzahn deportiert
worden und haben sich seitdem nicht verändert. Sie wollen, dass alles so
bleibt, wie es früher war. Die werden auch in 30 Jahren noch so sein. Sie
akzeptieren keine anderen Meinungen.
Wurden Sie schon angepöbelt?
Früher war es schlimmer. Da konnte man am Wochenende kaum S-Bahn fahren.
Immer waren die Jungs mit den Glatzen und den Stiefeln unterwegs und warfen
Leute aus der Bahn. Ich habe den Laden hier von einem Deutschen übernommen.
Das fanden die Gäste am Anfang furchtbar. Es gab sogar einen Mann, der
meinte, ich hätte das Herz von Marzahn geklaut. Ich habe erst gar nicht
verstanden, was er meint. Der meinte diesen Laden hier! Ich habe ihm dann
gesagt, dass er sich nicht aufregen soll. Der Laden gehört immer noch einem
Deutschen. Ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft.
Und wie ist es jetzt?
Es ist besser geworden. Aber ich kenne Leute, die dieses Jahr die
Fußball-EM nicht sehen wollten, weil ihnen zu viele Ausländer im Team sind.
Die sind einfach dumm. Ich arbeite 14 bis 15 Stunden am Tag, habe insgesamt
fünf Läden und 30 Angestellte, also kann ich mir auch was leisten. Bis vor
Kurzem ist es mir oft passiert, dass mich die Leute hier wegen meines
Mercedes angemacht haben. Die meinten, das wären ihre Steuergelder. Ich hab
denen dann gesagt: „Komm, wir machen die Akten auf. Dann sehen wir ja, wer
in der letzten Zeit mehr Steuern gezahlt hat. Du bekommst Hartz IV. Also
zahle ich dein Bier, das du gerade trinkst.“ Ich dachte, ich gehe kaputt.
Bis ich mir dann doch einen alten Kombi gekauft habe. Mein Mercedes kommt
jetzt nur noch am Wochenende raus.
Warum arbeiten Sie nicht woanders?
Ich fühle mich wohl in Kreuzberg und Friedrichshain. Die Leute sind sehr
locker da. Einmal habe ich in Kreuzberg sogar Leute kennengelernt, die mit
Jackie Chan gedreht haben! Ein andermal habe ich meine Marzahner Kumpels
mit nach Kreuzberg genommen, aber die wollten bald wieder nach Hause. Ich
weiß auch nicht: Manchmal kommt es mir vor, als hätten sie Angst. Sie sind
sehr verschlossen.
Ich verstehe leider immer noch nicht, warum Sie dann nicht lieber in
Kreuzberg leben und arbeiten.
Es wäre mir einfach zu anstrengend. Es gibt da ziemlich viele junge Leute,
die nicht wissen, wo sie hingehören. Die leben zwischen den Kulturen. Und
das macht sie aggressiv. Das ist nichts für Kinder.
Würden Sie Ihre Tochter hier in die Schule schicken?
Ich bin froh, dass sie in unserer Neubausiedlung zur Schule geht. Hier
würde ich mir Sorgen machen, dass sie sicher nach Hause kommt.
Also verstehen Sie, dass viele Türken in Kreuzberg Angst hätten, wenn sie
nach Marzahn vertrieben würden?
Die Mieten werden da zu teuer, aber das ist von der Politik so gewollt. Die
Hausverwaltungen möchten, dass da nicht mehr so viele Ausländer wohnen.
Aber die Türken sind oft alt, die sind schon vor 40 Jahren nach Kreuzberg
gekommen. Die sterben hier! INTERVIEW:
28 Jul 2012
## AUTOREN
Susanne Messmer
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